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# taz.de -- Von Fledermäusen und Hainbuchen: Wenn der Hambacher Wald spricht
> In diesen Tagen ist der Wald bei Köln Kulisse für gesellschaftliche
> Konflikte. Aber was ist dort eigentlich zu finden? Schnöder Forst oder
> seltenes Biotop?
Bild: Schön hier: Spaziergänger im Hambacher Forst
Hambacher Forst taz | Ahorne, manche kniehoch, andere schon auf 3 Meter
Höhe gewachsen, säumen einen Pfad in den Hambacher Wald. Die Stangen der
Haselsträucher staksen büschelweise, Brombeeren ranken aus dem mit Efeu
bedeckten Boden. Ein Habicht ruft, Kohlmeisen warnen sich und die anderen
Waldbewohner mit hohem „Ziiii“ vor der menschlichen Gefahr auf dem Boden
und dem Habicht in der Luft. Verstummen. Einen Moment herrscht Ruhe
zwischen den buschartigen jungen Hainbuchen und Linden. Schlägt man sich
hindurch, öffnet sich die Kathedrale des Waldes. Säulengerade Buchen ragen
25, 30 Meter hoch in den Himmel. Eichen, ihre Stämme dick, ihre Kronen
dicht.
Der Habicht bleibt unsichtbar, ruft noch einmal über den Blättern der
Eichen und Buchen im dichten Kronendach. Darunter, in der zweiten Etage,
wachsen die Hainbuchen, an denen Efeureben zum Licht streben. Hier und dort
stehen Wurzelteller senkrecht, wie umgekippte Esszimmertische, an denen
statt Tischbeinen ganze Bäume hängen. Ein Sturm hat sie gefällt und eine
Lücke im Blätterdach geschaffen, durch die nun das Licht bis auf den Boden
fällt. Die nächste Generation Eichen und bleistiftzarte Linden buhlen unter
fingerdicken Hainbuchen um das Sonnenlicht. Sie machen das, was jeden
Waldbesitzer jauchzen lässt: Sie verjüngen den Wald auf natürliche Weise.
Baumstümpfe ragen aus dem Boden, von Mikroben und Pilzen zu Kästchen
zerfressen. Drei, vier Eichen weiter klebt deckweißartig ein feuchter
Greifvogelschiß am Fuße einer beindicken Ulme. Taubenfedern liegen auf dem
Laub, gerupft und nicht gebissen, die Reste einer Habichtmahlzeit.
Der Hambacher Wald steht als Symbol für die deutsche Klimaschutzpolitik,
die in der Welt tönt und zu Hause nicht viel hinbekommt. Nach diesem
Wochenende steht der Hambacher Wald auch für das Versagen der
nordrhein-westfälischen LandespolitikerInnen, die die UmweltaktivistInnen
mithilfe von Polizeihundertschaften aus dem Wald holen ließen. Dieser
Konflikt markiert längst nicht mehr nur für die Waldschützer ein
gesellschaftspolitisches Versagen, das in einer Reihe mit den großen
industriepolitischen Auseinandersetzungen des Staates mit seinen
Bürgerinnen und Bürgern steht: Wackersdorf, Gorleben, Hambacher Wald.
Die gut 200 Hektar Bäume sind jedoch kein Symbol. Sie bilden das Rückgrat
des Ökosystems Wald, das die nordrhein-westfälische Landesregierung nicht
schützt, obwohl sie gesetzlich dazu verpflichtet wäre. Bechsteinfledermäuse
leben hier. Deren Lebensraum darf laut Paragraf 44, Absatz 3 des
Bundesnaturschutzgesetzes nicht zerstört werden.
## Einer der letzten natürlich wachsender Wälder
Der BUND Nordrhein-Westfalen klagt deshalb gegen das Land
Nordrhein-Westfalen. Im entscheidenden Verfahren muss das
Oberverwaltungsgericht Münster demnächst entscheiden, ob der Hambacher Wald
unter die FFH-Richtlinie der EU fällt. FFH steht für Flora-Fauna-Habitat
und ist ein europäisches Rechtsgut. Der Wald wäre als FFH-Gebiet nicht mehr
Sache der Deutschen, sondern ein EU-Schutzgebiet. Damit wäre der Wald
gerettet.
Der Hambacher Wald ist einer der seltenen natürlich wachsenden Wälder in
Deutschland. Die Bäume wachsen, wie sie wollen, mit Pilzen zwischen den
Wurzeln und Sämlingen rund um den Stamm. Sie drängen zum Licht, faulen,
sterben, fallen und sind tot eine Quelle des Lebens für Würmer, Käfer,
Spechte, Fledermäuse. Wenn der Wald verschwindet, stirbt die Hoffnung, dass
die Tiere und Pflanzen sich eines Tages in der zersiedelten Region
ausbreiten können.
Die Bahngleise der RWE-Werksbahn, eine alte ungenutzte Autobahn, eine neue
Autobahn, noch mal Gleise zerteilen die Landschaft, darin Äcker, Felder,
Waldrelikte und auch der Hambacher Wald. Aus der Luft betrachtet wird klar,
welche Strecken die Samen von Birke, Ahorn und Linde zurücklegen müssen, um
auf den Boden zu fallen. Vielleicht fliegen Eichelhäher zwischen den
Waldresten und tragen Eicheln und auch mal eine Buchecker hin und her.
„Mein bester Waldarbeiter“ nennen Förster den Eichelhäher, denn er hackt
mit dem Schnabel ein Loch in den Boden, legt eine Eichel hinein, um sie
später zu fressen, lässt sie dort oft genug liegen und pflanzt so Eichen,
wie kein Mensch einen Wald schaffen könnte.
Aus den Wäldern rund um den Tagebau müssen eines Tages die Samen und
Sporen, die Tiere und Pflanzen kommen, die die sandige Grube wieder
fruchtbar machen. 85 Quadratkilometer wüstes Land, 85.000 Hektar durch- und
durchgewühlt im Tagebau. Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich wieder
nahrhafte Erde auf dem Sand gebildet hat. Bis 2040 will RWE dort baggern
und danach die Bergbaufolgelandschaft erblühen lassen. Tiere, Pflanzen und
die mit ihnen in Symbiose verbündeten Bakterien und Pilze müssen bis dahin
irgendwo überleben, um das zu unterstützen, was die Landschaftsplaner
Renaturierung nennen.
Wie eine Arche erhebt sich der Hambacher Wald zwischen Äckern und dem
größten Braunkohletagebau Deutschlands. Haselmäuse flechten ihre Nester aus
Laub und Gras in die Hecken, Kreuzspinnen weben Netze zwischen Holunder und
Linde, ein Laufkäfer drückt mit seinem dicke Kopf einen modernden Ast
auseinander, um an das weiche Innere zu gelangen. 142 geschützte Arten
unter den Säugetieren, Vögeln, Insekten hat die Umweltschutzorganisation
BUND im Hambacher Wald gezählt. 1.600 Käferarten haben die Naturschützer in
dem alten Mischwald entdeckt, den die Menschen der Region Bürgewald nennen,
so wie ihre Eltern und Großeltern davor.
## Forst oder Wald? Das ist keine semantische Frage
Der Tagebau Hambach hat zu Beginn des Braunkohleabbaus in dem damals noch
4.100 Hektar großen Bürgewald seinen Namen verpasst: Hambacher Forst. Forst
bedeutet, dass es hier um Wirtschaft und nicht um Natur geht, und diese
semantische Feinheit ist keine Wortklauberei, sondern Politik. Denn Forst
ist gepflanzt, einem Acker gleich. Forst kommt unter den Harvester, eine
Maschine auf fetten Rädern, die zwischen den Bäumen fuhrwerkt, sie fällt,
durch Greifzangen zieht, die Äste entfernt, entrindet und die Stämme
innerhalb von Minuten transportabel portioniert. Wald hingegen bedeutet
Natur und das, was heutzutage dermaßen selten ist, dass Investmentbanker es
mit Geld beziffern wollen, um es als Kapitalanlage zu vergolden: die
biologische Vielfalt.
Dirk Jansen vom BUND Nordrhein Westfalen geht es ganz bestimmt nicht um die
Ökonomisierung der Natur, wenn er beharrlich vom Hambacher Wald spricht.
„In Größe und Qualität ist dieser Eichen-Hainbuchen- und Buchenwald von
herausragender Bedeutung“ sagt er. „Da wächst ein seit der Nacheiszeit
kontinuierlich bestehender Dauerwald mit einer großen Artenvielfalt.“
Strolcht man durch die Bäume und Büsche, steht völlig außer Frage, dass es
ein Wald ist, selbst wenn einige der früheren Waldbesitzer ihre Schläge mit
ortsfremden Fichten bepflanzt haben. Das mit den Fichten ging wohl im 19.
Jahrhundert los, so groß und harmonisch, wie sich die Bäume heute zwischen
die Eichen und Buchen fügen. Auf einer feldartigen Pflanzung mitten im Wald
stehen die Fichten auch in Reihe, so wie man das in den vergangenen
einhundert Jahren gemacht hat. Ein Förstchen im Wald.
## Ein geschützter Wald, der nicht geschützt wird
Die Rote Waldameise hat die Fichten in das Ökosystem eingebunden und nach
und nach vier Hügelnester entlang der sonnenbeschienenen Kante der
Fichtenschonung gebaut. Der Boden sirrt inmitten dieser Superkolonie,
Tausende Ameisenbeine trappeln über Laub und Nadeln und stärken vom Boden
aus das System Wald. Förster erkennen an der Dichte von Ameisenhügeln, wie
gesund der Wald ist. Und weil die Waldameise systemrelevant für die
biologische Vielfalt im Wald ist, wurde sie schon vor 200 Jahren gesetzlich
geschützt. Das Umweltministerium NRW gibt unumwunden zu, aus
wirtschaftlichen Gründen den Hambacher Wald nicht als europäisches
FFH-Gebiet geschützt zu haben. „Der Hambacher Forst entsprach zum Zeitpunkt
der Gebietsauswahl in vielerlei Hinsicht den Anforderungen der
FFH-Richtlinie“, schreibt das Umweltministerium NRW am 16. 3. 2016 an den
BUND Kreisgruppe Rhein-Erft. „Er wurde jedoch nicht für eine Meldung in
Betracht gezogen, weil der im Jahre 1977 genehmigte Braunkohlenplan seine
vollständige Inanspruchnahme vorsah und damit eine rechtliche Bindung
vorlag.“
„Laut FFH-Richtlinie dürfen Meldungen aus wirtschaftlichen Gründen nicht
unterlassen werden“, sagt Thomas Krämerkämper, der stellvertretende
Landesvorsitzender des BUND Nordrhein-Westfalen. Er hofft, dass das
Oberverwaltungsgericht Münster entscheidet, bevor die Harvester von RWE den
Wald vollständig zerlegt haben.
Im Hambacher Wald liegen zwei Wochenstubenkolonien der gesetzlich
geschützten Bechsteinfledermaus. Die Fledermausart findet nur noch selten
alte Laubmischwälder, in denen ausreichend dicke und absterbende Bäume
stehen, so wie im Hambacher Wald. Fast überall in Deutschland wurden diese
Wälder schon gerodet, aufgeforstet mit Fichten und Kiefern. Die Weibchen
der Bechsteinfledermäuse brüten am liebsten in alten Spechthöhlen in Eichen
und Buchen. Die Fledermäuse sind gerade so groß wie eine
Streichholzschachtel, wiegen nicht mehr als 13 Gramm und ziehen ihre Jungen
in Wochenstubengemeinschaften auf. Alle Weibchen sind miteinander verwandt.
Verschwinden Cousinen aus der Gemeinschaft, können nicht einfach fremde
Tanten mit ihrer Brut einziehen. Und umgekehrt. Haben sie ihre Brutbäume
verloren, können sie nicht im nächsten Wald um Asyl bitten.
## Asyl für die Bechsteinfledermaus
Zudem sind die Bechsteinfledermäuse sehr traditionell. Jedes Frühjahr
fliegen sie aus ihrem Winterquartier wieder in denselben Wald. Sie geben
das Wissen der Bäume auch an ihre Nachkommen weiter, denn die Kommune der
Mütter braucht einen Verbund von alten Bäumen, in denen Spechte schon eine
Höhle gehackt haben. Alle zwei, drei Tage ziehen die Fledermäuse um, sodass
die Kolonie 30 bis 50 Baumhöhlen im Laufe eines Sommers bewohnt. Nistkästen
finden die Bechsteinfledermäuse uninteressant.
„Die Bechsteinfledermaus gilt als selten mit inselartigen Vorkommen“,
schreiben die Beamten des Bundesamts für Naturschutz in einer Analyse. Auf
einer Deutschlandkarte haben sie die Gebiete der Bechsteinfledermaus
markiert, die wie einsame Eilande auf weiter Fläche liegen. Im
norddeutschen Flachland und weiten Teilen Nordrhein-Westfalens ragen die
Archipele einzeln hervor.
Aus Knochenfunden wissen BiologInnen, dass die Bechsteinfledermaus in der
Vergangenheit auch im Flachland gelebt hat. „Die inselartige Verbreitung
und das Fehlen der Art in großen Teilen des Nordwestdeutschen Tieflands ist
ein Ergebnis der derzeitigen Waldbestockung Deutschlands, als dass es das
natürliche Ausbreitungsmuster der Art abbildet“, heißt es in der Analyse
des Bundesamts für Naturschutz.
„Die Zukunftsaussichten für die Bechsteinfledermaus sind
„ungünstig–unzureichend“, schreibt das Amt in einer internen Bewertung, …
der taz vorliegt. Denn: „Als weitere relevante Gefährdungsursache ist der
Lebensraumverlust durch Rodungen im Rahmen von Infrastrukturmaßnahmen oder
für Abbauvorhaben, z. B. das großflächige Verschwinden von
Eichen-Hainbuchen-Wäldern im Rahmen von Braunkohletagebauen, zu nennen.“
Einzig in 23 ausgewiesenen FFH-Gebieten hat die Bechsteinfledermaus eine
Chance. Die Aussichten und die Gebiete beurteilt das Bundesamt zwischen
„gut“ und „signifikant (mittel–gering)“. Mit anderen Worten: Auch in …
nach europäischem Recht geschützten Gebieten muss die Bundesregierung
zusehen, dass sie den Lebensraum der artenschutzrechtlich geschützten
Bechsteinfledermaus erhält.
Der gesetzliche Auftrag für den Schutz gilt auch außerhalb der FFH-Gebiete.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) möchte die „Verantwortungsart
Bechsteinfledermaus“ fördern. Mit einem Programm soll das Tier gepäppelt
werden. Im Hambacher Wald würde es ausreichen, wenn Schulze und ihre
Düsseldorfer Kollegin Ursula Heinen-Esser (CDU) das Bundesnaturschutzgesetz
anwenden würden. In dessen Paragraf 44 steht unmissverständlich: „Es ist
verboten, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der
besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder
zu zerstören.“
18 Sep 2018
## AUTOREN
Ulrike Fokken
## TAGS
Schwerpunkt Hambacher Forst
RWE
Umweltschutz
Lesestück Recherche und Reportage
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