# taz.de -- Kolumne Psycho: Die Angst vor der eigenen Zivilcourage | |
> Es darf nicht selbstverständlich sein, ohne Gegenwind Rassismus in der | |
> Öffentlichkeit zu verbreiten. Doch oft kommt die Schlagfertigkeit zu | |
> spät. | |
Bild: Nicht wegzuschauen ist oft gar nicht so einfach | |
Berlin-Tegel, Freitagmorgen. Ich warte auf den Flieger nach Zürich, als ich | |
neben mir eine Männerstimme höre: „Ich wollte nur mal guten Tag sagen. Toi, | |
toi, toi, machen Sie weiter so!“ Und eine Frau: „Ach, das ist aber nett von | |
Ihnen!“ Weil ich wissen will, wer hier öffentlich für seine Arbeit gelobt | |
wird, [1][gucke ich hoch und sehe: Alice Weidel.] | |
„Entschuldigung, nur für die Statistik: Ich finde, Sie sollten auf gar | |
keinen Fall so weitermachen!“, sage ich, jedenfalls in einem anderen, | |
besseren Leben. In dem echten Leben sitze ich da und schweige. Wie das so | |
ist mit der Schlagfertigkeit, sie kommt immer zu spät. Kurz wünsche ich | |
mir, im Flugzeug neben der AfD-Chefin zu sitzen und ihr die Meinung zu | |
sagen. Dann wünsche ich mir, dass genau das nicht der Fall ist – was ist, | |
wenn ich wieder kein Wort rausbekomme? | |
Am Ende fliegt Frau Weidel Business Class, wir landen in Zürich und ich | |
habe nichts gesagt. Habe es zugelassen, dass die AfD gelobt wird, ohne | |
irgendetwas entgegenzusetzen. What the fuck. | |
#WhattheFAQ ist auch das Motto des Festivals im Bregenzerwald, zu dem ich | |
eingeladen bin. Am Samstag sitze ich auf der Bühne, Thema: Wovor fürchtest | |
du dich? Es geht um Chemnitz, die AfD und [2][wie man es schafft, mit | |
Rechten zu reden.] Eine Zuhörerin erzählt von einer Frau, die auf einer | |
Rolltreppe eine rassistische Bemerkung über einen Mitfahrer gemacht hat. | |
Nachts träume ich von Alice Weidel. | |
## Ohne Gegenwind | |
Am Sonntagmittag fliege ich zurück nach Berlin. In der gut besuchten | |
Ringbahn stehe ich an der Tür, auf den Plätzen neben mir sitzen drei | |
Männer, einer hält ein Bier in der Hand und schwingt große Reden. Es fallen | |
die Stichworte Merkel, Deutschland, Flüchtlinge. „Die nehmen uns die Jobs | |
weg!“, ruft er, ich bekomme Herzklopfen vor Wut. „Und dann bekommen die | |
noch ein Smartphone geschenkt, so wie du! Oder? Oder?“ | |
Er zeigt mit der Bierflasche auf einen jungen, dunkelhäutigen Mann. „Klar, | |
ich hab mir das direkt bei der Bundesregierung abgeholt“, sagt der in | |
perfektem Deutsch und grinst. „Ey“, pöbelt der Rechte und steht auf, | |
„willst du mich provozieren?“ Sein Kumpel versucht, ihn zurückzuhalten, er | |
setzt sich wieder, steht erneut auf. | |
Ich muss daran denken, wie die Zuhörerin beim Festival ihr Einmischen auf | |
der Rolltreppe erklärt hat. Sie habe das Selbstverständnis nicht ertragen, | |
mit dem diese Frau dachte, sie könnte in der Öffentlichkeit rassistische | |
Bemerkungen machen, ohne Gegenwind zu bekommen. Ich gehe einen Schritt auf | |
den Pöbelnden zu und sage: „Ganz ehrlich, niemand hier teilt deine Meinung, | |
also sei jetzt bitte einfach ruhig und lass den Mann hier in Ruhe.“ | |
Er starrt mich fassungslos an, dann blitzt Wut aus seinen Augen, er steht | |
auf, sein Kumpel auch, sie drohen mir. Ich bekomme Herzklopfen vor Angst, | |
schaue in die Runde. Warum sagt hier keiner was? Schließlich winkt mich ein | |
Pärchen zu sich, „komm mal hier rüber“. Die anderen Fahrgäste schweigen. | |
What the fuck. | |
13 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
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