# taz.de -- AfD-Politikerin Alice Weidel: Die neue Rechte | |
> Sie ist lesbisch, wirtschaftsliberal, beruflich international aufgestellt | |
> – und Spitzenkandidatin der AfD. Wie passt das zusammen? | |
Bild: Endlich an der Spitze: Alice Weidel | |
LEIPZIG/GEROLSTEIN/BERLIN taz | Die Dame in der dritten Reihe klatscht | |
zögerlich. Vorn auf der Bühne in der Alten Börse am Leipziger Naschmarkt | |
redet Alice Weidel, die Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl. | |
Weidel steht wie immer sehr gerade, unter ihrem dunkelblauem Blazer trägt | |
sie eine hellblau-gestreifte Bluse, der Kragen ist gestärkt, die blonden | |
Haare sind streng zusammengebunden. Weidel hakt ein Thema nach dem nächsten | |
ab. Dreigliedriges Schulsystem? Will die AfD erhalten. Steuern und Abgaben? | |
Will die AfD senken. EEG? Will die AfD streichen. | |
Davor ein bisschen Privates („Wenn Sie ein Spontanleiden haben, kommen Sie | |
auf mich zu“, sie kenne sich mit traditioneller chinesischer Medizin aus), | |
dazwischen ein bisschen Polemik gegen die vermeintliche „Genderisierung im | |
Schulunterricht“ und etwas Häme für die Grünen. Die Dame in der dritten | |
Reihe hört mit skeptischem Gesichtsausdruck zu, die meisten ZuschauerInnen | |
sind begeistert. Applaus. Der Saal ist voll, es ist warm, einer der letzten | |
heißen Tage Ende August. Durch die offenen Fenster hört man die Pfiffe der | |
Gegendemonstranten. | |
Dann ist Weidel bei SPD und CDU. „Das sind komplett entkernte, inhaltsleere | |
Parteien mit Politdarstellern oben drüber. Und die wollen wir nicht mehr | |
wiederwählen.“ Da klatscht auch die Dame in der dritten Reihe. „Eine kluge | |
Frau“, wird sie später zu ihrem Mann sagen. „Und doch nicht rechtsextrem.�… | |
Es ist genau diese Rolle, die Alice Weidel als Spitzenkandidatin neben | |
Alexander Gauland erfüllen soll. Er der Mann für’s Grobe vom rechten Flügel | |
der Partei, sie die Gemäßigte mit wirtschaftsliberalem Hintergrund. | |
Gemeinsam sollen sie das gesamte Wählerpotential der AfD für den Bundestag | |
mobilisieren. | |
## Kategorie Überflieger | |
Weidel hat einen Einser-Abschluss im Doppelstudium Betriebs- und | |
Volkswirtschaft, ist promoviert, hat mehrere Jahre in China gelebt, spricht | |
Mandarin. Sie hat für international aufgestellte Unternehmen gearbeitet, | |
lebt in einer eingetragenen Partnerschaft, mit ihrer Lebensgefährtin, einer | |
aus Sri Lanka stammenden Schweizerin, zieht sie zwei Söhne groß. | |
Was treibt diese Frau zur national bis völkisch gesinnten, homophoben AfD | |
mit ihrem reaktionären Familienbild? Ist sie nicht in der falschen Partei? | |
Das sind die Fragen, die zu Weidel häufig zu hören sind. Aber vielleicht | |
sind sie falsch gestellt. Vielleicht ist Weidel jetzt genau da, wo sie | |
schon immer hin wollte. | |
Weidel ist 38, sie ist in einem kleinen Ort im Münsterland aufgewachsen. | |
Der Vater Handelsvertreter, die Mutter Hausfrau, zwei ältere Geschwister. | |
Viel mehr ist nicht bekannt. Weidel hat keinen umfassenden Lebenslauf | |
vorgelegt, auch reden will sie darüber nicht. Mehr als ein Jahr lang hat | |
sich die taz um ein Gespräch bemüht, am Ende kam eine Ein-Satz-Mail des | |
Pressesprechers: „Frau Weidel steht dafür nicht zur Verfügung.“ Begründu… | |
Fehlanzeige. | |
## „See you later, on the Karriereleiter“ | |
1998 hat Weidel auf dem CJD Gymnasium in Versmold Abitur gemacht. Im | |
Abiturbuch schreibt ein Mitschüler, Weidel sei als arrogant abgestempelt | |
gewesen. Er bescheinigt ihr einen „sehr dominanten Charakter“ und dass sie | |
„äußerst durchsetzungsfähig“ sei. Das mache es nicht einfach, mit ihr | |
befreundet zu sein. Er sieht „Lille“, wie sie damals genannt wurde, schon | |
bald „in Sydney, Melbourne, Zürich, Bern, London oder New York“ und | |
verabschiedet sich mit: „See you later, on the Karriereleiter!“ Weidels | |
Mitschüler lebt heute in Köln, er arbeitet in der Filmproduktion, seinen | |
Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Mit Weidel ist er noch immer | |
befreundet. Sie sei schon immer eher konservativ gewesen, sagt er. „Das | |
kritische Verhältnis zum Islam hat sie schon seit der Schulzeit, sie war | |
eine junge, lesbische Frau und emanzipiert.“ Auch erfolgsorientiert sei | |
Weidel von je her. | |
Wer mit Weggefährten von Weidel vor der AfD-Zeit spricht, hört stets eine | |
ähnliche Beschreibung: die einer sehr intelligenten und leistungsbereiten, | |
karriereorientierten und durchsetzungsfähigen Frau. „Kategorie Überflieger�… | |
nennt das ein ehemaliger Studienkollege, auch er will namentlich nicht | |
erwähnt werden. Vier Stunden Schlaf würden ihr reichen, hat Weidel jüngst | |
selbst in einem Interview gesagt. | |
Am 22. Mai 2004, Weidel ist damals 25, erscheint in der FAZ eine | |
ganzseitige Anzeige mit einem Gruppenfoto, darunter über 100 Namen. Weidels | |
ist einer davon. Der Abschlussjahrgang der Wirtschaftswissenschaftler der | |
Universität Bayreuth preist sich hier an. Die Bayreuther Ökonomen stehen in | |
dem Ruf, ein kleiner, elitärer Klub mit einem Hang zur Marktradikalität zu | |
sein. Weidel hat hier Volks- und Betriebswirtschaftslehre studiert und mit | |
Bestnote abgeschlossen. | |
Ihr Doktorvater war der inzwischen verstorbene Gesundheitsökonom Peter | |
Oberender, ein überzeugter Neoliberaler, der auch in der Wissenschaft an | |
den Auslesewettbewerb glaubte. 2004, als Weidel ihren Abschluss machte, | |
sorgte Oberender mit der Forderung, den Organhandel zu legalisieren und | |
marktwirtschaftlich zu regeln, bundesweit für Empörung. Oberender hat | |
Weidel geprägt. Und er hat die Wahlalternative 2013 unterstützt, den | |
Vorläufer der AfD, bei der viele eurokritische Wirtschaftsprofessoren dabei | |
waren. Als sie damals Oberenders Namen auf einer Unterstützerliste für die | |
Wahlalternative gesehen habe, erzählt Weidel später der FAS, „wusste ich: | |
Hier bist du richtig“. | |
Weidel geht mit einem Begabtenstipendium des DAAD nach China und | |
promoviert, wieder mit Bestnote, über das dortige Rentensystem, sie | |
arbeitet unter anderem bei der Investmentbank Goldman Sachs und bei Allianz | |
Global Investors, heute ist sie selbstständige Unternehmensberaterin. Das | |
klingt erfolgreich, nach steiler Karriere. Doch nirgends sind Jahresangaben | |
zu ihren beruflichen Stationen zu finden, auch auf dem AfD-internen | |
Bewerbungsbogen als Kandidatin für die Bundestagswahl nicht. | |
Selten dürften sie, das zeigen Recherchen von Wirtschaftsjournalisten, mehr | |
als zwei Jahre angedauert haben. „Im Team war Frau Weidel nicht so | |
angesehen“, lässt sich in der Welt am Sonntag ein Exkollege zitieren. „Die | |
Zusammenarbeit und Vernetzung mit Kollegen bereiteten ihr Probleme. | |
Schließlich kündigte sie.“ Ging Weidels Karriere in der Wirtschaft gar | |
nicht so steil bergauf, wie es auf den ersten Blick scheint? | |
„Wo sie heute steht, hat mich sehr überrascht“, sagt der ehemalige | |
Studienkollege, er hatte sie eher bei der FDP verortet. „Andererseits kann | |
man in der AfD besonders schnell aufsteigen.“ Und dass sie ganz nach oben | |
gehöre, habe Weidel schon immer ausgestrahlt. | |
## Inhaltlich beweglich | |
Weidel tritt im Oktober 2013 der AfD bei, wenige Monate nach der Gründung | |
und kurz nach dem knapp verpassten Einzug in den Bundestag. Weil sie einen | |
Wohnsitz am Bodensee hat, gehört sie zum Landesverband Baden-Württemberg. | |
Weidel engagiert sich im Euro-Fachausschuss, in der Partei ist sie bis | |
Sommer 2015 weitgehend unbekannt. „Ein graues Mäuschen“, sagt einer, der | |
dabei war. | |
Als Alice Weidel einer breiteren Parteiöffentlichkeit zum ersten Mal | |
auffällt, steht sie beim Bundesparteitag auf der Bühne der Essener | |
Grugahalle und zitiert die taz. Es ist ein heißer Sonntag Anfang Juli 2015. | |
Am Tag zuvor hat sich die AfD in ihrem ersten großen Machtkampf [1][für | |
Frauke Petry entschieden] – und [2][Mitbegründer Bernd Lucke aus der Partei | |
vertrieben]. Die Stimmung in der aufgeheizten Halle war explosiv. Viele | |
AfDler trugen Aufkleber gegen Lucke („Weckruf nein danke“) an ihren | |
verschwitzten Klamotten, der Parteigründer wurde ausgebuht, jeder Angriff | |
auf Flüchtlinge und Muslime begeistert beklatscht. „Der Parteitag zeigt, | |
wie erschreckend groß die Wut der Mitglieder ist – und der Hass: auf | |
Flüchtlinge und Muslime, die etablierten Parteien, die EU, Frauen mit | |
Karriere“, so hatte die taz kommentiert. | |
Jetzt also steht Alice Weidel auf der Bühne und zitiert das. Dann setzt sie | |
zu einer Tirade gegen die Presse an. „Die FAZ geht in die gleiche Richtung. | |
Spiegel brauchen Sie nicht mehr lesen, Zeit auch nicht. Hören Sie gar nicht | |
mehr hin.“ | |
Es ist Weidels Bewerbungsrede, sie will als Beisitzerin in den neuen | |
Bundesvorstand unter Petry und ihrem Ko-Vorsitzenden Jörg Meuthen gewählt | |
werden. Jeder Kandidat darf nur wenige Minuten sprechen. Weidel sagt noch | |
Sätze wie: „Der Ausstieg Deutschlands aus diesem ruinösen Währungsverbund | |
ist geradezu geboten“ und „Die Genderideologie ist totaler Schwachsinn.“ | |
Und fügt hinzu: „Um das zu sagen, muss man nicht homophob sein, und ich | |
weiß, wovon ich spreche.“ Den Zusatz aber registriert an diesem Sonntag | |
kaum jemand. | |
Weidel hat sich gut überlegt, ob sie kandidieren soll. Kurz vor dem | |
Parteitag hatte sie Lucke eine Mail geschrieben. „Welche Chancen habe ich | |
aus Deiner Sicht wirklich, ganz ehrlich, in den Bundesvorstand | |
einzuziehen?“ fragte Weidel den AfD-Gründer, der Spiegel hat aus der Mail | |
zitiert. „Das ganze mache ich ohnehin nur, um Dich zu unterstützen und um | |
das zu retten, was noch zu retten ist“, so Weidel weiter. | |
Dann aber verliert Lucke den Machtkampf gegen Petry. Der | |
Wirtschaftsprofessor und viele seiner Anhänger ziehen sich zurück. Weidel | |
nicht. Sie lässt sich mit den Stimmen der Lucke-Gegner in den deutlich nach | |
rechts gerückten Bundesvorstand wählen. | |
Sich veränderten Situationen schnell anzupassen, ist für | |
Unternehmensberater eine Schlüsselqualifikation. Aus dieser Perspektive mag | |
Weidels Verhalten smart gewesen sein. Es zeigt aber auch, dass sie | |
inhaltlich beweglich ist. | |
Zwei Jahre später stellt Weidel das erneut unter Beweis. [3][April 2017, | |
Maritim Hotel Köln, der Bundesparteitag hat sie gerade zur | |
Spitzenkandidatin gekürt.] Im Presseraum werden eilig die JournalistInnen | |
zusammengerufen. Vor laufenden Kameras sagt Weidel, natürlich werde sie | |
auch mit Björn Höcke Wahlkampf machen. Wenige Monate zuvor war sie | |
gemeinsam mit Parteichefin Petry im Bundesvorstand die treibende Kraft für | |
das Parteiausschlussverfahren gegen den AfD-Rechtsaußen aus Thüringen. Das | |
hatte den Streit zwischen Petry und dem rechten Flügel der Partei weiter | |
eskaliert, der sie letztlich die Spitzenkandidatur kostete. | |
Gegen Petry wollte Weidel nicht antreten. Doch als diese kurz vor dem | |
Kölner Parteitag ihren Verzicht verkündet, ist Weidel bereit. Hinter den | |
Kulissen organisiert Gauland die Mehrheiten. Aus seiner Sicht dürften drei | |
Dinge für Weidel an seiner Seite sprechen: Sie ist eine eloquente junge | |
Frau, ergänzt den 76-Jährigen also gut. Sie gilt als Höcke-Gegnerin, | |
spricht in- und außerhalb der tief gespalteten Partei also andere an als | |
der ausgewiesene Höcke-Freund. | |
Und sie ist nicht Frauke Petry. Die will Gauland von der Spitze der Partei | |
vertreiben. Dass Weidel parteiintern kaum eine Machtbasis hat und im | |
Zweifelsfall eine schwache Gegnerin sein dürfte, wird ihn kaum stören. | |
Gauland drängt Höcke, dessen Anhänger sollen für ihn und Weidel als | |
Spitzenkandidaten stimmen – trotz ihres Einsatzes für Höckes Ausschluss. | |
„Frau Weidel und ich stehen nur als Team zur Verfügung“, sagt Gauland | |
schließlich in Köln, er will ganz sicher gehen. Gegenkandidaten gibt es | |
nicht, 64 Prozent der Delegierten stimmen zu. | |
Dann steht Weidel im Saal Maritim am Mikrofon, kritisiert die „völlig | |
unkontrollierte Migrationspolitik“, fordert als Frau „noch ohne Angst die | |
letzte S-Bahn nehmen zu können“ und ruft: „Die politische Korrektheit | |
gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Alles Themen, die AfD-Delegierte | |
begeistern. Weidel liest ab, sie klingt hölzern, so, als habe sie die Worte | |
vor dem Spiegel auswendig gelernt. Doch Weidel lernt schnell, sie lässt | |
sich – auch von Gauland – beraten, im Wahlkampf spricht sie immer häufiger | |
frei. | |
Anfang August, Gerolstein, eine Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, | |
Wahlkampfauftakt des Landesverbands. Wenige Tage zuvor hat ein Islamist in | |
einem Supermarkt in Hamburg-Barmbek einen Menschen getötet. „Erinnern Sie | |
sich noch an den Tag, als man in Deutschland noch Regionalbahn fahren | |
konnte, ohne Angst zu haben, von einer Machete getroffen zu werden?“, fragt | |
Weidel von der Bühne herab. „Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als man in | |
Deutschland noch in einen Supermarkt einkaufen gehen konnte, ohne Angst zu | |
haben, mit einem Messer abgeschlachtet zu werden?“ So geht es weiter. | |
Eine Mitschuldige steht für sie fest: Angela Merkel, die Weidel auch schon | |
mal „Extremismuskanzlerin“ nennt. Dann sagt Weidel, dass der Islam nicht zu | |
Deutschland gehöre, fordert Abschiebungen „binnen 24 Stunden“, dass | |
Asylanträge „zwingend“ außerhalb der EU gestellt werden müssen und | |
Deutschland die Grenzen notfalls mit einem Zaun schützen soll. „Denn nur | |
Zäune schützen unsere Freiheit.“ | |
Immer wieder sagt Weidel kurz und scharf „so“, dabei reckt sie ihr Kinn | |
leicht vor. „Das muss sie sich dringend abgewöhnen“, sagt in Gerolstein ein | |
Zuhörer, der AfD-Mitglied ist. „Das klingt männlich, hart; ja, auch | |
elitär.“ Aus der AfD hört man mitunter, dass Weidel zickig und herrisch | |
sein könne, im Wahlkampf ungeduldig, dass sie nicht verstehe, dass eine | |
kleine Partei nicht so funktioniere wie eine Investmentbank. | |
Sat1 hat PassantInnen gefragt, wie Weidel auf einem Foto auf sie wirkt. | |
„Nicht so sympathisch“, „nicht der fröhlichste Mensch“, lauten die | |
Antworten, in einer TV-Debatte spielt der Privatsender sie ein. Dazu zwei | |
Umfragen: 88 Prozent der Deutschen wollen Weidel nicht als Nachbarin haben. | |
81 Prozent halten sie für humorlos. Weidel reißt die Augen auf, ihre | |
Nasenflügel weiten sich. Die Aussagen treffen sie. „Das ist nicht gut“, | |
sagt sie. „Daran muss ich arbeiten.“ | |
## Weidel, die Gemäßigte? | |
Auch in den Debatten in ARD und ZDF kann Weidel kaum punkten. Als im ZDF | |
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer fordert, dass sie sich von Gauland und | |
Höcke, „einem Rechtsradikalen“ distanziert, verlässt Weidel die Sendung. | |
Wenig später verschickt ihr Sprecher eine Presseerklärung, in der | |
allerdings nicht Scheuer, sondern Moderatorin Marietta Slomka angegangen | |
wird. Das sieht sehr nach einer geplanten Inszenierung als Opfer aus – was | |
Aufmerksamkeit garantiert. | |
Weidel haben die Finanzkrise und die Eurokritik zur AfD gebracht, die | |
Kredite für Griechenland hält sie für einen katastrophalen Fehler. Sie | |
fordert eine Volksabstimmung über einen Dexit, den deutschen Austritt aus | |
der EU. Das ist das eine Herzensthema Weidels in der AfD. Das andere: | |
Islam, Flüchtlinge, Grenzsicherung. | |
Es ist im Mai 2016, als Weidel überregional als Muslimbasherin Schlagzeilen | |
macht. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, hat die AfD | |
medienwirksam zum Gespräch eingeladen, Weidel soll Parteichefin Petry | |
begleiten. Doch Weidel sagt kurz vorher ab. Mazyeks Einladung sei | |
scheinheilig, so die Begründung. Auch habe er sich nicht „von den | |
Steinzeitpraktiken der Scharia distanziert“. | |
Seitdem hat Weidel ihren Ton gegen die Muslime weiter verschärft. In einem | |
Gastbeitrag in der Jungen Freiheit bezeichnet sie den Islam als „archaische | |
Kultur“, warnt vor „der Islamisierung unserer Gesellschaft“ und schreibt: | |
„Das muslimische Gemeinwesen ist einzig und allein auf die Errichtung eines | |
Gottesstaates ausgerichtet.“ Deshalb dürfe es für den Islam „keine | |
prinzipielle Religionsfreiheit“ geben. In einem Interview fordert sie gar, | |
das Kopftuch zu verbieten. Dass Religionsfreiheit ein grundgesetzlich | |
verbrieftes Recht ist, hält sie nicht zurück. Beim Thema Islam ist es mit | |
ihrer Liberalität vorbei. | |
Weidel, die gemäßigte Ergänzung zu Gauland? Das ist ein Missverständnis. | |
Die Ökonomin spricht von „Schuldkult“, sie will Merkel vor Gericht stellen, | |
Gaulands Äußerung, dass man Aydan Özoğuz, die Integrationsbeauftragte der | |
Bundesregierung, in Anatolien „entsorgen“ solle, [4][nennt sie eine | |
„Geschmacksache“]. Inhaltlich gibt sie Gauland recht. Erst als sich die | |
Kritik zuspitzt, rudert Weidel zurück. | |
In der Alten Börse in Leipzig wird ein junger Mann, der stört, von Ordnern | |
aus dem Saal gedrängt. „Grüßen Sie Ihre Lebensgefährtin“, ruft er Weidel | |
auf dem Weg nach draußen zu. „Ich bin in einer eingetragenen | |
Lebenspartnerschaft“, sagt die Ökonomin später in ihrer Rede. Im Privaten | |
stehe die AfD für Wahlfreiheit. Applaus. | |
Weidel weist von sich, ihr Privatleben im Wahlkampf zu instrumentalisieren. | |
Dass sie ihr Leben mit einer Frau teile, sei in einer Fernsehsendung – für | |
sie selbst überraschend – erstmals thematisiert worden. „Ich bin damit | |
bestimmt nicht hausieren gegangen.“ Im Klartext heißt das: ARD-Moderatorin | |
Sandra Maischberger, um ihre Talkshow geht es, soll Weidel geoutet haben. | |
Das aber stimmt nicht. Maischberger hat Weidel zwar auf mögliche | |
Widersprüche zwischen ihrem privaten Lebensmodell und dem Leitbild der AfD | |
(„Die AfD bekennt sich zur traditionellen Familie als Leitbild“) befragt, | |
doch zuvor hatte die Zeit in einer Reportage über Weidels Homosexualität | |
berichtet. „Lesbisch, Lebensgefährtin, kleines Kind“, so stellte der Autor | |
die AfD-Frau unter anderem vor, Weidel hatte ihm davon erzählt. | |
Die AfD profitiert davon, trotz Homophobie in der Partei und unter den | |
AnhängerInnen. Mit einer Lesbe als Spitzenkandidatin kann die Partei nicht | |
so engstirnig und reaktionär sein, wie stets behauptet wird, so lautet das | |
Signal, das gesendet wird. Das ist zwar Unsinn, macht die Partei aber | |
weniger angreifbar. | |
Die oft gestellte Frage, ob Weidel mit ihrem AfD-Engagement nicht gegen | |
ihre eigene Interessen agiere, ergibt auch wenig Sinn. | |
Zwar fordert in Sachsen-Anhalt ein AfD-Abgeordneter Haftstrafen für | |
Homosexualität, in Thüringen nennt einer die Rehabilitierung der Opfer des | |
Paragraphen 175 eine „Schande“, der AfD-Sprecher vergleicht die „Ehe für | |
alle“ mit Sodomie. | |
Doch selbstverständlich gehen Weidels Interessen, wie bei jedem Menschen, | |
nicht allein auf ihre sexuelle Orientierung zurück. Wirtschaftsfreiheit, | |
Dexit, Bekämpfung des Islams, Massenabschiebung, Schließung der Grenzen – | |
das sind alles Herzensanliegen der AfD-Politikerin. | |
Wie auch ihre Karriere. Bei der AfD steht Alice Weidel endlich an der | |
Spitze. | |
9 Sep 2017 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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