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# taz.de -- Debatte Parteien im Wahlkampf: Von der Nützlichkeit der AfD
> Es ist für alle etablierten Parteien bequem, vor der AfD zu warnen –
> statt selbst Alternativen zu entwickeln. Das ist gefährlich.
Bild: Die AfD ist für alle anderen Parteien eine Art Voodoopuppe, in die sie h…
Es ist ja wahr: Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist ein
Haufen von politisch unappetitlich agierenden Politikern und
Politikerinnen. Sie repräsentiert im nächsten Bundestag jene Mentalität,
die bis zur Kanzlerschaft Angela Merkels noch gut in der Union beheimatet
war (und das oft, wenn auch nur am Rande, noch ist).
Alexander Gaulands Positionen, etwa jüngst mit der giftigen Stigmatisierung
der Politikerin Aydan Özoğuz als Anatolierin, die in Deutschland eigentlich
nichts verloren habe, oder seine Erörterung vor vielen Monaten, ob der
populärste einheimische Fußballspieler Jérôme Boateng, mit seiner nicht
hellen Hautfarbe überhaupt nachbarschaftsfähig sei, sind in den Gefilden
der CDU und CSU noch in den frühen achtziger Jahren im Mainstream gängig
gewesen.
Der Rest der Partei, handelt es sich nun um Alice Weidel, Frauke Petry oder
Jörg Meuthen, steht für eine Politik, die nicht anschlussfähig sein sollte.
Aber im Bundestag wird man trotzdem mit ihr auskommen müssen – und sei es
im dauerhaften, sachlichen Streit. Für jene, die für die offene, und das
heißt eben auch offensiv multikulturelle Gesellschaft eintreten, ist es
eigentlich nicht nützlich, die AfD zu dämonisieren.
Es sind nämlich keine Nazis, die sich entmusealisiert haben, sondern, viel
schlimmer, moderne Politiker*innen auf völkisch gesinnter Grundlage. Wir
als Publikum konnten lernen, dass diese Partei sich im Spektrum des
parlamentarisch Möglichen verankern konnte und dies weiter tun wird, auch
im Oktober im Landtag Niedersachsens. Ihr Publikum wählt diese Partei, weil
sie es möchte. Und nicht, weil mangels Protestmöglichkeit andere Parteien
nicht infrage kommen.
## Die AfD ist auch ein Produkt der anderen
Das kann und muss so hingenommen werden. Was auch bedeutet, dass die
etablierten Parteien sich in den vergangenen Tagen viel zu stark an
dieser Partei abgearbeitet haben. Sie ist schließlich nur ein Faktor, eine
Hauptrolle kann sie nicht beanspruchen. In Wahrheit ist es aber so, dass
die AfD zugleich für alle anderen der momentan im Bundestag vertretenen
Parteien eine Art Voodoopuppe ist, in die alle anderen ihre Nadeln
hineinpieksen, hoffend, dass der rechtspopulistische Spuk dann gebannt ist.
Das wird aber nicht passieren. Die AfD ist auch ein Produkt aller anderen
Parteien. Sie hat mehr zu bieten als nur Rassismen und Wünsche nach der
angeblich heilen Familie der fünfziger Jahre. Die von Bernd Lucke als
eurokritisch gegründete Organisation artikuliert ja auch immer all das, was
die Parteien der Merkel-Republik nicht oder nicht mehr artikulieren. Unter
der CDU Angela Merkels ist alles Konsens geworden, alternativlos eben. Gut,
dass es da die AfD gibt, die immer wieder zuverlässig über die Stränge
schlägt.
## Niemand traut sich an Themen
Der Clou an dieser seltsam entpolitisierenden Inszenierung zur Abwehr der
AfD ist nur: Sie belässt alle anderen in Bequemlichkeit. Alles, was an
Zukunftsfragen – in möglichst scharfem Dissens – zu erörtern wichtig wär…
bleibt auf diese Weise ausgespart.
Diese sind jetzt allenfalls, und wenn, dann nur verzagt Thema: Wie
integriert man in puncto Bildung und Ausbildung die Flüchtlinge, die in den
vergangenen Jahren ins Land einwanderten? Und: Braucht es nicht ein
Einwanderungsrecht, das diesen Namen verdient? Wo ist die politische
Alternative, die eine Bildungsreform wie in den sechziger Jahren fordert –
damals zugunsten des aus dem Proletariat aufsteigenden Nachwuchses, diesmal
zugunsten neuer Deutscher, denen Wege in die Mittelschichten bislang nicht
sehr offen stehen.
Und: Weshalb stockt es in der Politik gegen den Klimawandel, wo gibt es
eine entschiedene Alternative zum weiterhin geltenden Primat des Autos und
dem verschleppten Ausbau der Eisenbahn- und Fahrradmobilität? Muss nicht
eher als über Migrationsabwehr darüber diskutiert werden, wie man die
ökonomisch Abgehängten in ihren obszön schlecht bezahlten Berufen
grundsichert – mit entsprechenden Vorsorgen für die Zeit nach dem
Erwerbsleben? Was ist mit der maroden öffentlichen Infrastruktur,
baufälligen Schulen und Hochschulen – gäbe es in dieser Hinsicht nicht mehr
zu sagen als das, was die SPD anzumelden hat?
Wie sieht es mit Disputen zur ökonomischen Struktur der Bundesrepublik nach
den petrochemisch betriebenen Autos aus? Wie steht es um eine Politik, die
sozialen Wohnungsbau fördert – als Masterplan, nicht nur als kommunale
Idee? Kurzum: Ein Eco New Deal mit monströsem Milliardenaufwand an
Investition wäre wichtig – stattdessen halten sich alle, auch
Sozialdemokraten, Grüne und inzwischen auch viele Linke an das, was als
Wort „Schuldenbremse“ berüchtigt wurde und ist?
## Wichtiger bleibt, das System Merkel auszuhebeln
Die Merkel-Republik ist eine, die alle Konflikte im Namen von Sachzwängen
sedierte – und sich nun beschwert, dass da ziemlich schreckliche neue
Figuren am Horizont auftauchen und sich nicht an die Schicklichkeiten des
Politbetriebs halten. Das ist, zugegeben, ein wütend stimmender Befund,
denn die Verve des gesellschaftlichen Protests hätte eher von
libertär-linken Kräften kommen müssen.
Das AfD-Publikum selbst verdient diese Aufmerksamkeit nicht, es steht für
völkische Grundierungen. Politiker*innen dieser Prägung müssen ertragen
werden, nicht mehr, nicht weniger. Es gibt keine Gemeinsamkeiten mit
Rechten, weder grundsätzlich noch punktuell, und wird dies noch so oft von
Jakob Augstein und seinen Freunden mit antikapitalistischem
Gesinnungsbrennstoff behauptet.
Wichtiger bleibt, das System Merkel auszuhebeln. Alternativen überhaupt zu
denken. Sie und ihre Partei stehen alles in allem für eine Politik des
Weiter-so – nicht für die Reform der Bundesrepublik unter den Vorzeichen
der offenen Gesellschaft. Ohne eine souveräne Erörterung von Fragen der
Einwanderung, der Integration, der Multikulturalität, von Projekten wie
Renovierung der öffentlichen Infrastrukturen wird dies nicht möglich sein.
Merkel ist für die meisten das kleinere Übel. Gesucht, ab sofort: die
Alternative. Dass diese nicht links im traditionellen Sinne sein kann – das
versteht sich von selbst.
8 Sep 2017
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Schwerpunkt AfD
Wahlkampf
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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Lesestück Recherche und Reportage
FDP
TV-Duell
Schwerpunkt AfD
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