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# taz.de -- „Kanzlerkandidatin“ der AfD: Propagandashow für Weidel
> Die extrem rechte AfD bringt sich für den Wahlkampf in Stellung: Die
> „Kanzlerkandidatin“ Alice Weidel steht für Rassismus und
> Marktradikalismus.
Bild: Arbeitete mal in der Investmentbank „Goldman Sachs“ und hat einen Zwe…
Berlin taz | In einem Gewerbegebiet des Berliner Außenbezirks Reinickendorf
machten am Samstagvormittag rund 200 Demonstrant*innen Lärm. Sie
hielten Plakate hoch mit Slogans wie „Nazis hatten wir schon mal – war
scheiße“, „keine Machtergreifung 2.0“ oder auch „Lesben gegen Rechts�…
die Demo vor der AfD-Parteizentrale haltmacht, einem heute komplett mit
blickdichten Bauzäunen abgeriegelten Erdgeschoss, ruft eine Aktivistin ins
Mikro: „Die AfD hat angekündigt, ihre aggressiv-rassistische Hasspredigerin
und sozialchauvinistische Vorsitzende Alice Weidel als Spitzen- und
Kanzlerkandidatin für die Bundestagswahl zu präsentieren“ – laute Buhrufe
und Pfiffe – „wir sind hier, um diese Propagandashow zu kontern“, ruft si…
Die Partei sei angesichts ihrer Planungen von Umsturz und
Massendeportationen eine Gefahr für alle, besonders aber für Menschen mit
Migrationsgeschichte. Die Partei und allen voran Weidel hetzten gegen
Minderheiten und stempelten sie zu Sündenböcken für soziale Missstände ab,
ruft sie: „Und wenn Alice Weidel noch so oft versucht, die AfD zu
entdämonisieren und ihr ein bürgerliches Deckmäntelchen umzulegen – die AfD
bleibt eine im Kern faschistische Partei!“ Am Ende ihrer Rede skandiert die
ganze Demo: „Alle zusammen gegen den Faschismus!“
Kurz darauf sieht drinnen in der Parteizentrale tatsächlich viel nach
Propagandashow aus: Die AfD hat aufgrund ihrer Radikalität keine Chance,
Regierungsverantwortung zu übernehmen, keine andere Partei will mit ihr
koalieren. Dennoch hat sie am Samstag mit Alice Weidel erstmals einen
„Kanzlerkandidaten“ aufgestellt – nicht gegendert, versteht sich.
Spitzenkandidatin Weidel ließ sich grinsend im Presseraum der
Geschäftsstelle vorstellen und von ihrem Co-Chef Tino Chrupalla lobpreisen
– unter dem demonstrativen Applaus der anwesenden AfD-Landessprecher*innen.
Weidel sagte: „Heute ist ein großer Tag für die Partei und ein großer Tag
für Deutschland“. Sie freue sich, dass sie einstimmig vom Bundesvorstand
und den Landesvorsitzenden nominiert wurde und stellte dann den Slogan für
die Bundestagswahl vor: Der soll „Zeit für Deutschland“ lauten. Anleihen an
die verbotene NS-Parole „Alles für Deutschland“ sind vermutlich intendiert.
Der Kopf der völkischen Parteiströmung, Björn Höcke, [1][wurde für die
Verwendung des SA-Leitspruchs bisher zweimal verurteilt] – in der radikalen
Anhängerschaft und [2][der Parteijugend] ist seither auch der Slogan „Alice
für Deutschland“ durchaus gebräuchlich.
## Perlenkette und Reichsbürgersprech
Für die radikalen Strippenzieher in der Partei ist die in der
AfD-Anhängerschaft sehr beliebte Weidel so etwas wie das bürgerlich
aussehende Aushängeschild – mit Hosenanzug, Perlenkette und Doktortitel in
Volkswirtschaftslehre. Tatsächlich [3][stimmte Weidel 2017 noch für den
Parteiausschluss von Björn Höcke], als es im Bundesvorstand noch eine
Mehrheit dafür gab. Diese Zeiten sind allerdings vorbei: Heute applaudiert
Höcke als Claqueur auf ihrer Nominierungs-Pressekonferenz.
Vor allem aber stützt Weidel sich auf das mittlerweile [4][dominante
Netzwerk um den Vize-Fraktionssprecher im Bundestag], Sebastian
Münzenmaier, einen wegen Körperverletzung verurteilten ehemaligen Hooligan.
Weidel ist jede Unterstützung recht -innerparteilich gilt sie vor allem als
Opportunistin, die vor allem eines will: Ganz vorne stehen.
Allerdings findet sich auch bei Weidel bei näherem Hinschauen ideologisch
wenig Bürgerliches: Wie Weidel politisch tickt, hat sie 2013 in einer
[5][später geleakten E-Mail] in Reinform ausformuliert: Darin schrieb
Weidel, dass Deutschland „von kulturfremden Völkern wie Arabern, Sinti und
Roma etc. überschwemmt“ würde und „von Verfassungsfeinden“ regiert werd…
„diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte des 2.
Weltkriegs“, schrieb sie da im Reichsbürgersprech. Unterschrieben war die
Mail mit lieben Grüßen von „Lille“, ihrem Spitznamen. Zuerst stritt Weidel
ab, dass sie die Mail verfasst habe, [6][später aufgrund der erdrückenden
Beweislage nicht mehr]. Heute will sie über die Mail [7][gar nicht mehr
sprechen].
## Mehr Milei wagen?
Mittlerweile ist Weidel aber eher bekannt für spitze Reden mit
rassistischen Tiraden gegen „Messermänner“ und „Kopftuchmädchen“, abe…
für düstere Untergangsszenarien, die sie vom Abstieg Deutschlands zeichnet.
Ihre Antwort auf den angeblichen Untergang ist: Mehr Milei wagen. So
jedenfalls hört es sich am Samstag an, wenn sie – ganz die Marktradikale
mit Vergangenheit in einer Investmentbank und Zweitwohnsitz in der Schweiz
– von einem „freiheitlichen Programm“ spricht und sagt, Klimaregulierungen
seien eingeführt worden „von einem gefräßigen Steuerstaat, der sich wie
eine Raupe Nimmersatt durch Unternehmen, durch die Arbeitnehmerschaft
durchfräst und ihnen alles wegnimmt, was sie sauer verdient haben.“
Natürlich durfte auch Rassismus nicht fehlen: Deutschlands ist eines der
wohlhabendsten und sichersten Länder der Welt – Weidel aber behauptete
trotzdem, dass die deutsche Bevölkerung „Freiwild“ sei für „marodierend…
ausufernde Migrantengewalt“. Migration sei die „Ursache allen Übels“,
behauptete Weidel. Der Applaus ihrer AfD-Länderchefs war ihr dafür sicher.
Die Plakatkampagne der AfD orientiert sich am Hauptslogan „Zeit für
Deutschland“ und beinhaltet neben dem offensichtlichen Nationalismus auch
Geschichtsrevisionismus – etwa den Slogan „Zeit, wieder stolz zu sein“.
Apropos Revisionismus: Zeitweise [8][soll wohl sogar über den Slogan „Zeit
für ein Comeback“ diskutiert worden sein]. Ansonsten hat die
autoritär-nationalradikale Partei für alle reaktionären Forderungen, die
sie auch sonst auch so erhebt, ein Plakat: „Illegale“ raus, Grenzen dicht,
Windräder stoppen.
## Programm „jenseits der Koalitionsfähigkeit“
Auch das Wahlprogramm hat es in sich. Laut dem der taz vorliegendem Entwurf
will die Partei den Dexit, also den EU-Austritt, ebenso soll die D-Mark
zurück. Die Sanktionen gegen Russland will die AfD aufheben und die Ukraine
für billiges russisches Gas opfern – sie verurteilt in dem Programm nicht
einmal den russischen Angriffskrieg. Sie leugnet die menschengemachte
Klimakrise, will das Recht auf Abtreibungen stark einschränken, lädt
soziale Fragen rassistisch auf und will eine völkisch grundierte
Familienpolitik, einschließlich Herdprämie für die Frauen. Der
Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder wertete vor allem die
Dexit-Forderung als provokative, fundamentale Maximalposition „jenseits der
Koalitionsfähigkeit“.
Der Präsident des [9][Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung], Marcel
Fratzscher, sagte: „Die Forderungen der AfD nach einem Austritt aus der EU
und aus dem Euro zeugen von einer bemerkenswerten Inkompetenz und von
blankem Populismus, der die Menschen in diesem Land verhöhnt.“ Der Austritt
aus dem Euro und aus der EU würde in Deutschland einen enormen
wirtschaftlichen Schaden verursachen, so Fratzscher. Die Bundesrepublik
profitiere vom Euro und der EU wie kaum ein anderes EU-Land.
Fratzscher wiederum zeichnete wie Weidel ein düsteres Bild von Deutschland
– aber eben, wenn das AfD-Programm umgesetzt würde: „Das Resultat der von
der AfD geforderten Politik wäre eine massive Deindustrialisierung,
Massenarbeitslosigkeit und der Verlust von Wohlstand überall in der
Republik.“ Die größten Opfer von AfD-Politik wären die Wähler*innen der
AfD selbst – „denn vor allem die strukturschwächeren Regionen und jüngere
und weniger mobile Menschen hätten keine Möglichkeit mehr, ihren
Lebensstandard zu sichern“, so der Wirtschaftsexperte.
## Spagat Russlandfrage
Besonders [10][die Russlandfrage] könnte für die AfD zum unbequemen Spagat
werden: Während in Ostdeutschland das [11][Kuscheln mit Putin] besser
ankommt, befremdet es eher im Westen – aber dort lebt nun einmal der
Großteil der Wähler*innen. Wohl auch deswegen drückt sich die AfD um das
Thema Wehrpflicht im Programm: Obwohl die Partei für Aufrüstung ist und im
Grundsatzprogramm eine Wehrpflicht fordert, taucht das Wort im Wahlprogramm
nicht einmal auf.
Das Hauptproblem für die Partei bleibt jedoch die Brandmauer. Denn trotz
der hohen Zustimmungswerte zuletzt bleibt es natürlich Show, wenn Weidel
sich „Kanzlerkandidat“ nennt – eine Aussicht zu regieren hat die Partei
nicht. Sie liegt in den Umfragen zwischen 17 und 19 Prozent und ist damit
momentan zweitstärkste Kraft hinter der CDU. Kein Wunder, dass sie im
Wahlkampf deswegen vor allem die Union und die Brandmauer angreifen will.
Entsprechend freute sich der Bundesvorstand der AfD ganz gewaltig darüber,
dass sich die Konkurrenz in den letzten Monaten mit Abschottungspolitik
überboten hat, wie es in einem der taz vorliegenden Strategiepapier des
Bundesvorstands heißt: „Als AfD begrüßen wir die durch die ‚Normalisieru…
unserer Forderungen wachsende Anschlussfähigkeit von etablierten
politischen Kräften und Bewegungen an die AfD.“ Um die „Koalitions- und
Regierungsfähigkeit der AfD“ zu unterstreichen, wolle man nicht nur
Alleinstellungsmerkmale herausstellen, sondern insbesondere „auch die
Schnittmengen mit den Parteien, welche sich einer Zusammenarbeit bislang
noch verweigern.“ Zuerst hatte der [12][Deutschlandfunk über das Papier]
berichtet.
Die Rednerin vom Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ vor der Tür sagte es
so: „Wer meint, AfD-Wähler*innen dadurch zurückholen zu können, dass man
soziale Projekte zusammenstreicht, statt Reichtum zu besteuern oder selbst
vor angeblich unkontrollierter Migration warnt, ist auf dem Holzweg.“ Sie
kritisierte mit Blick auf die Normalisierung der AfD vor allem die
politische Konkurrenz: „Wer selbst ankündigt, das Asylrecht noch weiter
schleifen zu wollen und noch schneller abschieben zu müssen, gibt der AfD
und ihren Nazi-Kumpan*innen letztlich recht und macht sich zu ihrem
Steigbügelhalter.“
Die Aktivist*innen kündigten an, wie zuletzt in im Sommer beim
Bundesparteitag in Essen, wo 70.000 gegen die AfD demonstrierten, mit einem
breiten Bündnis auch gegen den anstehenden Parteitag in Riesa am 11. und
12. Januar in Riesa demonstrieren zu wollen. Dort soll Weidel vom Parteitag
als „Kanzlerkandidat“ bestätigt werden.
7 Dec 2024
## LINKS
[1] /Urteil-gegen-AfD-Politiker/!6009855
[2] /AfD-Streit-um-die-Junge-Alternative/!6050227
[3] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2017/12/01/er-passt-besser-in-d…
[4] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-fraktionsvize-sebastian-muen…
[5] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus168480470/Diese-Schweine-sind-n…
[6] https://www.welt.de/politik/deutschland/article168695526/AfD-Spitzenkandida…
[7] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/weidel-email-afd-10-jahre-100.html
[8] https://www.rnd.de/politik/afd-kampagne-fuer-bundestagswahl-2025-kein-dexit…
[9] https://www.diw.de/de/diw_01.c.879742.de/publikationen/diw_aktuell/2023_008…
[10] /Die-AfD-und-der-Krieg-in-der-Ukraine/!5844230
[11] /AfD-Abgeordnete-reisten-nach-Russland/!6049991
[12] https://www.deutschlandfunk.de/mit-diesen-forderungen-will-die-afd-in-den-…
## AUTOREN
Gareth Joswig
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