# taz.de -- Kolumne Psycho: Erschöpfung ist keine Faulheit | |
> Eigentlich sollte ich aufräumen, saubermachen, in den Waschsalon fahren. | |
> Eigentlich will ich auch. Aber meine Kapazitäten sind begrenzt. | |
Bild: Die XXL-Maschine ist die einzige, in die das stinkende Hundebett passt | |
Eigentlich wollte ich diese Kolumne im Waschsalon schreiben. Neben der | |
XXL-Maschine, der einzigen, in die das Hundebett passt. Seit acht Wochen | |
wird der Geruch des Bettes synchron zur Hitze täglich penetranter, und seit | |
ebenfalls acht Wochen plane ich, das zu ändern – vor allem, um die | |
Beziehung zu meinem Freund nicht zu gefährden. | |
Mich stört der Gestank auch, aber nur in dem Maße, in dem mich ein leerer | |
Kühlschrank, dreckiges Geschirr und vertrocknete Blumen stören. Solange es | |
sich nicht um Dinge handelt, die überlebenswichtig oder rufschädigend sind, | |
mache ich einfach meinen inneren Lichtschalter aus. Was ich nicht sehen | |
kann, ist nicht da. Klick. In einem Bewerbungsgespräch würde ich behaupten, | |
dass ich wahnsinnig gut darin bin, Prioritäten zu setzen. Aber die Wahrheit | |
ist: Meine Ressourcen sind begrenzt. | |
Während andere Menschen über die Energiereserven eines Atomkraftwerks | |
verfügen, ähneln meine eher dem Output von Solarzellen ohne | |
Speicherfunktion. Meistens reichen sie nur für das Nötigste: duschen, | |
arbeiten, mit dem Hund rausgehen. Für alles andere, wie Einkaufen, Geschirr | |
spülen und bei 36 Grad in einen Waschsalon ans andere Ende der Stadt zu | |
fahren, ist der Akku zu schwach. Selbst für das ausführliche Telefonat mit | |
einer Freundin, auf das ich mich eigentlich freue. | |
Die US-Amerikanerin Brittany Ernsperger [1][teilte vor einiger Zeit ein | |
Bild auf Facebook], das einen Berg frisch gespülten Geschirrs zeigt. | |
Darunter schrieb sie: „So sehen Depressionen aus.“ Und präzisierte, dass | |
sie nicht das saubere Geschirr meint, sondern die Tatsache, dass sie es | |
zuvor zwei Wochen lang nicht geschafft hatte, abzuwaschen, obwohl sie doch | |
eigentlich wollte, sollte, gemusst hätte. | |
## Pizza aus Pappschachteln | |
Man muss keine Depressionen haben, um das nachvollziehen zu können. Eine | |
Angststörung tut es auch. Oder Liebeskummer. Oder Überarbeitung. In | |
Notsituationen fährt der Körper runter und konzentriert sich darauf, am | |
Leben zu bleiben und sich zu regenerieren. Ob das Geschirr sauber ist, ist | |
ihm scheißegal – Pizza essen kann man schließlich auch aus Pappschachteln. | |
Sogar sehr gut. | |
Das Schlimmste am Nichterledigen ist aber gar nicht, so auch Ernsperger, | |
dass Dinge liegen bleiben, sondern dass einem andere womöglich Faulheit | |
unterstellen. Eine von sieben schlechten Charaktereigenschaften, die als | |
Ursachen von Todsünden gelten, nicht nur in der christlichen Theologie. | |
Dabei ist Faulheit etwas, wofür man sich entscheidet; Müßiggang der | |
bewusste Verzicht auf Pflichten. Bei Erschöpfung bleibt einem gar keine | |
andere Wahl. | |
Deshalb überlege ich sehr sorgfältig, wofür ich meine Energie einsetze. Und | |
plane genug Zeit ein, um meine Zellen wieder aufzuladen, egal ob vor dem | |
Fernseher oder auf der Hundewiese. Und was das stinkende Hundebett | |
betrifft: Heute Abend fahre ich in den Waschsalon. Nach zwei Tagen Erholung | |
bin ich dann am Montag bei der Arbeit auch wieder voll einsatzbereit. | |
3 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
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