# taz.de -- Kolumne Psycho: Angststörung zum Anziehen | |
> Wie kann man beschreiben, was unbeschreiblich ist? Entweder mit Worten. | |
> Oder mit Objekten, die Gefühle spürbar machen. | |
Bild: „The Bender“: Beugt den Kopf Richtung Boden | |
Es gibt eine Frage, die mir in fast jedem Interview gestellt wird: Wie | |
fühlt sich eine Panikattacke an? Ich muss dann immer daran denken, wie | |
enttäuscht ich früher war, wenn die Verfilmung eines Buches ganz anders | |
aussah, als das, was ich mir beim Lesen vorgestellt hatte. | |
Jeder hat seine eigene Wahrheit, seine eigenen Empfindungen, und die eins | |
zu eins zu transportieren, ist nahezu unmöglich. Selbst, wenn die | |
Hauptfigur als brünett beschrieben wird, sieht der eine vor dem inneren | |
Auge ein dunkles Blond, der andere ein sattes Braun und der nächste ein | |
helles Braun mit Rotstich, von der Länge und der Struktur der Haare mal | |
ganz zu schweigen. | |
Aus meinem Versuch, meine Angststörung zu beschreiben, ist ein ganzes Buch | |
geworden – und bin immer noch nicht sicher, ob ich die richtigen Worte | |
gefunden habe. | |
Johanna Dreyer, Nele Groeger und Luisa Weyrich haben im Rahmen ihres | |
Masterstudiengangs an der Universität der Künste in Berlin einen anderen | |
Weg gewählt, Angststörungen und Depressionen zu vermitteln. Nicht durch | |
Worte, sondern durch Objekte. | |
## Emotions-Simulatoren | |
Ihre Idee ist auf den ersten Blick so naheliegend, dass sie schon wieder | |
genial ist: Da psychische Probleme nicht nur im Kopf stattfinden, sondern | |
auch das körperliche Befinden beeinflussen, sollen sogenannte | |
Emotions-Simulatoren zum Anziehen genau das erfahrbar machen. Denn, siehe | |
oben, es ist eben ein Unterschied, sich etwas nur vorzustellen oder es am | |
eigenen Leib zu spüren. | |
Weil ich mir das unbedingt anschauen will, fahre ich am vierten und letzten | |
Tag zu ihrer Pop-Up-Ausstellung [1][„The Shitshow – A show about shitty | |
feelings“]. Auf dem Weg dorthin fühle ich mich beschissen, aber hey, ich | |
bin eben Perfektionistin. Dann stehe ich vor einer Tafel mit der Aufschrift | |
„When was the last time you felt shitty?“ und es geht mir sofort besser. | |
Ich bin nicht allein. Die meisten Besucherinnen und Besucher haben ihre | |
Aufkleber bei „Today“ platziert. Meiner klebt da jetzt auch. | |
Nebenan kann man Ratschläge für schlechte Zeiten auf Zettel schreiben und | |
dafür einen anderen mitnehmen. Zwischen Empfehlungen wie Natur, Sport, | |
Natur, Sex und nochmal Natur stehen Sachen wie: Im Auto schreien. Eat eat | |
eat. Irgendwie klarkommen. | |
Und dann sind da noch die vier Objekte zum Anziehen. Ein Helm wie ein | |
überdimensionales Blaulicht, der einen sowohl schlechter atmen als auch die | |
Welt nur noch schemenhaft erkennen lässt. Eine Art gebogene Luftmatratze | |
mit Rucksackträgern, die einem den Kopf Richtung Boden beugt. Ein wurstiges | |
Konstrukt, das wie eine Kette in den 20ern vorne eng und hinten lang | |
getragen wird und hart auf den Kehlkopf drückt. Ein Umhang, der mit sechs | |
Kilo Sand gefüllt ist. | |
## Kehlkopfwürger | |
Während mir die Schwere des Umhangs gut tut und mich erdet, setze ich den | |
Helm nur kurz auf. Atemnot. Auf den Kehlkopfwürger verzichte ich ganz, ich | |
kenne das Gefühl auch so gut genug. Als ich den Beuger anhabe, spricht mich | |
eine junge Frau an – es ist unmöglich, ihr ins Gesicht zu sehen. | |
Aber wir kommen ins Gespräch. Genau wie die anderen Besucherinnen und | |
Besucher, die sich über ihre Empfindungen austauschen. So sei die | |
Ausstellung auch gedacht, sagt Nele Groeger: Als Kommunikationsmöglichkeit | |
zwischen Betroffenen und Nicht-Betroffenen, die zur Sensibilisierung und | |
Entstigmatisierung beitragen soll. | |
Die psychologisch-psychotherapeutische Beratung des Studierendenwerks | |
Berlin benutzt die Simulatoren bereits zur Prävention, da Depressionen und | |
Angststörungen unter Studierenden weit verbreitet sind und es in den | |
Wohnheimen immer wieder Suizide gibt. Und die Frau neben mir, die gerade | |
sehr viele Fotos macht, arbeitet in einer Klinik und will direkt alle | |
Objekte kaufen. | |
Wer weiß, vielleicht gehen die Prototypen ja bald in Serie. Im Zweifel | |
könnten sie Leben retten. | |
22 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.designtransfer.udk-berlin.de/projekt/the-shitshow-a-show-about-s… | |
## AUTOREN | |
Franziska Seyboldt | |
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