| # taz.de -- Fischbestände in Ostfriesland: Stinkender Sommer | |
| > Die Wieken trocknen aus, in den Entwässerungssystemen sterben die Fische. | |
| > Ausgerechnet das Naturschutzgesetz erschwert die Rettung von Kanal-Aal, | |
| > Barsch und Zander. | |
| Bild: Weil sich der Süßwassergehalt geändert hat, starben tonnenweise die Br… | |
| MOORMERLAND taz | „Ich bin Veganer und möchte jedes Leben schützen“, sagt | |
| Peter Hübner von der Vereinigung „Ostfriesen gegen Tierleid“. Aber man | |
| könne ja niemandem verbieten Fisch zu essen, da ist der Tierrechtler | |
| kompromissbereit. | |
| Und so bildet der Verein mit den vermeintlichen Gegnern, den Anglern, jetzt | |
| eine Allianz gegen das Fischsterben in den ostfriesischen Wieken, den | |
| traditionellen Entwässerungskanälen Ostfrieslands: Samstagvormittag ab 10 | |
| Uhr brechen Angler und Tierschützer vom Rathaus Jheringsfehn aus [1][zur | |
| gemeinsamen Abfischaktion] in der Gemeinde Moormerland, zwischen Emden und | |
| Leer auf, zu der sie über Social-Media-Kanäle mobilisieren: Die Fische dort | |
| sollen in einen Nebenkanal umgesetzt werden. | |
| Außerdem erheben sie gemeinsame Forderungen. So verlangen sie, das | |
| Entwässerungssystem grundsätzlich besser zu unterhalten, die Kanäle zu | |
| entkrauten und sie im Notfall zusätzlich zu bewässern: Pumpen sollen Wasser | |
| aus größeren Kanälen in kleinere leiten. Denn wegen der anhaltenden Hitze | |
| trocknen in Moormerland, Wiesmoor, Rhauderfehn die Wieken aus. Allerorten | |
| sind die Fischbestände in Gefahr. | |
| „Wir müssen interessenübergreifend kooperieren, auch wenn wir grundsätzlich | |
| mit der Angelei nicht einverstanden sind“, stellt Hübner klar. Uwe Brahms | |
| vom Leeraner Angelverein freut sich: „Wir unterstützen die Tierschützer | |
| gerne. Man muss sich aber fragen, ob das Trockenfallen der Wieken nicht | |
| hätte im Vorfeld verhindert werden können.“ | |
| Die Kritik richtet sich besonders gegen die [2][Gemeinde Moormerland], den | |
| [3][Landkreis Leer], die [4][Sielacht], den [5][Entwässerungsverband] und – | |
| das Bundesnaturschutzgesetz. Denn Wieken haben in der Regel nur einen | |
| geringen Wasserstand – mehr oder weniger einen Meter, bei einer Breite von | |
| einem Meter aufwärts. | |
| Tiefs sind richtige Kanäle mit mehr Tiefe und größerer Breite. Der | |
| Schilfbestand an den Ufern wächst in die Gewässer hinein und stoppt die | |
| Bewegung des Wassers. „Das ist ein altes Problem“, erklärt Adolf Wilken vom | |
| Entwässerungsverband Oldersum. Gemäht werden könne aber nur ab Herbst und | |
| in Intervallen. „Das ist im Bundesnaturschutzgesetz [6][so | |
| vorgeschrieben].“ | |
| Zusätzlich leiden die Wieken unter Schlammablagerungen. Bei Niedrigwasser | |
| oder Trockenfallen bilden sich Fäulnisgase, es stinkt zum Himmel. „Da sind | |
| wir erst mal machtlos“, kommentiert Wilken. In Wieken und Tiefs landen | |
| nicht selten Rasenschnitt und Müll der Anwohner. Auf dem Kanalgrund finden | |
| sich alte Fahrräder, verrottete Ruderboote und Baumaterial. Manchmal | |
| rutscht auch ein PKW über die Böschung, deren Fahrer nach durchzechter | |
| Nacht den direkten Weg nach Hause gesucht hat. | |
| Auf dem Grund wurzeln aber auch viele Pflanzen, die zum Teil geschützt | |
| sind. Das Bundesnaturschutzgesetz regelt jede Intervention in diese | |
| Lebensräume. „Wenn wir irgendwas an den Wieken machen, befinden wir uns im | |
| strafrechtlichen Raum“, erklärt Bettina Stöhr, Bürgermeisterin von | |
| Moormerland. Sie klingt verzweifelt: „Wenn die Tierschützer verlangen, | |
| zusätzlich Wasser aus den größeren Tiefs in die kleineren Wieken zu pumpen | |
| und die Angler fordern, wir sollen den Schlamm ausbaggern, protestieren die | |
| Pflanzenfreunde, wir würden Schilf und die streng geschützte Krebsschere | |
| aus dem Grund reißen.“ | |
| ## Eingriffe bedürfen einer Genehmigung | |
| Der Landkreis Leer muss alle Eingriffe in die Wieken genehmigen. „Nicht nur | |
| Moormerland, alle Gemeinden sind betroffen“, erläutert Kreissprecher Dieter | |
| Backer. Das Ganze sei „ein grundsätzliches Problem“. Man habe auch schon | |
| vor der Intervention der Tierschützer mit den Gemeinden gesprochen, denn | |
| „das Landesveterinäramt (LAVES) [7][hat uns gewarnt], das Pumpwasser könnte | |
| fauligen Schlamm aufwirbeln und den Sauerstoffgehalt der Wieken noch mehr | |
| beeinträchtigen“. Nach mehrmaligen Wasserproben des Landkreises und der | |
| Gemeinde Moormerland wurde dann trotzdem gepumpt. | |
| Die Bürgermeisterin von Moormerland, Bettina Stöhr, unterstützt die | |
| Pumpaktion. Aber: „Wir können nicht pausenlos pumpen. Weil keine großen | |
| Pumpen an die Ufer des größeren Kanals geschafft werden können, muss unsere | |
| freiwillige Feuerwehr mit ihren mobilen, kleineren Einheiten das machen.“ | |
| Bloß: Deren Leute bekommen dafür nicht von jedem Arbeitgeber frei. Auch | |
| könne das nur eine Notmaßnahme bleiben: „Was ist, wenn sich die Wetterlage | |
| nicht bessert?“, so Stöhr. Unterstützung bekommt sie vom | |
| Entwässerungsverband Oldersum. „Wasser fließt immer von oben nach unten“, | |
| erklärt Adolf Willken. „Wenn wir von unten, also aus den niedriger | |
| gelegenen Tiefs, Wasser in die höher gelegenen Wieken pumpen, fließt es | |
| wieder in die Tiefs zurück.“ | |
| ## Wehre könnten helfen | |
| „Wir wollen das Problem grundsätzlich lösen“, unterstreicht Tierrechtler | |
| Peter Hübner. Denn er ist sich sicher, eine Hitzeperiode wie jetzt könne | |
| sich jederzeit wiederholen. Deswegen fordert er einen runden Tisch aller | |
| Beteiligten. | |
| Das Ziel: Das Naturschutzgesetz wäre so zu ändern, dass das ostfriesische | |
| Entwässerungssystem nachhaltiger durch Baggern und Mähen saniert werden | |
| kann. Außerdem sollen zusätzliche Wehre in die Wieken eingebaut werden, um | |
| einen Rückfluss des Wassers in die Tiefs zu verhindern. Landkreis und | |
| Gemeinde Moormerland unterstützen das. „Wieken und Tiefs sind ein | |
| Kulturgut. Wir wollen die Fische schützen und die Kulturlandschaft | |
| bewahren“, meint Peter Hübner von „Ostfriesen gegen Tierleid“. | |
| ## Bis zum Hals im Wasser | |
| Normalerweise stehen Ostfriesen bis zum Hals im Wasser. Deswegen gibt es | |
| für sie zwei existenzielle gegenläufige Notwendigkeiten: Die Nordsee muss | |
| aus dem Binnenland rausgehalten – dafür sorgt der Deichbau – und | |
| gleichzeitig muss das Regenwasser von Land zügig in die Nordsee abgeführt | |
| werden. Seit dem 16. Jahrhundert wurden zur Entwässerung des Landes Wieken | |
| und Tiefs als Abflüsse gegraben. Sie ermöglichten erst die Besiedlung der | |
| moorigen Küstenregion und veränderten eine Naturlandschaft zu einer von | |
| Menschen gemachten Kulturlandschaft. | |
| „Diese Wasserwege waren mangels Straßen lange Zeit die einzigen | |
| Verkehrswege“, erläutert Adolf Wilken. „Sie wurden mit flachgängigen | |
| Schiffen, den Mutten und Tjalken, befahren.“ Im Winter, bei Frost, seien | |
| Schlitten und Schlittschuhe die Verkehrsmittel gewesen. Bis heute prägen | |
| die Kanäle das Landschaftsbild und sind äußerst beliebte Sportboot- und | |
| Kanu-Reviere. Zwar hat der Fischbestand wegen Verschmutzung und Verseuchung | |
| dramatisch abgenommen, trotzdem sind die Gewässer aber an die örtlichen | |
| Anglervereine verpachtet. | |
| ## Bei lebendigem Leib gepökelt | |
| „Selbstverständlich wissen wir um die Bedeutung unseres Gewässersystems“, | |
| sagt Bürgermeisterin Bettina Stöhr. Aber Rettungsmaßnahmen müssten effektiv | |
| und angemessen sein, so Stöhr. „Wir reden hier in Moormerland ja nicht von | |
| einem Massensterben der Fische wie in Greetsiel.“ An der Küste, im | |
| Touristenort Greetsiel – im Volksmund „Ostfriesisch Disneyland“, wurden | |
| laut örtlicher Verwaltung in den letzten vierzehn Tagen mehrere Tonnen | |
| toter Fische aus dem Hafenbecken geschöpft. | |
| Durch die Trockenheit reduzierte sich der Süßwassergehalt und das | |
| Salzwasser der Nordsee schob sich in den Hafen. Die Süßwasserfische wie | |
| Brassen wurden bei lebendigem Leib gepökelt, wenn sie nicht schon vorher | |
| erstickt waren. Im touristischen Edelort stank es entsetzlich. | |
| Die Gemeinde machte ein Event aus dem Problem. Gäste bildeten | |
| Menschenketten, schöpften die nach Luft schnappenden Fische aus dem Hafen | |
| und setzten sie in besser belüfteten Gewässern um. Obwohl viele | |
| Helfer*innen die Aktion wegen des üblen Geruchs im Wortsinn zum Kotzen | |
| fanden, halbwegs zufrieden waren sie am Ende trotzdem. | |
| 10 Aug 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.facebook.com/events/306585713413526/ | |
| [2] https://www.moormerland.de/ | |
| [3] https://www.landkreis-leer.de/ | |
| [4] https://www.sielacht-moormerland.de/ | |
| [5] http://www.moormerlaender-deichacht.de/informationen.html | |
| [6] https://www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/__30.html | |
| [7] https://www.laves.niedersachsen.de/tiere/binnenfischerei/binnenfischerei-un… | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Schumacher | |
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