# taz.de -- Überfischung in Nord- und Ostsee: Weggeworfen wie Müll | |
> Fischer verstoßen massenhaft gegen das Verbot, ihren ungewünschten | |
> Beifang zurück ins Meer zu befördern. Bestraft wird das fast nie. | |
Bild: Die Herings-Schleppnetzfischerei in der Ostsee hat das MSC-Ökosiegel ber… | |
Rostock taz | Das Netz eines Dorschfischers in der Ostsee kann einige | |
hundert Meter lang, die Öffnung etwa 7 Meter hoch und 20 Meter breit sein. | |
Wenn die Fischer es auswerfen und schleppen, können sie in zwei bis drei | |
Stunden um die 400 Kilogramm Fisch fangen. Im Netz hängen dann aber nicht | |
nur große Dorsche – sondern auch kleine Jungtiere, die nicht als | |
Lebensmittel verkauft werden dürfen, weil es für den Bestand besser ist, | |
wenn sie noch wachsen und sich vermehren. Es verfangen sich aber auch | |
Steinbutte oder Schollen. | |
Dem Fischer verursacht dieser sogenannte Beifang Ärger, denn die zu kleinen | |
Tiere darf er nur für die Fischmehlproduktion verkaufen – zu einem viel | |
niedrigeren Preis als Speisefisch. Steinbutt und Scholle will er unter | |
Umständen gar nicht, wenn er dafür etwa keine Quote mehr hat, weil er | |
dieses Jahr schon mehr davon aus dem Meer geholt hat, als ihm die Behörden | |
erlauben. | |
Viele Fischer werfen die Tiere, die nicht Ziel des Fangs waren, deshalb | |
zurück ins Meer. Doch die meisten Tiere überleben das nicht. Wenn sie | |
stundenlang im Netz mitgeschleppt werden, werden sie von der Last der | |
anderen Fische erdrückt. Oder zumindest so stark verletzt, dass sie | |
spätestens ein paar Tage nach dem Wurf zurück ins Wasser sterben. | |
Um das zu verhindern, hat die Europäische Union 2013 ein Rückwurfverbot | |
beschlossen. Die Fischer müssen nun alle gefangenen Fische an Land bringen. | |
Dann wird auch der Beifang von der Quote abgezogen, was die Fischer | |
finanziell schmerzt. Das soll die Bestände davor schützen, zu stark genutzt | |
zu werden. Denn nach den aktuellen Zahlen der Europäischen Union wurden | |
2016 [1][rund 41 Prozent der Bestände im Nordostatlantik] inklusive der | |
Ostsee überfischt. Das heißt: Es wurde mehr gefangen, als nachwachsen oder | |
zuwandern konnte. Im Mittelmeer ist die Lage noch schlechter. | |
Aber Daten des Internationalen Rates für Meeresforschung (Ices) zeigen: | |
Viele Fischer in Nord- und Ostsee werfen immer noch große Mengen | |
versehentlich gefangener Tiere zurück ins Wasser. | |
## 3.450 Tonnen Fisch weggekippt | |
Der Ices schätzt, dass Dorschfischer im östlichen Teil der [2][Ostsee auch | |
2017 mindestens 11 Prozent] des gesamten Fanges wieder über Bord warfen. | |
Das bedeutet: Rund 3.450 Tonnen Fisch wurden zurückgekippt, obwohl das | |
Rückwurfverbot hier im Januar 2015 inkraftgetreten ist. | |
Die tatsächliche Zahl dürfte noch weit höher liegen, sagt Christopher | |
Zimmermann, Leiter des bundeseigenen Thünen-Instituts für Ostseefischerei. | |
Denn in einigen Anrainerländern des Meeres sei es für die | |
Fischereibeobachter des Ices zunehmend schwierig, an Bord zu kommen. Die | |
Wissenschaftler können nur auf den Schiffen mitfahren, wenn der Kapitän | |
einverstanden ist. Sie nehmen Stichproben, auf deren Grundlage der Ices die | |
Fangmengen hochrechnet. | |
Der Meeresforschungsrat ist eine zwischenstaatliche Organisation, die alle | |
Nordatlantik-Anrainer beauftragt haben, regelmäßig die Fischbestände zu | |
untersuchen und Fangmengen zu empfehlen. Seine Wissenschaftler zeigen | |
jedoch selbst keine Verstöße an, er beobachtet nur. Sonst würde kein | |
Fischer die Forscher mehr mitnehmen. | |
## Die Kontrolle funktioniert nicht | |
In der westlichen Ostsee wurden laut Ices im vergangenen Jahr [3][fast 5 | |
Prozent des Dorschfangs] sowie in den Belten und Sunden dieses Meeres | |
[4][16 Prozent des gesamten Schollenfanges] zurückgeworfen. In der | |
restlichen [5][Ostsee waren es gut 38 Prozent]. | |
Auch beim Kabeljaufang in der Nordsee werden die Vorschriften massiv | |
verletzt. Für diese Fischart und diese Region hat der Ices [6][19 Prozent | |
Rückwürfe errechnet]. Zwar gilt das Rückwurfverbot hier bislang nur für | |
bestimmte Fanggeräte und -gebiete. „Aber die Ausnahmen können kaum mehr als | |
10 Prozent der Rückwürfe erklären“, sagt Thünen-Forscher Zimmermann. | |
„Die Kontrolle des Anlandegebots funktioniert einfach nicht“, sagt Daniel | |
Stepputtis, Fischereibiologe am Thünen-Institut. In diesem Jahr haben die | |
in Deutschland zuständigen Bundesländer und die Bundesanstalt für | |
Landwirtschaft und Ernährung nach eigenen Angaben nur zwei Verstöße | |
festgestellt. In den gesamten drei Jahren davor keinen einzigen. Ähnlich | |
mau ist die Bilanz der anderen EU-Länder, wie die Europäische | |
Fischereiaufsichtsagentur in ihrem aktuellen Jahresbericht für 2017 | |
schreibt. | |
Es reiche eben nicht mehr, sagt Stepputtis, wenn der Fischmeister im Hafen | |
steht und den Fang der Schiffe überprüft. „Das Anlandegebot muss auf See | |
kontrolliert werden: entweder durch Beobachter auf den Kuttern oder – viel | |
billiger – durch elektronische Überwachung, die Videokameras auf einem | |
repräsentativen Teil der Fahrzeuge einschließen kann.“ Umweltorganisationen | |
wie die [7][Deutsche Umwelthilfe] oder der [8][WWF fordern] deshalb, die | |
Videoüberwachung vorzuschreiben. Die Kameras würden zeigen, wenn Fische | |
über Bord geworfen werden. | |
Noch wichtiger als die Kameraüberwachung wäre nach Meinung der | |
Thünen-Forscher, die Beweislast umzukehren. „Die Fischerei sollte nur dann | |
die volle Quote bekommen, wenn sie nachweisen kann, dass sie keinen Fisch | |
mehr über Bord wirft“, sagt Meeresbiologe Stepputtis. Aber auch dieser | |
Vorschlag hat derzeit in Berlin keine Chance. | |
## Die Fischerei zu überzeugen ist schwierig | |
Wenn die Behörden das Rückwurfverbot durchsetzen würden, hätten die Fischer | |
auch mehr Anreize, nachhaltigere Fischerei zu betreiben, etwa Netze durch | |
die Jungtiere entkommen können oder die vom Thünen-Institut entwickelte | |
Methoden für weniger Beifang zu nutzen, erläutert Stepputtis. | |
Dorsch-Fischer könnten etwa in ihre Netze unten einen Ausgang schneiden für | |
Plattfische. Bei Versuchen von Stepputtis’ Team gingen so 90 Prozent | |
weniger dieser nicht gewünschten Tiere ins Netz. Die Dorschverluste | |
tendierten gegen null. | |
„Das Tolle ist, dass das so gut wie nichts kostet“, sagt Institutsleiter | |
Zimmermann. „Jeder Fischer kann das selber machen mit einer Schere und ein | |
bisschen Nähgarn.“ Aber Stepputtis klagt: „Die Fischerei zu überzeugen ist | |
ein schwieriges Tagewerk. Das ist einfach ein sehr, sehr konservativer | |
Haufen.“ | |
Eine Lösung zumindest für den Kabeljau in der Nordsee könnte das | |
Nachhaltigkeitssiegel der gemeinnützigen Organisation Marine Stewardship | |
Council (MSC) bringen. Wenn eine zertfizierte Gruppe von Fischern eine | |
wichtige Regel wie das Rückwurfverbot „so eklatant“ missachte, müsse sie | |
das Siegel verlieren, erklärt Zimmermann, der auch Berater der Organisation | |
ist. Kabeljau und Hering seien ohne Zertifizierung in Westeuropa aber kaum | |
mehr verkäuflich. | |
Doch die Fischer scheinen diese Gefahr noch nicht erkannt zu haben. Der | |
Deutsche Fischereiverband schreibt der taz, dass er nichts wisse über | |
Verstöße gegen das Rückwurfverbot. Die Deutschen würden auch nur rund 10 | |
Prozent der Fangquote für die betroffenen Bestände nutzen. Der Rest steht | |
Fischern andere Staaten zu. „Demzufolge dürfte der Anreiz in anderen | |
Ländern größer sein, gegen diese Regeln zu verstoßen“, so der Verband. | |
Kein Problem sieht auch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung | |
(BLE), die die EU-Fischereipolitik in Deutschland umsetzen soll. Sie | |
kontrolliert die Logbucheinträge in denen die Fischer speichern, wie viel | |
sie insgesamt und wie viel zu kleine Fische sie gefangen haben. Diese Daten | |
würden, teilte das Amt der taz mit, „keine besonders hervorstechenden | |
Auffälligkeiten hinsichtlich Verstößen gegen das Anlandegebot“ zeigen. | |
Forscher Zimmermann findet die Logbucheinträge aber sehr wohl auffällig, | |
denn sie widersprächen den Stichproben der BLE auf See. Dabei würden die | |
staatlichen Inspektoren zum Beispiel in der östlichen Ostsee feststellen, | |
dass meist mindestens 10 Prozent der gefangenen Dorsche kleiner sind als | |
für den Verkauf zum Verzehr zulässig. Aber in den Logbüchern würden die | |
Fischer diesen Anteil nur mit 2,3 Prozent beziffern. Dass da etwas nicht | |
stimmen kann, müsste eigentlich auch den Inspektoren der BLE auffallen. | |
6 Oct 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://stecf.jrc.ec.europa.eu/documents/43805/2092142/STECF+18-01+adhoc+-+… | |
[2] http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2018/2018/cod.27.… | |
[3] http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2018/2018/cod.27.… | |
[4] http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2018/2018/ple.27.… | |
[5] http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2018/2018/ple.27.… | |
[6] http://www.ices.dk/sites/pub/Publication%20Reports/Advice/2018/2018/cod.27.… | |
[7] https://www.duh.de/fischerei/ | |
[8] https://www.wwf.de/2016/dezember/augenwischerei-in-der-nordsee/ | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
## TAGS | |
Ostsee | |
Nachhaltigkeit | |
Fischerei | |
Biosiegel | |
WWF | |
EU | |
Ostsee | |
Beifang | |
Fischerei | |
Ostsee | |
Fischsterben | |
Fischerei | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gefangene Fische gehen über Bord: Illegal und unökologisch | |
Auch im vergangenen Jahr wurde tonnenweise Beifang zurück ins Meer geworfen | |
– obwohl das verboten ist. Die Bundesregierung bleibt weitgehend untätig. | |
EU-Fangquote für Nordsee und Atlantik: Weniger Hering und Kabeljau | |
Die EU senkt die Quoten für Nordsee und Nordostatlantik. Umweltschützern | |
geht das nicht weit genug, der deutsche Fischereiverband protestiert kaum. | |
Reaktionen auf neue EU-Fischfangquoten: Arbeitsplatz vs. Hering | |
Heftige Kritik an den neuen Ostsee-Fangquoten: Die Fischer bangen um ihre | |
Jobs, Umweltschützer sind sauer über lasche Verpflichtungen. | |
Rückwurfverbot für Beifang: Fisch über Bord | |
Seit 2015 dürfen Fischer Beifang nicht ins Meer zurückwerfen. Halten sie | |
sich auch dran? In der Ostsee nicht, sagen Umweltverbände. | |
Kommentar Kampf gegen Überfischung: Fischer bei der Arbeit filmen | |
Millionen Tonnen von aussortiertem Fisch landen im Meer, ohne dass Fischer | |
bestraft werden. Per Videoüberwachung ließe sich das stoppen. | |
Heringsfischerei in der Ostsee: Wir haben kein Öko-Etikett für dich | |
Heringsfischer in der westlichen Ostsee verlieren das Siegel für | |
nachhaltigen Fang. Wegen des Klimawandels fehlt der Nachwuchs der Tiere. | |
Fischbestände in Ostfriesland: Stinkender Sommer | |
Die Wieken trocknen aus, in den Entwässerungssystemen sterben die Fische. | |
Ausgerechnet das Naturschutzgesetz erschwert die Rettung von Kanal-Aal, | |
Barsch und Zander. | |
Verschwundener Fangquoten-Überwacher: Das Meer war ruhig | |
Keith Davis achtet auf die Einhaltung der Fangquoten. Einige Fischer, bei | |
denen er mitfährt, mögen ihn nicht. Eines Tages verschwindet Davis im | |
Pazifik. |