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# taz.de -- Historiker Malte Thießen über Bomben-Gedenken: „Von links wird …
> 75 Jahre nach dem Hamburger Feuersturm erinnert sich die Stadt an das
> Leid der Bevölkerung – aber auch an das derer, die unter den
> HamburgerInnen gelitten haben.
Bild: Der Blick zurück ist nicht immer einfach: Trümmerkind in Hamburg.
taz: Herr Thießen, [1][der Schriftsteller W.G. Sebald sagte], man könne
sich mit Themen wie dem Feuersturm nicht lange beschäftigen, „ohne Schaden
zu nehmen“. Wie ist Ihnen das bei Ihrer Arbeit zum Hamburger Gedenken daran
gegangen?
Malte Thießen: Ich bin im Lauf der Arbeit immer stärker auf Erzählungen und
vor allem Fotos gekommen, die Probleme aufwerfen. Ich denke insbesondere an
die Fotos von verbrannten Kindern, die einen sprachlos zurücklassen und
diese Kategorien, mit denen man Erinnerungen sonst einordnet – reines
Opfergedenken oder Gedenken an die NS-Zeit – brüchig machen. Man startet,
wenn man sich mit der Erinnerungskultur des Bombenkriegs beschäftigt, eher
mit einem kritischen Impuls.
Gegen das Reinwaschen?
Reinwaschen, sich nur in den Opfererzählungen ergehen, die Opfer
aufrechnen. Das gibt es auch – aber nicht nur. Hamburg ist sehr viel
vielfältiger in seiner Erinnerung als man das so glaubt. Das ist das
Interessante an dem Erinnerungsort Bombenkrieg: dass man es nicht in
einfachen Geschichten auflösen kann, sondern diese Widersprüchlichkeit und
Vielfalt erinnern muss.
War diese Vielfalt in der Erinnerungskultur von Anfang an in Hamburg
vorhanden?
Wenn man die 75 Jahre des Erinnerns ganz grob überblicken will, dann kann
man vier große Erzählungen ausmachen. Die erste ist die von der
Schicksalsgemeinschaft, das fängt schon in der NS-Zeit an, mit dem Ziel,
den Durchhaltewillen der Hamburger zu stärken. Ab den späten 40er Jahren
gibt es ganz stark das Gedenken an den Wiederaufbaumythos, um die Helden
des Wiederaufbaus – es sind nie die Heldinnen – zu feiern. Auch da in einer
sehr problematischen Intention, man erinnert an die Leistung, nicht an die
Opfer, an die Opfer der NS-Zeit schon gar nicht.
…man ist jetzt wieder Akteur…
.… genau, und die NS-Zeit wird zu einem dunklen Kapitel, das man durch den
Wiederaufbau überwunden hat. In den 80er Jahren gibt es eine dritte
Erzählung, das ist der Bombenkrieg als Warnung: Nie wieder Krieg. Da werden
die Grauen des Bombenkriegs auch im linken Spektrum sehr intensiv erinnert,
um vor dem atomaren Holocaust, wie es damals heißt, zu warnen. Ab den 90er
Jahren wird der Bombenkrieg genutzt, um an die ganze Geschichte des Dritten
Reichs zu erinnern.
Wer kommt damit hinzu?
Die Stadt setzt sich etwa mit den KZ-Häftlingen auseinander, die die
Leichen und Trümmer räumen mussten, aber auch mit den zahlreichen Zwangs-
und Fremdarbeitern, von denen eine sehr hohe Zahl unter den Bombenopfern
war, weil sie nicht in die Schutzräume durften.
In dieser Abfolge klingt der Erinnerungsdiskurs eher homogen.
Natürlich ist das schon von Anfang an gebrochener und vielfältiger, und
auch differenzierter. Es gibt zum Beispiel schon Ende der 40er Jahre einen
Versöhnungsgottesdienst zwischen Deutschen und Briten, was ich ziemlich
erstaunlich finde. Und als 1952 das Ehrenmal auf dem Ohlsdorfer Friedhof
mit einem großen Staatsakt eingeweiht wird, erinnert Bürgermeister Max
Brauer daran, dass vor Hamburg die Angriffe der Deutschen auf Guernica,
Warschau, Rotterdam und Coventry stattgefunden haben. Er weist auch auf die
Opfer vor 1943 hin, nämlich die jüdischen Hamburger, die vertrieben wurden,
auf die vielen, die ausgegrenzt wurden.
Wie kontrovers war die Frage des Erinnerns in Hamburg?
Meinem Eindruck nach ist die Deutung bis in die 80er, 90er Jahre ziemlich
unumstritten. Der Bombenkrieg stößt im gesamten politischen Spektrum auf
Interesse; die Springer-Presse bringt immer wieder Serien zum Thema, aber
auch die Morgenpost, die ja lange noch ein sozialdemokratisches Blatt war,
ist da genauso engagiert. Ab den 90er Jahren geht der Streit los.
Wie kommt es dazu?
Durch die Differenzierung und Erweiterung des Geschichtsbildes: Es wird
nicht mehr nur der Bombenkrieg erinnert, sondern die ganze Geschichte des
Dritten Reichs. Die Zeitzeugen sehen damit ihre Opfergeschichten nicht mehr
richtig repräsentiert in der öffentlichen Erinnerung und fangen an zu
diskutieren, dass zivile Opfer schlimmer seien als Kriegsopfer. Aber auch
von links wird schärfer geschossen. Eine Gruppe von Antideutschen stürmt
einen Gedenkgottesdienst im Michel und spannt ein Banner über den Altar:
„Aktion Gomorrha – es gibt nichts zu trauern“.
Klingt nicht unbedingt wie ein Gesprächsangebot.
Ich habe mit einigen dieser Aktivisten gesprochen und es ging ihnen weniger
darum, das Leid der Opfer nicht anzuerkennen, sondern sie hatten Angst vor
einem neuen Nationalismus. Die Erinnerung an den Bombenkrieg wird da
aufgeladen zum Symbol eines revanchistischen Gedenkens. Das wird
problematisiert in der Linken, aber auch in der SPD und bei den Grünen
sowieso. Dagegen wehren sich die Zeitzeugen und die CDU, die eine
Vernachlässigung der Opfer behauptet. Da geht es los mit all den Debatten,
die wir bis heute haben, mit dem Tabu-Vorwurf, das Leid der Opfer würde
verschwiegen.
Wurde es verschwiegen?
Der Vorwurf ist nicht haltbar. In Hamburg – und allen deutschen Städten,
die von Bombardierung betroffen waren – war es das zentrale Ereignis, an
das immer wieder erinnert wurde. Es gibt kein Ereignis, das im Hamburger
Raum so viele Denkmäler hat, wie der Bombenkrieg.
Warum waren die ZeitzeugInnen 1993 in Hamburg dennoch davon überzeugt,
nicht gehört zu werden?
Weil der Bombenkrieg nicht mehr allein für sich erinnert wurde. Man hat die
Bombenopfer im Blick und schmälert deren Leid um kein Gramm, aber zeigt
gleichzeitig die anderen Opfer und dass beides zusammenhängt. Das ist aber
etwas, was in der subjektiven Erinnerung von Zeitzeugen auch kritisch
gesehen wird – nicht von allen, es gibt sehr viele, die das sehr
differenziert sehen, aber die anderen melden sich gern zu Wort.
Muss man sich vor einem teleologischen Blick auf Erinnerung hüten, der
Idee, irgendwann das für immer richtige Maß gefunden zu haben?
Das Problem ist, dass Erinnerung immer teleologisch ist, es ist
Sinnstiftung in der Gegenwart. Ich würde von Gegenwarts-, nicht von
Vergangenheitsbewältigung sprechen. Es wäre ein schöner Lerneffekt, wenn
man anerkennt, dass Erinnerung keine Wahrheit ist, sondern der Modus, in
dem wir uns Auskunft über uns selbst geben. Und das wird immer wieder neu
verhandelt. Wenn wir so weit sind, dass eine Erinnerungskultur für diese
unterschiedlichen Erinnerungen offen ist und das immer wieder in ein Forum
und einen Austausch bringt, dann haben wir für unsere Gesellschaft viel
gewonnen. Man lässt Dinge nebeneinander stehen.
Zum Beispiel?
Es gibt etwa diese berühmten Tiefflieger-Erinnerung. Wir haben in einem
Projekt 150 Zeitzeugen befragt und davon haben vier, fünf auch solche
Tiefflieger-Geschichten erzählt. Man kann nachweisen, dass es 1943
technisch nicht möglich war, mit Tieffliegern nach Hamburg zu kommen und
trotzdem glauben ein paar Zeitzeugen das.
Wozu dient diese selbst geschaffene Erinnerung?
Sie können damit den Luftkrieg in eine Form gießen. Die unterschiedslosen
Massenbombardements nicht, das anonyme Massensterben, Massenbombardement,
das so gewollt ist, ist für viele eitzeugen schwer aushaltbar. Mit den
Tieffliegerangriffen verbinden sie eine Art erklärbar ist, erhält so einen
Sinn, so erstaunlich das klingt. Mann gegen Mann Kriegslogik. So wird der
Bombenkrieg personalisiert.
Verbinden die ZeugInnen damit eine Botschaft, etwa eine Mahnung gegen den
Krieg, oder geht es um ein reines Zeugnis dessen, was sie erlebt haben?
Es gibt beides. Das eine ist der persönliche Erzähldruck, dass wirklich
schlimme Dinge erlebt wurden, vor allem, wenn nahe Familienangehörige
gestorben sind. Sehr viel häufiger ist es, dass die Zeitzeugen nicht das
erste Mal berichten, deshalb sind fast alle mit einer oder mehreren
Botschaften dabei. Eine sehr häufige ist: Nie wieder Krieg. Ich finde das
ein sehr positives Signal. Man könnte ja auch, wie man es in Dresden
häufiger spürt, Hass auf die Briten oder Amerikaner zeigen oder die
Deutschen als Opfer in einer Sonderrolle sieht. In Hamburg haben wir oft
eine Parallelisierung des Leides von 1943 mit dem Krieg im Irak und in
Syrien erlebt. Und daraus die Botschaft formulieren: Unsere Erinnerungen
sind wichtig und haben auch einen Sinn, denn wir sind die verkörperte
Mahnung: nie wieder Krieg.
Bei anderen Botschaften hat man stärker den Eindruck einer
Instrumentalisierung. Wenn Helmut Schmidt 1993 die Gedenkfeier zur
Rechtfertigung des Nato-Doppelbeschlusses nutzt, schluckt man ein bisschen.
Das war schon kess.
Oder Henning Voscherau, früherer Bürgermeister, der den Bombenkrieg einmal
als Voraussetzung für die Befreiung von Nazi-Deutschland deutet und einmal
die Auslöschung der roten Arbeiterquartiere betont.
Bei Politikern ist diese Unterschiedlichkeit auch mit einer berufsbedingten
Flexibilität zu erklären.
Flexibilität ist ein schönes Wort dafür.
Bei Schmidt ist es auch ein vornehmes. Beide verbinden ihre Kindheit mit
dem Krieg, aber sie sind natürlich Profis. Sie wissen, dass sie 1993 einen
bestimmten Sound treffen müssen. Voscherau will die rechtsextremen
Überfälle brandmarken und vor einem neuen Nationalismus warnen. 2003 ist
der Kontext ein ganz anderer: da geht es um die Warnung vor einer
Beteiligung am Irak-Krieg und da ergibt eine andere Erinnerung Sinn.
Insofern genügen die Politiker Ihrer These, dass das Geschäft der
Erinnerung immer mit Gegenwart und Zukunft beschäftigt ist und daher nicht
statisch.
Ich würde meine Dissertation heute anders schreiben. Wenn ich es heute
lese, merke ich stellenweise schon: so ganz wertfrei ist das nicht. Ich
versuche die Erinnerung aus ihrer Zeit heraus zu erklären, aber manchmal
ist da schon ein Zungenschlag zu spüren, gerade bei CDU-Positionen. Es ist
das, was ich versuche als Lerneffekt aus meiner Dissertation mitzunehmen:
diese ständige Veränderung von Erinnerung, die in jeder Zeit anders
funktioniert und uns sagt: es gibt keine richtige Erinnerung. Und wenn man
als Wissenschaftler etwas fordern könnte, dann wäre es diese Pluralität von
Erinnerung.
Sie haben die Hamburger mit der Dresdner Erinnerungskultur verglichen – zum
Nachteil der Dresdner. Unterscheiden Sie damit nicht doch zwischen guter
und schlechter Erinnerung?
Ich würde es auch tatsächlich so sehen, ohne damit den Dresdners Unrecht
tun zu wollen. Dresden hat das Glück oder Pech, dass die Erinnerung an das
Bombardement schon unter den Nazis und dann in der DDR stark
instrumentalisiert wird und zwar auf nationaler Ebene. Dresden ist der Ort,
um im Kalten Krieg gegen die Amis und die Briten zu hetzen. In Hamburg ist
das anders.
Warum?
Da sind die Briten, die die Bomben geworfen haben, Verbündete. Und Hamburg
geht es schnell besser als Dresden – so dass man sich eine andere
Erinnerungskultur leisten kann, vielleicht auch dazu gezwungen ist. Und,
auch wenn ich nicht von einer Diktatur in der DDR sprechen würde, gibt es
doch eine andere Art der Meinungsbildung in Hamburg. Auch da ist nicht
alles Gold, es gibt Meinungsführerschaften und Probleme in der
Presselandschaft, aber trotzdem ist es eine offenere Form der
Erinnerungskultur, in die auch kritische Stimmen Eingang finden.
26 Jul 2018
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Friederike Gräff
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