# taz.de -- Neues Denkmal am Dammtor: Gedenken in Schichten | |
> Hamburg bekommt endlich ein Deserteursdenkmal. Allerdings wird es | |
> zwischen einen Kriegsklotz von 1936 und ein Gegendenkmal von 1985 | |
> gequetscht. | |
Bild: Der „Kriegsklotz“ am Hamburger Dammtor. | |
HAMBURG taz | Es ist ein Ort des Streits, und die Kunst soll ihn | |
schlichten. Dabei hat sie die Debatten um den Hamburger Stephansplatz, der | |
jetzt ein Deserteursdenkmal bekommt, mit erzeugt. Denn die Kunst hat sich | |
in den Dienst mäandernden Gedenkens gestellt, und herausgekommen ist ein | |
Mix, der schon lange problematisch ist: Da ist einerseits der „Kriegsklotz“ | |
des den Nationalsozialisten genehmen Bildhauers Richard Kuöhl, der im | |
Ersten Weltkrieg gestorbene Soldaten ehrt. Initiiert von deren Lobby, war | |
er als Gegendenkmal zur Stele Ernst Barlachs an Hamburgs Rathausmarkt | |
gedacht, die eine trauernde Kriegswitwe mit Kind zeigt. | |
Die Infanteristen auf Kuöhls Kalk-Klotz marschieren dagegen stramm in | |
Viererreihen und standen bei der Einweihung 1936 nicht nur für den | |
vergangenen Krieg, sondern auch für den kommenden: „Großtaten der | |
Vergangenheit sind Brückenpfeiler der Zukunft“ steht etwa darauf. Das | |
passte zur NS-Propaganda, die damals auf den Zweiten Weltkrieg zuarbeitete. | |
## Opfer werden nicht erwähnt | |
Verwundete Soldaten oder zivile Opfer erwähnt der „Kriegsklotz“ allerdings | |
nicht. Deshalb wollte die britische Militärregierung gleich nach Kriegsende | |
1946 sprengen – aber Hamburgs Denkmalrat sagte nein. Nicht einmal die | |
Reliefs und Inschriften wurden wie vereinbart entfernt. Seither steht er | |
da, nicht weit von Hamburgs Dammtor-Bahnhof und dem Park „Planten un | |
Blomen“, und es hat immer wieder Streit deswegen gegeben: Neonazi- wie | |
Antikriegsdemos, Farbbeutel-Protest und abgehackte Ecken. | |
1980 endlich war das politische Klima günstig, und Hamburgs Senat schrieb | |
den Wettbewerb für ein Gegendenkmal aus, das den Kriegsklotz „kommentieren“ | |
sollte. Das Gegendenkmal-Konzept des Wiener Polit-Künstlers Alfred Hrdlicka | |
war allerdings eher egomanischer Monolith als Fußnote: Als vierteiliges | |
Ensemble aus wuchtig gegossener, barock-pathetisch sich ausbreitender | |
Bronze war es zwar formal das Gegenteil des Kriegsklotzes. | |
## Ein halbes Gegendenkmal | |
Den Dialog nahm Hrdlickas Werk aber kaum auf. Das 1985 eingeweihte Mahnmal | |
aus einem zerbrochenen Hakenkreuz bezeugt Hrdlickas Pazifismus: Im | |
Hamburger Feuersturm verbrennende Menschen, auf der „Cap Arcona“ | |
ertrinkende KZ-Häftlinge sitzen expressiv in der dunklen Bronze wie auf | |
einem Grabstein. Allerdings, Teil drei und vier, dem Soldatentod und dem | |
Frauenbild im Faschismus gewidmet, fehlen. Denn das Hrdlicka zugestandene | |
Budget war aufgebraucht, und frisches Geld gab es nicht. | |
So blieb auch das Gegen-Gedenken unfertig und spiegelte den unschlüssigen | |
Stand der damaligen Diskussion. Was blieb, war ein Stück Gras zwischen den | |
beiden Denkmälern: ein seltsam undefinierter, fremder Platz, auf dem | |
niemand sitzen und rasten mag. Ein Ort der Leere, einer unbeantworteten | |
Frage. | |
Das soll jetzt anders werden: Ab August wird zwischen die beiden ein | |
drittes Denkmal gesetzt, das den Dialog endlich hinbekommen soll. Da ist es | |
folgerichtig, dass man sich für ein Mahnmal für Deserteure entschied, die – | |
vielleicht zunächst selbst stramm marschierend – den Krieg boykottierten, | |
als sie bemerkten, welches Leiden er gebar. | |
Die Idee stammt vom „Bündnis Hamburger Deserteursdenkmal“ und dem heute | |
93-jährigen Hamburger Ludwig Baumann, dem einzigen noch lebenden Deserteur | |
des Zweiten Weltkriegs. Und der Weg zur Rehabilitierung war weit: 2002 erst | |
hat der Deutsche Bundestag die Nazi-Urteile gegen Deserteure aufgehoben, | |
2009 die gegen „Kriegsverräter“. 2012 zog Hamburgs Bürgerschaft nach und | |
beschloss ein Denkmal für die 227 allein in Hamburg von der NS-Justiz | |
erschossenen Deserteure. | |
## Sensibler Umgang mit Räumen | |
Gestalten wird es der Hamburger Künstler Volker Lang, und das ist eine gute | |
Wahl: Der gelernte Kirchenmaler und Installationskünstler ist bekannt für | |
seinen sensiblen Umgang mit Plätzen und Räumen und hat schon einige | |
historische Denkmäler geschaffen. Zum Beispiel ein Mahnmal für die | |
ermordeten Juden aus Hamburg-Blankenese und eins für den Hamburger | |
„Feuersturm“ von 1944. | |
Für das Deserteursdenkmal am Stephansplatz hat er sich ein Dreieck mit | |
Bronzegittern aus Buchstaben ausgedacht. Sie werden Zeilen aus Helmut | |
Heißenbüttels Collage „Deutschland 1944“ bilden, die aus O-Tönen von | |
Hitler-Reden und NS-Dichtern besteht. | |
„Die Verse dieser regimetreuen Literaten triefen vor Glitsch und Gehorsam“, | |
sagt Volker Lang. Und wenn der Text auch nicht explizit für Deserteure | |
geschrieben sei, berge er doch alle Motive der Deserteure, sagt Lang: den | |
Angriffskrieg gegen die Sowjetunion, den Holocaust und die Zerstörung des | |
Individuums. | |
## Kein Ort der Harmonie | |
Lesen wird man den Text teils von außen, teils im Inneren des begehbaren | |
Pavillons; zudem wird man einer Tonspur lauschen können, auf der | |
Heißenbüttel seinen Text liest. Auf einer zweiten Spur erklingen die Namen | |
der 227 in Hamburg erschossenen Deserteure. | |
Kann das Areal also endlich ein Ort der Harmonie und der Versöhnung werden? | |
„Nein“, sagt Lang, „Ich möchte durch den Heißenbüttel-Text den O-Ton d… | |
verlogenen Politik der Gewaltherrschaft zeigen.“ | |
Deshalb habe er einen Text mit Originalzitaten der Nazizeit gewählt. Auch | |
wenn das kontroverse Diskussionen gebe und vielleicht nicht jeder gleich | |
verstehe, dass es ein Antikriegstext sei. Auch Hamburgs Kultursenatorin | |
Barbara Kisseler (parteilos) hofft, dass das Deserteursdenkmal ein Forum | |
von Lesungen gegen Krieg und Gewaltherrschaft werde. | |
## Schichten der Verarbeitung | |
Zugegeben, es wird dort etwas eng mit all den Denkmälern, die nicht jeder | |
als Ensemble begreift. Und eigentlich ist es das auch nicht. Die Werke sind | |
verschieden alt und symbolisieren, Jahresringen gleich, Schichten der | |
Verarbeitung. | |
Allerdings, sagt Volker Lang, versuche er durchaus einen Binnendialog: Die | |
Soldaten des „Kriegsklotzes“ marschieren optisch genau oberhalb seines | |
Heißenbüttel-Textes, der so tatsächlich als Kommentar gelesen werden kann. | |
Ein kluger Kniff – dabei war es schwer genug, das Dreieck so auszurichten, | |
dass es weder mit der Statik des U-Bahn-Schachts kollidierte noch mit der | |
70-jährigen Platane nahbei. Aber Lang wird es schaffen: dass die Baumkrone | |
genau über dem Pavillon hängt. | |
15 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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