# taz.de -- Geschichte der „Cap Arcona“: Der gesunkene Traum | |
> Der Schweizer Schriftsteller und Ökologe Stefan Ineichen hat die | |
> wechselvolle Geschichte des Luxusliners „Cap Arcona“ erzählt. | |
Bild: Siw war das „Lieblingsschiff der Superreichen“: Die „Cap Arcona“. | |
BREMEN taz | Die Idee der Kreuzfahrt als einer mondänen Veranstaltung | |
entsteht erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Voraussetzung ist, dass | |
ingenieurstechnisch das Abenteuer der Schiffsreise selbst bei ungünstiger | |
Witterung gezähmt – und für die Dauer der Überfahrt auf ein erträgliches | |
Maß eingedämmt ist. Wahrscheinlich markieren deshalb die 1920er-Jahre den | |
Gipfel dieser Entwicklung, denn vom Luxus und Glamour der damaligen | |
Kreuzfahrten bieten die heute pauschal buchbaren Lustbarkeiten einen eher | |
mäßigen Abglanz, während sich der Geldadel der Gegenwart längst mit eigenem | |
Equipment und Personal seine ganz individuellen nautischen Träume erfüllt. | |
Das elektrisierte Partyleben, eine betriebsame Ziellosigkeit, die Lust an | |
der Verschwendung und ein beinahe ungebrochenes Verhältnis zur Technik, das | |
scheint, rückblickend, die Signatur der 1920er-Jahre – und das | |
Kreuzfahrtschiff bündelt diese Tendenzen mustergültig. Zum Inbegriff des | |
Kreuzfahrtschiffs aber avanciert ab 1927 die „Cap Arcona“: Der Schweizer | |
Schriftsteller Stefan Ineichen hat dem Flaggschiff der einstigen | |
Hamburg-Südamerika Linie jetzt ein außerordentliches Buch gewidmet. | |
Ineichen ist von Hause aus Ökologe. Über die Beschäftigung mit der | |
Stadtnatur hat sich sein Interesse historischen Fragestellungen zugewandt, | |
und einigermaßen überraschend dort: auf nautische Themen. Sein Titanic-Buch | |
„Endstation Eismeer“ entwirft ein eindrucksvolles gesellschaftliches | |
Panorama. Der weitere Weg ist quasi organisch, denn „beim Durchschauen | |
sämtlicher Titanic-Filme“, so Ineichen zur taz, sei er „auf den 1942 | |
teilweise auf der ‚Cap Arcona‘ gedrehten Film gestoßen“, und habe sich d… | |
gefragt, „was das für ein Schiff war, und ein Buch gesucht, das mir die | |
ganze Geschichte dieses Dampfers erzählt“. Vergeblich. Vor allem habe er es | |
„eigentümlich“ gefunden, so Ineichen zur taz, „dass in der greifbaren | |
Hamburg Süd- und ‚Cap Arcona‘-Literatur die Nazizeit quasi völlig | |
ausgeklammert wird“. | |
Sein Werk heißt nüchtern „Cap Arcona 1927-1945“, und statt sich mit | |
technikgeschichtlicher Euphorie auf sein Objekt zu stürzen, entwirft es | |
eine wahre Erzählung, eine Ding-Geschichte. Sie rekonstruiert jenes | |
Märchenschiff als einen Ort der Wünsche und Sehnsüchte, an dem Lebensläufe, | |
Zeitgeschehen, Politik und faits divers einander so durchkreuzen und | |
verwickeln, dass Weltgeschichte entsteht: Das Schiff wird Kriegsschauplatz | |
– und geht in einer Katastrophe unter, die noch heute tief erschüttert. | |
## 6.000 Menschen sterben | |
Denn beim Herannahen der alliierten Truppen versuchten die Nazis, die | |
Konzentrationslager zu evakuieren. So waren aus Neuengamme 7.000 Häftlinge | |
auf die „Cap Arcona“ verbracht worden, die in den ersten Mai-Tagen in der | |
Lübecker Bucht lag. Mehr als 6.000 von ihnen starben, als das Schiff am 3. | |
Mai von Fliegern der Royal Airforce versenkt wurde: Sie wurden vom Flugzeug | |
aus erschossen, sie verbrannten oder ertranken in der Ostsee. | |
Die „Cap Arcona“ war, als sie 1927 vom Stapel lief, ein Traumschiff: | |
Schwärmerische Berichte aus der Presse belegen das, und Ineichen macht aus | |
diesem Jubel eine schöne Ouvertüre. Nicht nur in der erweist er sich als | |
ein brillanter Arrangeur von Stimmen: Aus jeder Lebensphase des Schiffs | |
findet er Zeugen. Er spürt ihren Lebensläufen nach, findet persönliche | |
Tragödien und berührende Anekdoten, manchmal, warum denn nicht, auch | |
Tratsch, so aus der Zeit des Niedergangs. Denn vom Luxusliner war das | |
Schiff während des Kriegs zunächst zum Kraft-durch-Freude-Dampfer | |
degradiert worden. Später requiriert es dann die Wehrmacht: Die „Cap | |
Arcona“ landet in Gotenhafen, dem U-Bootstützpunkt bei Gdánsk. | |
Dort dient ihr repräsentativer Speisesaal erster Klasse im Herbst 1943 noch | |
als Kulisse einer Rüstungstagung mit Albert Speer und Großadmiral Karl | |
Dönitz. Doch bald darauf wird sie für die Unterbringung der | |
Wehrmachtshelferinnen genutzt. Aus jener Phase hat Ineichen die vulgäre | |
Parodie des Schlagers „Barcelona“ aufgespürt. Die hatte aus der | |
wunderschönen Stadt im Süden dort in Spanien „im Zusammenhang mit der | |
überbordenden Endzeitstimmung“ die „Cap Arcona“ gemacht, die das größte | |
Hurenschiff in Gotenhafen sei. | |
## Lieblingsschiff der Superreichen aus Südamerika | |
Benannt worden war sie zwar nach dem Wittower Kreidefelsen. Aber, dass sie | |
in der Ostsee landet, war nie vorgesehen gewesen: Schon der Name war ja, | |
anders der Steilküstenabschnitt, international kompatibel mit C geschrieben | |
worden. Und als Publikum hatte die Reederei insbesondere auf die | |
südamerikanische Oberschicht gezielt: „Der Schnelldampfer mit den drei | |
rotrandigen Schornsteinen wurde zum Lieblingsschiff der Superreichen aus | |
Argentinien, Brasilien und Chile“, schreibt Ineichen. | |
Deren Familien waren die Gewinner der Landverteilungskämpfe des 19. | |
Jahrhunderts gewesen – und die Ländereien dort waren Grundlage für durch | |
die Produktion von Fleisch, Leder, Getreide und Kaffee angehäufte | |
„unermessliche Vermögen“, und ihre Sommerreisen nach Europa – nach Paris | |
vor allem – sind ein oft benanntes Phänomen. | |
Die Redewendung „riche comme un argentin“, also „reich wie ein | |
Argentinier“, heute fast vergessen, war bis in die 1930er sehr | |
gebräuchlich, erinnert Ineichen – um dann auf die Figur des Millionenerben, | |
Rennfahrers und Playboys Martín Máximo Pablo de Álzaga Unzué, genannt | |
Macoco, zu fokussieren, der ihre reinste Verkörperung ist: Pablo de Álzaga | |
soll, zitiert Ineichen ein in der lateinamerikanischen Welt hartnäckig sich | |
haltendes Gerücht, „F. Scott Fitzgerald als Vorbild für den Great Gatsby | |
gedient haben“ – auch wenn‘s nicht stimmt, sagt das doch viel über die | |
Figur, der man es zutraut. | |
## Das Schiff begeistert die Fahrgäste | |
Und über das Umfeld, das sie aufsucht: de Álzagas Name findet sich schon | |
auf der Passagierliste der Jungfernfahrt der „Cap Arcona“, schnell wird er | |
zu ihrem Stammgast. Irgendetwas an diesem Schiff begeistert. | |
Nur was? Ineichen versucht nicht, das Rätsel der Faszination zu lüften. Er | |
spiegelt sie stattdessen in den Augen der Fahrgäste, des Personals und der | |
Kapitäne, folgt Geschichten und Lebenswegen, die sich auf eigentümliche | |
Weise mit diesem Schiff verbunden haben, das von Anfang an ein symbolisches | |
Objekt gewesen war: Ineichen stellt es – mit Abstrichen – neben die | |
Zeppeline des Hugo Eckener. Nachdem im Ersten Weltkrieg die Luftschiffe | |
noch Warschau, Antwerpen, Paris und London bombardiert hatten und „als | |
Inbegriff heimtückischer und perfider Waffen“ gegolten hatten, war es dem | |
Flensburger Piloten und Konstrukteur gelungen, die Erlaubnis für den Bau | |
ziviler Zeppeline zu bekommen – unter der Bedingung, den ersten als | |
Reparationsleistung an die USA zu übergeben. | |
Sein Friedensflug nach New York war 1924 ein weltweit wahrgenommenes | |
Ereignis, und Eckener, dies- und jenseits des Atlantiks eine anerkannte und | |
bewunderte Größe hätte zur Person der Weltgeschichte werden können – von | |
all dem kann weder bei Ernst Rolin die Rede sein noch beim Schiff, dessen | |
Kapitän er ist, der „Cap Arcona“. | |
Und doch gelingt es Ineichen die symbolische Verwandtschaft beider | |
herzustellen, ihre Begegnungen aufzuspüren, und so plausibel zu machen, | |
dass in den Augen seiner Zeit „das Luxusschiff wie das Luftschiff für ein | |
neues Deutschland“ stand, „für eine Nation, die ihren Stolz | |
zurückerlangte“: materialisierte Wunschträume. Es kann kein Zufall sein, | |
dass am Ende beider Objekte der Untergang steht in Krieg und Katastrophe. | |
4 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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