# taz.de -- Road Novel von F. Scott Fitzgerald: Unterwegs mit der Rostlaube | |
> In „Die Straße der Pfirsiche“ fahren Fitzgerald und seine Frau Zelda mit | |
> dem Auto in die Südstaaten. Der Wagen bekommt sogar einen Namen. | |
Bild: Die Familie Fitzgerald im Jahr 1927 beim Strandbesuch in Virginia. | |
Der asketisch auftretende Bertolt Brecht liebte den Sport, ließ sich gern | |
mit Boxern ablichten und fuhr mit Vergnügen schnittige Autos, zuweilen | |
lenkte er sie auch gegen einen Baum. In den zwanziger Jahren dichtete er | |
selig im Auftrag der österreichischen Steyr AG: „Wir haben: / Sechs | |
Zylinder und dreißig Pferdekräfte. / Wir liegen in der Kurve wie | |
Klebestreifen. / Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz. / Wir fahren dich so | |
ohne Erschütterung / Dass du glaubst, du liegst / Dass du glaubst, du | |
fährst / Deines Wagens Schatten.“ | |
Brecht stand mit seiner Begeisterung nicht allein. Wir reden von einer | |
Zeit, als Automobile noch faszinierende Wesen waren, die man besingen | |
konnte – auratische Wunderwerke, launige Diven, verwegene Haudegen, kauzige | |
Weggefährten. Ihre Besitzer gaben ihnen Namen, weil diese Vehikel eine | |
Seele hatten, wo heute ein Hochleistungscomputer sitzt und jedes Detail | |
regelt. | |
In F. Scott Fitzgeralds „Straße der Pfirsiche“, auf Deutsch in der | |
Übersetzung von Alexander Pechmann erschienen, hört das charakterstarke | |
Auto auf den Kosenamen „Rolling Junk“, rollende Rostlaube also. Das darf | |
durchaus als Ehrenbezeichnung verstanden werden, wenn man bedenkt, wie sich | |
diese Maschine auf vier Rädern durch halb Amerika schleppt. | |
## Roaring Twenties | |
Seine größte Bewährungsprobe hat „Rolling Junk“ zu bestehen, als das jun… | |
Ehepaar Zelda und F. Scott Fitzgerald eines Morgens beim Frühstück irgendwo | |
an der Ostküste eine große Sehnsucht überfällt: Beim Anblick von Speck, | |
Eiern und Toast wünschen sie sich in den Süden, in die Heimat Zeldas, wo es | |
Pfirsiche gibt und Biskuits und Sonne. Also bricht man spontan auf, um von | |
Connecticut nach Montgomery in Alabama zu reisen und Zeldas Eltern zu | |
besuchen. „Rolling Junk“, der Anfang der Roaring Twenties seine besten | |
Jahre bereits hinter sich hat, soll sie hinbringen. | |
Was die Unternehmung an Beinahekatastrophen, Pannen und Begegnungen bereit | |
hält, schildert F. Scott Fitzgerald genüsslich in dieser für eine | |
Zeitschrift geschriebenen Erzählung – ein heiteres Nebenwerk, das auf den | |
ersten Blick wenig mit den bedeutenden Romanen wie dem „Großen Gatsby“ oder | |
„Zärtlich ist die Nacht“ zu tun hat, viel mehr jedoch mit einer Lust an der | |
Übertreibung und der Idylle. | |
Denn das, eine idyllische Geschichte, ist „Die Straße der Pfirsiche“ | |
durchaus: Noch sind die Fitzgeralds das mondäne Traumpaar, heiß verliebt, | |
frisch verheiratet. Die Alkoholexzesse und psychischen Zusammenbrüche sind | |
noch nicht zu erahnen. Was sich jetzt vor ihnen auftut, ist das reinste | |
Glück der Fortbewegung, das nur durch die Tücken der Technik gemindert | |
wird. | |
„Die Straße der Pfirsiche“ ist eine kleine Road Novel und die Parodie auf | |
Reiseerzählungen; sie hat etwas Keckes und Nostalgisches zugleich: Hier | |
bewegen sich zwei, die eine berauschende Zukunft vor sich zu haben | |
scheinen, in die Vergangenheit – in einen wehmütig erinnerten, teils schon | |
arg rückständigen Süden, wo die Uhren noch ein wenig anders ticken und die | |
Welt ihre traditionelle Ordnung hat. | |
Fitzgeralds Beobachtungen haben etwas Übermütiges und Überdrehtes, die | |
Macken des Autos werden mit Witz beschrieben, der Besuch von Werkstätten | |
mit ihren handfesten Mechanikern wird spöttisch ausgeschmückt. Fitzgerald | |
hat keinen Ehrgeiz, sich als Pionier des technischen Zeitalters zu | |
skizzieren – Zelda hingegen wird in ihrer Jugendlichkeit und ihrem Esprit | |
in den schillerndsten Farben gezeichnet. | |
## Abenteuer- und Liebesreise | |
Das Buch handelt nicht nur von einer abenteuerlichen Fahrt in der | |
Blechkiste, sondern mehr noch von einer gerade begonnenen Liebesreise. Man | |
muss sich eine Screwballkomödie mit Katharine Hepburn und Cary Grant in den | |
Hauptrollen vorstellen – dann erhascht man etwas vom Geist dieser | |
Erzählung. Man kann „Die Straße der Pfirsiche“ durchaus als Vorläufer ei… | |
eigenen Genres sehen, in dem sich Paare ebenfalls per Automobil „on the | |
road“ begeben. | |
Hans Fallada beispielsweise hat solch eine Episode in der | |
Erinnerungsgeschichte „Glück aus Lack, Leder und Stahl“ beschrieben, Julio | |
Cortázar und Carol Dunlop waren in den Achtzigern als Autonauten auf | |
französischen Schnellstraßen unterwegs. | |
Dem schön gestalteten Buch sind einige Fotos von den Fitzgeralds und ihrem | |
Wagen beigegeben – und als Zugabe gibt es einen erinnerungsseligen Text von | |
Zelda Fitzgerald. Er enthält Snap Shots von gemeinsamen Reisen mit ihrem | |
Mann, Miniaturen und Streiflichter, geschrieben zu einer Zeit, als der | |
Blick zurück schon von Wehmut getrübt ist. Das Gefühl von Melancholie und | |
Vergeblichkeit durchzieht bei genauerer Betrachtung allerdings bereits „Die | |
Straße der Pfirsiche“. | |
## Faible fürs Scheitern | |
In seinem Nachwort weist Alexander Pechmann auf eine Nähe zwischen dem | |
„Großen Gatsby“ und dieser kleinen Geschichte hin: Neben der | |
offensichtlichen Parallele, dass auch im „Gatsby“ Automobile eine wichtige | |
Rolle spielen, seien es „vor allem die zutiefst romantische Grundhaltung | |
und deren Scheitern an der Realität, die beide Werke verbinden – das | |
unbedingte Festhalten an den Träumen der Vergangenheit und die bittere | |
Einsicht in die ‚Treulosigkeit der Zeit‘.“ | |
Fitzgerald hatte ein Faible fürs Scheitern. In der „Straße der Pfirsiche“ | |
formt er aus diesem Motiv jedoch eine boulevardeske Komödie. | |
27 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Rüdenauer | |
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