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# taz.de -- Debatte Bundeswehreinsätze im Ausland: Auftrag leider nicht erfül…
> Die Friedensmissionen der Bundeswehr kosten viel und bringen recht wenig.
> Doch darf man einfach zuschauen und nichts tun?
Bild: Im Namen des Friedens: Die bewaffnete Auslandseinsätze der Bundeswehr wa…
Die Debatte im Bundestag über den bewaffneten Auslandseinsatz war tief in
der zweiten Stunde angekommen. Vier Punkte nannte der CDU-Außenpolitiker,
die erfüllt sein müssten, um eine militärische Intervention zu
rechtfertigen: 1) Es müssten „ganz schwere“ Menschenrechtsverletzungen
vorliegen. 2) Andere, zivile Mittel müssten erschöpft oder aussichtslos
sein. 3) Schlimmere Militäranwendung müsse verhindert werden. 4) Der
militärische Erfolg müsse die Voraussetzung für eine politische Lösung
schaffen: „Denn er selber schafft sie nie.“ Die Verantwortung der
Interventionsmächte sei damit im Übrigen auch nicht beendet. Und dann
ergänzte der Redner noch aus tiefem Herzen: „Mein Gott noch mal, das sind
doch Selbstverständlichkeiten!“
Rückfrage vom SPD-Außenpolitiker: „Könnten Sie mir aus den letzten fünf
Jahren einen Interventionsfall der UNO nennen, der, nach diesen Kriterien
gemessen, erfolgreich gewesen ist?“ Antwort: „Das ist eine sehr schwierige
Frage.“
Das war vor 25 Jahren. Es stritten sich im Bundestag Karl Lamers von der
CDU (der Ältere – nicht der, der jetzt noch im Bundestag sitzt) und
Hans-Ulrich Klose von der SPD. Es ging um eine Premiere: den ersten
bewaffneten Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Nato-Gebiets. Ziel:
Somalia, ein Land, das von Hunger und Bürgerkrieg geschüttelt wurde,
Hunderttausende waren schon gestorben. Die UNO trommelte für einen den
Frieden erzwingenden Einsatz, Deutschland wollte dabei sein.
Wer heute die Bundestagsdebatte zu Somalia vom Juli 1993 nachhört, erlebt
ein Déjà-vu nach dem anderen: die Betonung, dass nur eine politische Lösung
wirklich Frieden bringen könne; die Versuche, schlüssige Einsatzkriterien
zu formulieren; die Appelle an den internationalen Zusammenhalt; das
Herumdrücken um eine Exitstrategie.
## Gelernt haben wir nur wenig
Es wird überdeutlich: Die Republik ist einen weiten Weg seither gegangen,
er führte in die hintersten Winkel der Welt. Aber gelernt haben wir dabei
bedrückend wenig. Wenn die SicherheitsstrategInnen sich jetzt fragen, wie
es in Zeiten von Donald Trump mit „dem Westen“, mit der Nato und der neuen
Weltordnung seit 1990 weitergeht, dann sollte es eine Rolle spielen, dass
die Bilanz von 25 Jahren bewaffneter Auslandseinsätze so ernüchternd
bis erschütternd ausfällt.
Somalia 1993/1994 – UNOSOM II – war ein Einsatz, der komplett misslang. Die
USA führten eine Art Nebenkrieg: Sie wollten einen Warlord fangen, mit dem
sie kurz zuvor noch paktiert hatten. Die UNO wusste nicht recht, wie die
internationalen Truppen über das Land zu verteilen wären. Für die Deutschen
war die Folge, dass sie die Zeit dazu nutzten durften, Brunnen zu
reparieren, schießen zu üben und Volleyball zu spielen. Die USA wiederum
bekamen die Lage in Mogadischu nicht unter Kontrolle und zogen nach
grauenhaften Verlusten überstürzt ab – die anderen westlichen Länder gaben
ebenfalls auf. Somalia blieb viele, viele Jahre ein Ruinenstaat, die
Bevölkerung ohne Vertrauen in die internationale Gemeinschaft.
25 Jahre nach dem ersten bewaffneten Bundeswehreinsatz sind deutsche
Truppen ohne jede klare Zielbeschreibung in Afghanistan. Niemand weiß, wie
sich der Einsatz in Mali weiterentwickeln wird. Man möchte lieber nicht so
genau wissen, ob die Präsenz im Kosovo tatsächlich bald zu Ende gehen kann
und wann sich dort ein Rechtsstaat mit echter Demokratie herausbildet.
Der SPD-Abgeordnete Peter Glotz sagte vor 25 Jahren im Bundestag: „Dies ist
als Somaliadebatte angekündigt worden. 80 Prozent der Debatte haben wir
bisher darauf verwandt, den innenpolitischen Hickhack auszutragen. Das wird
der Lage in Somalia nicht gerecht, meine Damen und Herren.“
## Es geht um Innenpolitik
Genau. Damals wie heute schien es unmöglich, sich dem Einsatzland mit der
nötigen Ernsthaftigkeit zu widmen – stets überwogen Wunsch und
Notwendigkeit, sich innenpolitisch zu profilieren. Das gilt, mit Gruß an
die Linkspartei, für Einsatzbefürworter wie Einsatzgegner.
Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) wie Außenminister Klaus Kinkel
(FDP) taten, als gehe es um Nahrungsmittelhilfe mit etwas anderen Mitteln.
Dabei war die Hungerkrise im Wesentlichen vorüber, als die Bundeswehr erst
noch ihre Geländewagen in UNO-Farben umlackierte.
Auf das Ende der Hungerkrise wiesen Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne
Grenzen, die bereits länger in Somalia arbeiteten, auch deutlich hin. Doch
haben solche Experten in der Sicherheitspolitik nie besonders viel
gegolten. Nicht Kenntnisse des betroffenen Landes, sondern internationale
Bündnisse sind der entscheidende Faktor. Der Verweis auf die
Bündnisverpflichtungen macht es überhaupt erst möglich, Einwände und Kritik
niederzuwalzen: Unsere Partner verlangen das!, lautet noch stets das
gewichtigste Argument.
Allerdings kann sich beispielsweise Klaus Kinkel, Außenminister von 1992
bis 1998, heute nicht mehr genau erinnern, ob er im Fall Somalia von der
UNO oder Bündnispartnern de facto unter Druck gesetzt wurde. Eigentlich,
beschreibt er, wurde eher indirekt Einfluss genommen. „Ohne dass das so
absolut expressis verbis gesagt wurde“, seien die Erwartungen an das neu
vereinte Deutschland klar gewesen. Kinkel sagte kürzlich im Deutschlandfunk
(also zu mir) auch, dass er die Auslandsmissionen im Nachhinein – von
Somalia übers Kosovo bis Afghanistan – nicht mehr sinnvoll finde. Die
Gesamtschau sei „nicht absolut und zwingend positiv“, es könne womöglich
„nicht alles als erfolgreich angesehen“ werden.
In der Somaliadebatte im Juli 1993 erklärte Karl Lamers, warum er nichts
über die Erfüllung der Einsatzkriterien sagen könnte: Die Einsätze der UNO
wären noch nicht abgeschlossen. In der Tat: Die Ära der UNO-Einsätze begann
im großen Stil erst nach dem Fall der Mauer und dem Ende der Sowjetunion,
weil die Blockade im UN-Sicherheitsrat aufgelöst war. Der neue Aktivismus
der UNO beförderte wiederum den Handlungswillen der Nato und der westlichen
Bündnisse meist unter Führung der USA.
## Was wäre, wenn …
Ein Vierteljahrhundert später gibt es wenige Hinweise, dass bewaffnete
Auslandseinsätze des Westens die Welt besser gemacht hätten. Klar, man weiß
nicht, was gewesen wäre, wenn. In der Sicherheitspolitik gibt es keine
Doppelblindstudien, die testen könnten, was wie gewirkt hätte. Real sind
nur die Notlagen, die furchtbaren Bürgerkriege oder sogar Genozide, wo nach
Hilfe geschrien wird, wo Bilder entstehen, die Empörung und
Handlungswünsche auslösen.
Um dem Furchtbaren nicht nur mit dem moralischen und spontanen Ruf nach
bewaffneter Hilfe, sondern auch halbwegs mit dem nach Regeln und
internationaler Verbindlichkeit zu begegnen, wurde in den nuller Jahren das
Prinzip der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) ersonnen und
völkerrechtlich ausgekleidet: Die Welt darf eingreifen, wenn ein Staat
seine eigenen Bürger massakriert. Letztlich war es eine späte Antwort auf
das Grauen des Völkermords in Ruanda 1994, wo die internationale
Gemeinschaft nicht eingriff, weil sie noch ihr Fiasko in Somalia 1993 vor
Augen hatte.
Doch diese neue Schutzverantwortung konnte fast nie wirksam umgesetzt
werden: Glaubt noch jemand, der „Regime-Change“ in Libyen, der explizit mit
der Responsibility to Protect begründet wurde, sei erfolgreich verlaufen?
Schwingt sich noch jemand auf, 17 Jahre Afghanistan für einen sinnvollen
Mittel- und Menscheneinsatz zu halten?
Nichthandeln ist aber auch nicht unbedingt ein Ruhmesblatt. Wie quälend es
sein kann, dass USA und Nato-Partner vorsichtiger geworden sind, ist in
Syrien seit Jahren zu beobachten. Dagegen zeigt der Friedensschluss
zwischen Äthiopien und Eritrea, dass sinnlose Kriege auch manchmal wie von
selbst zu Ende gehen, Menschen befreit werden und Aufbruch möglich ist.
Niemand brauchte dort „den Westen“.
## Eine eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik
Derzeit schafft sich der Westen sowieso selbst ab. Damit ist die bisherige
Weltordnung womöglich beerdigt, die auf Friedenseinsätze setzte, die nie so
gut sind, wie sie gemeint waren, und die von den meisten Entscheidern noch
nicht einmal gut gemeint waren.
Vielleicht passiert jetzt, ausgerechnet mit der illiberalen, abstoßenden
„Wir zuerst“-Zeitenwende in Europa und den USA, wovon viele der
außenpolitischen Idealisten immer geredet haben: eine eigenständige
EU-Außen- und Sicherheitspolitik, die sich an Vorgaben der USA nicht
gebunden fühlt.
Es gibt keine anständige Empirie in der Sicherheitspolitik. Die berühmten
„lessons learned“ scheinen immer nur zu zeigen, dass man irgendwie den Mund
zu voll genommen hat und dachte, mit viel Geld und Mühe käme man
automatisch zum Erfolg. Aber wenigstens müsste eine neue europäische Außen-
und Sicherheitspolitik gelernt haben, wie begrenzt ihre Mittel letztlich
sind. Dazu gehört, offen die Folgen von Handeln und Nichthandeln abzuwägen
– man stelle sich vor, was Gaddafi in Libyen womöglich angerichtet hätte.
Eine Lehre ist auch, dass Regime-Change nahezu regelmäßig in die nächste
Katastrophe führt, dass es nicht gelingt, mit Nato und Freunden eine
rechtsstaatliche Demokratie zu errichten, wo vorher keine war. Und
schließlich weiß man jetzt, dass Einsätze kleiner und viel kleinteiliger
gedacht werden müssen – und dass man auf Experten hören muss, wenn man im
Einsatzgebiet auch nur einen einzigen sinnvollen Schritt tun will.
28 Jul 2018
## AUTOREN
Ulrike Winkelmann
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