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# taz.de -- Demokratische Republik Kongo: Rechtsfreier Raum im Herzen Afrikas
> Die Demokratische Republik Kongo ist Schauplatz einer der größten
> humanitären Krisen der Welt. Die Welt sollte nicht mehr tatenlos
> danebenstehen.
Bild: Kongo ist Schauplatz der am schnellsten explodierenden humanitären Krise…
13,1 Millionen Hilfsbedürftige. 670.000 Flüchtlinge in Nachbarländern, 4,5
Millionen Binnenflüchtlinge. 7,7 Millionen akut hungernde Menschen. Alles
mit Abstand Rekordwerte in einem Land, das bereits Jahrzehnte des
Bürgerkrieges hinter sich hat.
Diese aktuellen Daten der Vereinten Nationen geben die humanitäre Krise in
der Demokratischen Republik Kongo nur ungenügend wieder. Lokale Konflikte
breiten sich immer weiter aus, immer mehr Menschen verlieren ihre
Lebensgrundlage, immer mehr Gebiete sind zugleich für auswärtige Hilfe
unzugänglich.
Vor einem Jahr standen die Kasai-Provinzen um Kananga im Fokus von Gewalt
und Massenflucht, heute ist es – wie früher – der Osten des Landes, von
Kalemie am Tanganyika-See bis zu Bunia nahe Uganda. Nicht zufällig sind
Ostkongo und Kasai die am dichtesten besiedelten Regionen des
80-Millionen-Einwohner-Landes – neben der Megacity Kinshasa, ein brodelnder
Kessel der Unzufriedenheit.
## Humanitäre Krise, politische Ursachen
Die humanitäre Krise hat politische Gründe. Kongos Staat, vor fünfzehn
Jahren nach einem verheerenden Krieg neu gegründet, verliert seine
Legitimität. Alle legalen Amtszeiten der obersten Amtsträger sind
abgelaufen. Fällige Neuwahlen von Präsident und Parlament im Jahr 2016
fanden nicht statt; sie sind derzeit für Ende 2018 geplant, aber ob es sie
je geben wird, ist offen. Es herrscht staatliche Willkür und das Recht des
Stärkeren, gerade auf lokaler Ebene. Die politische Krise fällt zusammen
mit einer Wirtschaftskrise, die Staatseinnahmen und -ausgaben waren in den
letzten Jahren im freien Fall.
Im April soll eine internationale Geberkonferenz Hilfsgelder für den Kongo
mobilisieren. Bereits Ende März entscheidet der UN-Sicherheitsrat über die
Zukunft der UN-Mission im Kongo (Monusco). In seinem aktuellen
Kongo-Bericht an den Sicherheitsrat zeichnet UN-Generalsekretär Antonio
Guterres ein düsteres Bild: Die politische Lage sei „angespannt“, die
Wirtschaft „verbleibt im Abwärtstrend“, die humanitäre Krise sei „eine …
schwersten der Welt“, die Sicherheitslage „verschlechtert sich weiter“, d…
Haltung der Regierung „verhärtet sich“.
Von der Prioritätenliste der internationalen Diplomatie, von der
Deutschlands ganz zu schweigen, ist Kongo so gut wie verschwunden. Aber das
ist falsch. Denn:
1 Kongo ist Schauplatz der am schnellsten explodierenden humanitären Krise
der Welt. Allein im Jahr 2017 wurden 2,1 Millionen Menschen neu vertrieben.
Wären nicht zugleich 1,85 Millionen in ihre Heimatgemeinden zurückgekehrt –
zumeist aber in ausgeplünderte und verbrannte Dörfer – läge die Gesamtzahl
der Binnenflüchtlinge schon bei 6 Millionen. Nirgends steigen die Zahlen
schneller, warnten Helfer bereits Ende des letzten Jahres. In ihrer
aktuellen Jahresplanung für 2018 kalkuliert die UNO mit 6,8 Millionen
Binnenvertriebenen Ende dieses Jahres und warnt: „Das Ausmaß des
humanitären Bedarfs hat alle bisherigen Projektionen für die nächsten Jahre
überschritten […] Ein solches Ausmaß von Bedürftigkeit hat es in der ganzen
Geschichte humanitäre Hilfsappelle für den Kongo noch nie gegeben.“ 18 der
26 Provinzen des Landes seien betroffen – von Krieg, der Ankunft
Schutzsuchender, Seuchenausbreitung oder Hungersnöten. Die Herausforderung
bestehe darin, „immer mehr Menschen in immer größeren Gebieten zu helfen,
mit der geringsten Finanzierung seit zehn Jahren“.
2 Kongo ist Hauptlieferant der zentralen Rohstoffe für die Energiewende.
Kobalt, ohne das es keine Batterien und keine E-Autos gibt, wird weltweit
zu zwei Dritteln im Kongo gefördert, und die Fördermenge wächst jedes Jahr:
69.000 Tonnen im Jahr 2016, 87.000 im Jahr 2017, Wachstumsprognosen um
knapp 20.000 Tonnen jährlich bis 2020 – und all das bei explodierenden
Preisen, die sich vergangenes Jahr mehr als verdoppelten und weiter
steigen. Auch für andere strategische Rohstoffe wie Lithium, Zinn und
Tantal bleibt Kongo wichtig. Der Bergbau müsste das Land eigentlich reich
machen – aber stattdessen tummeln sich in dem Sektor Abenteurer und
korrupte Geschäftsfreunde des Präsidenten, die sich um soziale und
ökologische Standards ebenso wenig scheren wie um Transparenz und
Steuerehrlichkeit. Steigende Nachfrage nach Kongos Rohstoffen ohne
Wirtschaftsreformen und Einhaltung von Mindeststandards spült Geld in die
Schwarzkassen der Mächtigen; und das fördert Konflikte im Land.
3 Wenn Kongo in die Luft fliegt, fliegt halb Afrika mit in die Luft. Mit
seinen Rohstoffe könnte das 80-Millionen-Einwohner-Land von der Größe
Westeuropas theoretisch Afrika industrialisieren, mit seinen fruchtbaren
Agrarflächen den halben Kontinent ernähren. Tatsächlich ist Kongo
Rückzugsgebiet für Kriminelle, was Einmischungen der Nachbarländer
herausfordert, und ein Tummelplatz für illegale Geschäfte, die woanders
nicht mehr gehen. Kongo wird zunehmend wieder zum rechtsfreien Raum im
Herzen Afrikas.
4 Nirgends in Afrika hat die „internationale Gemeinschaft“ so intensiv
Staatsaufbau betrieben. Kongos Geschichte ist die der äußeren Einmischung:
die brutalste Kolonialherrschaft Afrikas, Belgiens Ermordung des
Befreiungshelden Patrice Lumumba direkt nach der Unabhängigkeit, die
US-Unterstützung für Diktator Mobutu Sese Seko als Bollwerk gegen den
Kommunismus, Mobutus Sturz durch die international unterstützten Rebellen
von Laurent-Désiré Kabila. Dann, nach Jahren des Krieges, ein in Südafrika
ausgehandelter Friedensvertrag 2003, eine in Belgien geschriebene
Verfassung 2005, international überwachte Wahlen 2006, von der Weltbank
geschriebene Bergbau- und Forstgesetze, die größte UN-Blauhelmtruppe der
Welt mit fast 20.000 Soldaten, militärische Unterstützung und Aufbauhilfe
in Milliardenhöhe. Und heute? Die Verfassungsordnung ist mangels regulärer
Neuwahlen faktisch suspendiert. Staatliche Sicherheitsorgane sind laut UNO
für 60 Prozent der Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.
Armeeoffensiven gegen Milizen treiben regelmäßig Hunderttausende in die
Flucht. Als verlässlicher Partner für Entwicklungszusammenarbeit fällt
Kongo weitestgehend aus. Staatliche Autorität beschränkt sich zunehmend auf
das unmittelbare Umfeld des Präsidenten, das durchaus zu Effizienz in der
Lage ist – aber in der Regel nicht zugunsten des Gemeinwohls.
5 Deutschland half seinerzeit, das Kabila-Regime als demokratische
Regierung zu inthronisieren. Die Bundeswehr führte 2006 eine
EU-Militärmission, die Kongos erste freie Wahlen absicherte, und stand
somit Pate, als der seit 2001 regierende Joseph Kabila – Sohn seines
Vorgängers Laurent-Désiré, der in seinem Palast durch einen Kopfschuss
starb – als demokratisch gewählter Staatschef installiert wurde. Sie
schaute sogar zu, als Kabilas Truppen zur Feier seines Wahlsieges die
Residenz des Gegenkandidaten bombardierten. Aus kongolesischer Sicht ist
Europa der Geburtshelfer eines Regimes, das seinen verfassungsgemäßen
Ursprüngen inzwischen entwachsen ist.
6 Unter deutscher Führung rettete die UN-Blauhelmtruppe erst vor wenigen
Jahren Präsident Kabila vor dem Sturz. Nach seiner Wiederwahl per
Wahlbetrug 2011 regte sich 2012/13 die stärkste bewaffnete Rebellion seit
Kriegsende 2003: die „Bewegung des 23. März“ (M23) aus unzufriedenen
Soldaten. Als Marionette Ruandas verteufelt, schafften die Aufständischen
es immerhin, kurzzeitig die Millionenstadt Goma zu erobern, und begann,
Verbündete zu gewinnen. Der frisch ernannte deutsche Chef der UN-Mission,
Martin Kobler, schickte seine Blauhelmtruppe in den Krieg und half Ende
2013 der Regierungsarmee, die Rebellen zu zerschlagen. Er merkte zu spät,
dass er damit einen starken Kabila-Staat herangezogen hatte, der sich
fortan absolut sicher fühlte. Versprochene Reformen wurden nie umgesetzt.
Die UNO ist heute bei politischen Krisen und militärischer Eskalation
machtloser Zuschauer. Internationales Personal ist in Konfliktgebieten
nicht sicher, wie die bis heute nicht aufgeklärte Ermordung von UN-Experten
in Kasai vor einem Jahr zeigt.
7 Mutige Menschen, die etwas ändern wollen, sollte man nicht alleine
lassen. Kongos Krise wäre noch viel schlimmer, wenn die Kongolesen nicht in
den Jahrzehnten von Diktatur und Staatszerfall gelernt hätten, sich selbst
zu organisieren. Die katholische Kirche des Landes – die größte Afrikas –
ist heute die wichtigste Stimme öffentlicher Kritik am Regime.
Menschenrechtsorganisationen, Selbsthilfegruppen und viele Einzelpersonen
in Privatwirtschaft, Verwaltung und auch in den Parlamenten und sogar im
Sicherheitsapparat tun, was sie können, um lokal zu deeskalieren und Aufbau
zu leisten. Besonders wichtig ist das angesichts der Verarmung weiter
Bevölkerungsteile und der um sich greifenden ethnischen Hassdiskurse. Wenn
mafiöse Lokalgrößen mit obskuren Geldquellen Milizen in den Kampf gegen
ihre Nachbarn schicken, um Privatinteressen zu fördern oder sich bei den
Mächtigen einzuschmeicheln, brauchen Gegenkräfte internationale
Solidarität.
8 Und nun? Die humanitäre Hilfe muss massiv ausgebaut werden, um ein
Massensterben zu verhindern – aber für einen verstärkten und effektiven
internationalen Einsatz muss die UNO im Kongo sich aus ihrer Rolle als
Schutztruppe und Aufbauhelfer des Staates lösen und eigenständig für den
Schutz der Bevölkerung sorgen. Das wird das Regime vermutlich nicht
zulassen. Lässt man es gewähren und hofft auf bessere Zeiten? Oder wagt man
die Kraftprobe und riskiert alles? Bald wird die Welt vor der Wahl stehen:
Richtig rein oder ganz raus. Weiter wie bisher – das geht nicht mehr.
15 Mar 2018
## AUTOREN
Dominic Johnson
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