# taz.de -- ORF-Journalisten in sozialen Medien: Meinungsfreiheit abgeschafft | |
> Der Chef des ORF will seinen Mitarbeitern verbieten, sich in Sozialen | |
> Medien politisch zu äußern. Das ist ein Kniefall vor der Rechtsregierung. | |
Bild: Bloß keine Herzen mehr vergeben: Selbst ein Like zählt als Meinungsäu�… | |
Die gesellschaftspolitische Stimmung in Österreich, im episodischen | |
Durchlauf der vergangenen Tage: [1][Bundeskanzler Sebastian Kurz fährt zum | |
Treffen der Visegrad-Staaten] und macht sich mit Wannabe-Diktator Victor | |
Orban gemein, nachdem er sich zuvor demonstrativ auf die Seite von Markus | |
Söder im Unionsstreit gestellt hat. Vizekanzler Heinz-Christian Strache | |
jettete derweil nach Rom zu seinem Amtskollegen und Freund im Geiste, | |
Matteo Salvini, einen rechtsradikalen Politrowdy, der gerade das Amt des | |
Innenministers ergattert hat. Was früher Rechtsradikalen-Treffen im | |
verrauchten Wirtshauszimmer gewesen wären, nennt sich heute | |
Ministertreffen. | |
Und Österreichs Innenminister Herbert Kickl veranstaltete an der Grenze zu | |
Slowenien mit Polizei und Militär eine große Show zur Flüchtlingsabwehr. | |
Mangels echter Flüchtlinge wurden die abzuwehrenden Invasoren von | |
Polizeischülern gemimt. Pressevertreter saßen wie in einem Amphitheater auf | |
einer Tribüne und berichtete brav über Kickls große Show, die in den | |
Sozialen Medien mit dem bisher von den rechtsradikalen Identitären | |
benützten Slogan #proborders beworben wurde. | |
Und Angriffe auf Journalisten, die sich noch eine Unbotmäßigkeit | |
herausnehmen, gehören ohnehin längst zur täglichen Übung – obwohl ein | |
Großteil der Medien Sebastian Kurz längst huldigt wie einem Messias. | |
## Neue Social-Media-Richtlinien | |
Es ist ein rasantes Kippen in Autoritäre, eine tägliche Zufuhr von neuem | |
Gift mit ständiger Steigerung der Dosis. In dieser Stimmungslage schlug | |
dann am Dienstag eine Art [2][von Weisung des ORF-Generaldirektors] noch | |
einmal ein. Neue Social-Media-Richtlinien für Mitarbeiter des | |
öffentlich-rechtlichen Senders sollen erarbeitet werden und der Entwurf, | |
der das Büro des ORF-Bosses verließ, hat es in sich. | |
Die Mitarbeiter des Senders haben fortan auf „öffentliche Äußerungen und | |
Kommentare in sozialen Medien“ zu verzichten, „die als Zustimmung, | |
Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und | |
,Polemik' gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder | |
Mitgliedern zu interpretieren sind“. Dies auch im „privaten Umfeld“, womit | |
im Kontext von Social Media auch Kommentare im engeren Freundeskreis | |
gemeint sein können. Aber nicht nur das: zu den künftig untersagten | |
Wertungen zählen auch „Zeichen der Unterstützung/Ablehnung wie Likes, | |
Dislikes, Recommends, Retweets oder Shares.“ Da gewiss im Einzelfall schwer | |
zu beurteilen ist, was schon eine parteiliche Wertung, was nur ein | |
ungläubiges Staunen ist, ersucht der Direktor elegant darum, „im Zweifel | |
von einer Meinungsäußerung Abstand zu nehmen.“ | |
Kurzum: Für Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nicht nur | |
die Meinungsfreiheit abgeschafft, wenn diese Dienstanweisung vom Entwurf | |
zur Realität wird, selbst die journalistische Kernaufgabe einer Wertung und | |
Beurteilung politischen Handelns ist ihnen dann untersagt. | |
## Kniefall vor der neuen Macht | |
Damit macht ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz einen Kniefall vor der | |
neuen Macht, [3][der ÖVP-FPÖ-Koalition, die einen solchen Maulkorberlass | |
lange gefordert hat]. Die Rechte an der Macht will generell mit dem | |
kritischen Journalismus aufräumen, von dem sie sich ungerecht behandelt | |
fühlt, und besonders den ORF „neutralisieren“, wie das ein | |
FPÖ-Spitzenfunktionär bei einer Rede vor AfD-Freunden sagte, denen er Tipps | |
für die rechte Machtübernahme gab. Angst soll in die Köpfe gepflanzt | |
werden, damit sich Journalisten und Anchor-Leute nicht mehr so viel heraus | |
nehmen. | |
In diesem Kontext ist der Weisungs-Entwurf des Generals zu sehen, der | |
eigentlich aus der SPÖ stammt, aber berühmt für seine Wendigkeit ist – und | |
auch für seine Überlebenskunst. | |
Natürlich kann man darüber diskutieren, [4][wie sehr sich | |
öffentlich-rechtliche Journalisten exponieren sollen]. Gebührenfinanziertes | |
Fernsehen und Radio ist per Definitionem kein Tendenzmedium, und besonders | |
politische Journalisten, die On Air in alle Richtungen kritisch und in | |
dieser Rolle glaubwürdig sein müssen, tun schon gut daran, auf anderen | |
Kanälen nicht wie Partisanen zu agieren. Aber das wissen ohnehin alle und | |
können mit dieser Rolle auch gut umgehen. Aber gerade diese | |
Unbestechlichkeit beinhaltet ja auch, in alle Richtungen kritische | |
Wertungen abzugeben, und diese kann man in der Regel nur aus der | |
Perspektive der eigenen Haltung formulieren. Aber geschenkt – über all das | |
könnte man wohlfeil debattieren, wäre da nicht der eindeutige Kontext. Und | |
der lautet: Journalisten, die ohnehin dauernd von den Ultrarechten | |
angegriffen werden, einen Maulkorb umzuhängen. | |
In der realen Situation Österreichs würde das noch einmal absurdere Folgen | |
haben: In die Ministerbüros der Rechtsradikalen sind ganze Heerscharen | |
rechter Kampfkommunikatoren eingezogen, die gerne auch Journalisten | |
kritisieren. Die ORF-Mitarbeiter dürften sich, nähme man die | |
Dienstanweisung ernst, künftig nicht einmal wehren. | |
Gestern nahm die ganze Angelegenheit dann noch einmal einen bizarreren | |
Twist: Selbst der Regierung geht mittlerweile der Kniefall von Wrabetz zu | |
weit. Sebastian Kurz ließ wissen, er sei „mehr als nur überrascht“, und | |
sehe die Leitlinie „sehr kritisch“. Kurz: „Die Meinungsfreiheit ist ein | |
hohes Gut.“ | |
27 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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