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# taz.de -- Politischer Journalismus: Demos? No way!
> Auf Twitter steht zur Debatte, ob Journalist*innen auf Demos gehen
> dürfen. In den USA stellt sich die Frage gar nicht: Dort ist es ihnen
> verboten.
Bild: Darf ein*e Journalist*in diesen Ballon halten? In den USA: no way!
WASHINGTON taz | Nachdem am vergangenen Sonntag [1][viele Tausend Menschen
in Berlin] gegen die AfD auf die Straße gingen, stellte der Zeit-Journalist
Martin Machowecz [2][bei Twitter eine Frage]. Verkürzt wollte er wissen:
Wie politisch dürfen sich Journalist*innen zeigen? In einem Tweet
kritisierte er Kolleg*innen, die gegen die rechtspopulistische Partei
demonstrieren, aber auch über sie berichten.
„Es entsteht der problematische Eindruck, wir Journalisten seien alle
einhellig gegen die Partei“, sagte Machowecz [3][im taz-Interview].
Zustimmung erhielt er unter anderem von der Spiegel-Reporterin [4][Melanie
Amann], die seit Jahren für das Magazin über die AfD berichtet. Widerspruch
kam von diversen Journalist*innen, die Machowecz unter anderem entgegneten,
es sei sogar die demokratische Pflicht von Journalist*innen gegen eine
rechte Partei zu demonstrieren.
Es ist eine sehr deutsche Debatte, die alle paar Jahre wiederkehrt. In den
USA, im Land der großen Freiheiten, stellt sich diese Frage überhaupt
nicht. Dort gilt eine strenge Trennung zwischen Berichterstattung und
Meinung. Wer Berichte schreibt, darf in der Regel keine Kommentare
schreiben, und umgekehrt. Politisches Engagement ist verpönt – oder sogar
verboten.
„Ich betreibe noch nicht einmal Fundraising für die Schule meines Sohnes“,
sagt Ari Bevacqua, Sprecherin des Hauptstadtbüros der New York Times in
Washington D.C. „Es gibt KollegInnen, die nicht wählen gehen, weil sie
darin einen Konflikt sehen.“ Wie die meisten großen Redaktionen der USA hat
die New York Times einen [5][umfangreichen Ethikkodex], in dem es heißt:
„Angestellte sollten besonders darauf achten, jede Tätigkeit zu vermeiden,
die einen tatsächlichen oder augenscheinlichen Interessenskonflikt
darstellen könnte.“
## „Washington Post“ ist noch präziser
Der [6][Kodex der Washington Post] ist präziser: „Wir vermeiden die aktive
Teilnahme an parteiischen Angelegenheiten – Politik, Kommunales, soziale
Bewegungen, Demonstrationen – die unsere Fähigkeit fair zu berichten und zu
redigieren beeinträchtigen könnten, oder diesen Eindruck erwecken.“
Im Jahr 2011 feuerte der öffentliche New Yorker Radiosender WNYC eine
Freelancerin, [7][weil sie an den Occupy-Protesten teilgenommen] hatte.
Caitlin Curran arbeitete als Producerin für eine morgendliche Talkshow, die
die Nachrichten des Tages aufgreift. Curran war keine Reporterin,
berichtete nicht speziell über Occupy, schon gar nicht war sie persönlich
on air. Allein die Tatsache, dass ihre Sendung das Thema einmal
aufgegriffen hatte, reichte WNYC, um einen Interessenkonflikt zu sehen.
Oft geht die Interpretation dieser Regeln weit über den eigentlichen Text
hinaus. Zwar ist nirgendwo explizit verboten zu wählen, und doch verzichten
US-ReporterInnen immer wieder auf ihr Stimmrecht, weil sie ihre Neutralität
nicht aufgeben wollen. Das ist nicht die Mehrheit, aber die Diskussion
darüber wird [8][regelmäßig ernsthaft geführt].
Besonders durch die verbalen Attacken des Präsidenten und seiner
Anhänger*innen gegen Zeitungen und Fernsehsender ist die heilige Kuh der
Neutralität in den USA noch heiliger geworden. Im Oktober weitete die New
York Times ihre Regeln für Newsroom-Angestellte [9][auf deren private
Social Media Kanäle aus]: Times-Mitarbeiter*innen sollen nun keine
politischen Aussagen mehr twittern und posten.
## „Reporter*in = New York Times“
Das [10][Memo an die Newsroom-Angestellten] enthält ein Zitat des
Chefreporters im Weißen Haus, Peter Baker: „Tweets unserer Reporter*innen
und Redakteur*innen über den Präsidenten werden als Aussagen der
Institution New York Times angesehen. Das Weiße Haus macht da keinen
Unterschied“, und weiter: „In der aktuell aufgeladenen Atmosphäre müssen
wir zusammenstehen.“
„Neutralität war immer wichtig, aber in der gegenwärtigen Situation, in der
Medien und Fakten selbst zum Thema geworden sind, haben wir eine besondere
Verantwortung“, sagt Ari Bevacqua. „Wir müssen ein Vorbild für
unvoreingenommenen Journalismus sein.“
Dazu kommt, dass neurechte Aktivist*innen immer wieder versuchen, den
etablierten Redaktionen eine politische Agenda nachzuweisen, so wie der
Verein „Project Veritas“ [11][im November bei der Washington Post]. Eine
Post-Mitarbeiterin sagt: „Es besteht auf jeden Fall ein Drang, Times- oder
Post-Journalist*innen dabei zu erwischen, wie sie etwas gegen die
Trump-Regierung sagen. Man ist deshalb vorsichtiger geworden.“
Dass die Debatte in Deutschland entlang der AfD geführt wird, ist nicht
verwunderlich. Der Drang nach absoluter Unvoreingenommenheit fußt auf der
Annahme, dass sie eine Insel der Sicherheit bietet inmitten eines
polarisierten Diskurses. Dass die zerstrittenen Gruppen der Gesellschaft
sich auf dem neutralen Terrain der Nachrichten zusammenfinden können.
Das Bedürfnis, Neutralität zu bewahren wird umso größer, wenn die
Nachrichten auf einmal zum politischen Akteur erklärt werden. Und
vielleicht ist es eine gute Idee, wenn schon nicht Neutralität, dann
zumindest Ausgewogenheit in der Berichterstattung hochzuhalten. Nur fragt
sich, ob man dafür ein künstlich entpolitisiertes Reportersubjekt braucht.
31 May 2018
## LINKS
[1] /AfD-Demonstration-und-Gegenprotest/!5508518
[2] https://twitter.com/mmachowecz/status/1001094312715833344
[3] /Zeit-Redakteur-ueber-Umgang-mit-der-AfD/!5509526
[4] https://twitter.com/MelAmann/status/1001587139598082049
[5] http://asne.org/resources-ethics-nyinteg
[6] http://asne.org/resources-ethics-wapo
[7] https://archives.cjr.org/the_news_frontier/public_radio_and_the_freelance.p…
[8] https://www.vox.com/conversations/2018/3/13/17113870/bob-woodward-journalis…
[9] /Journalisten-auf-Twitter-und-Facebook/!5455303
[10] https://www.nytimes.com/2017/10/13/reader-center/social-media-guidelines.h…
[11] /Sabotageversuch-bei-Washington-Post/!5466498
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Schwerpunkt AfD
New York Times
Washington Post
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Rassismus
Soziale Medien
Schwerpunkt Demos gegen rechts
Transparenz
Social Media
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