# taz.de -- US-Linke nach der Finanzkrise: Bye-bye, Occupy | |
> Die Aktivisten von damals sind verschwunden. Und ihre Ideen? Was wurde | |
> aus der Bewegung? Eine Spurensuche im Süden Manhattans. | |
Bild: „Ich wusste gar nicht, dass das Jubiläum jetzt ansteht“ :Occupy-Prot… | |
New York taz | Armut und Reichtum – in vielen US-amerikanischen Großstädten | |
sind das direkte Nachbarn. Besonders vulgär wirkt diese Nähe an dem Ort des | |
ganz großen Geldes, der New Yorker Wall Street. Die verspiegelten Fassaden | |
der mächtigsten Geldinstitute der Welt stehen hier bisweilen so dicht, dass | |
selbst im Hochsommer die Sonne nie den Boden erreicht. Unten, in der | |
täglichen Dunkelheit, sprinten adrette Banker durch die Straßen, auf Bänken | |
und in den Häusernischen hoffen Obdachlose auf Almosen. | |
So auch am Zuccotti Park, dem nostalgischen Sehnsuchtsort vieler | |
US-Kapitalismuskritiker. Denn auf dem Platz mit viel Beton und wenig Park | |
versammelte sich im Namen der „99 Prozent“ vor knapp sieben Jahren die | |
Occupy-Bewegung. Sie wollte im Nachgang der Finanzkrise, die nebenan an der | |
Wall Street ihren Anfang genommen hatte, gegen die (vermeintliche) | |
Herrschaft des einen Prozents protestieren und sinnbildlich die Rechte der | |
Obdachlosen im Park gegen die Banker verteidigen. | |
Fast zwei Monate lang hielten Hunderte den Platz besetzt, die Medien | |
berichteten. Bilder von Polizeibeamten, die Protestler mit Pfefferspray | |
attackierten, gingen um die Welt. Mitte November räumten die New Yorker | |
Gesetzeshüter den Zuccotti Park. Die so öffentlichkeitswirksame Bewegung | |
verschwand praktisch von einem Tag auf den anderen von der Bildfläche – | |
ohne auch nur einen der Auswüchse des Finanzkapitalismus niedergerungen zu | |
haben. Die basisdemokratische Bewegung scheiterte. | |
Aber warum? Darüber macht sich Occupy-Mitgründer Micah White noch heute | |
Gedanken. An einem Sommertag ist der Aktivistenguru in den Zuccotti-Park | |
gekommen, um Aufstieg und Niedergang der Bewegung zu erklären. „Als wir | |
Occupy ins Leben riefen, hatten die Menschen Angst“, erinnert sich der | |
36-Jährige, mit kurzen Locken und Kaffeebecher in der Hand. [1][Infolge der | |
Finanzkrise] plagten Räumungen und Arbeitslosigkeit das Land. „Und deshalb | |
begannen die Leute, die Praktiken an der Wall Street zu hinterfragen, die | |
die Krise verursacht hatten.“ | |
Das war die Geburtsstunde von Occupy. Schon seit Februar hatte White aus | |
dem kalifornischen Berkeley über die Aktivisten-Website Adbusters | |
Besetzungsaufrufe verschickt. Am 17. September brachten dann Aktivisten den | |
Zuccotti Park im Herzen von Lower Manhattan tatsächlich unter ihre | |
Kontrolle. „Man kann sich heute kaum noch vorstellen, wie das damals hier | |
aussah“, sagt White. „Alles war voller Zelte, es gab Volksküchen und | |
Büchereien.“ | |
## Frustrierte Banker und Wissenschaftler | |
Der Enthusiasmus war groß, ein Bewusstsein für politisches Handeln gab es | |
jedoch kaum. White kommt in Rage, als er sich an die politischen | |
Überzeugungen der Besetzer erinnert. „Es gab diese lächerliche Vorstellung, | |
dass man eine bessere Gesellschaft nur selbst vorleben müsse. Der Rest der | |
Welt würde dann zwangsläufig folgen. Deshalb glaubte auch niemand daran, | |
dass es nötig sei, politische Forderungen zu stellen.“ White selbst hatte | |
vorgeschlagen, eine Reform der Wahlkampffinanzierung zu fordern. Größere | |
Interessengruppen können in den USA praktisch unbegrenzt Wahlkampagnen | |
finanzieren – dagegen sollte sich Occupy wenden, findet White immer noch. | |
Doch nicht einmal diese Minimalforderung übernahm die Bewegung, denn alles | |
musste im Konsens beschlossen werden. | |
Außerdem habe es ein tiefes Misstrauen gegenüber jenen gegeben, die etwas | |
von Politik und Finanzmarktregulierung verstanden, erzählt White. „Keiner | |
hatte irgendwelches Fachwissen. Und Leute, die Ahnung hatten, wurden | |
einfach ignoriert. Manche Leute nannten das Anti-Eliten-Dogma.“ | |
Deshalb zogen sich die Finanzexperten unter den Protestierenden in eigene | |
Gruppen zurück. Zum Beispiel Akshat Tewary (39) aus New Jersey. Der Jurist | |
lief während der Besetzung zufällig am Zuccotti Park vorbei und ließ sich | |
vom Protest anstecken. Statt sich (wie andere Besetzer) in Trommelzirkeln | |
oder Yogagruppen zu engagieren, scharrte Tewary Finanzexperten, frustrierte | |
Banker und Wissenschaftler um sich. Gemeinsam erarbeiteten sie Vorschläge | |
für eine bessere Finanzmarktregulierung. Mehrmals die Woche trafen sich die | |
acht Mitglieder von „Occupy the SEC“ (SEC ist die | |
US-Börsenaufsichtsbehörde) im öffentlich zugänglichen Wolkenkratzer in der | |
60 Wall Street. Hier sitzt zufälligerweise auch die US-Zentrale der | |
Deutschen Bank. | |
„Fünf Monate lang trafen wir uns mit Laptops und Stiften und arbeiteten und | |
arbeiteten“, erzählt Tewary, heute Anwalt für Migrationsrecht. Das Ziel: | |
Ein Kommentar zur Volcker Rule, einem Gesetzesvorhaben, mit dem die | |
Regierung Banken hochspekulative Geschäfte untersagen wollte. Im Februar | |
lieferte Occupy the SEC eine 200 Seiten lange Antwort auf die Volcker Rule, | |
Tewarys Gruppe wurde für kurze Zeit richtig berühmt. Die Aktivisten waren | |
gefragte Interviewpartner und trafen Kongressabgeordnete. Dem kleinen Trupp | |
war es gelungen, eines der kompliziertesten Gesetze der US-Geschichte nicht | |
nur zu analysieren, sondern auch auf hohem Niveau zu kritisieren. Einige | |
ihrer Einwände fanden Eingang in die finale Gesetzgebung. Doch dies sollte | |
der einzige derartige Erfolg der Occupy-Bewegung bleiben. Danach ließ das | |
Interesse nach. | |
„Wir haben immer mal wieder Kommentare zur Finanzregulierung geschrieben. | |
Am Anfang hatten wir auch noch 200 Medienanfragen zu jedem unserer | |
Statements“, erzählt Tewary. Dann sank die Aufmerksamkeit. „Zu unserer | |
letzten Pressemitteilung hatten wir nur noch eine Anfrage“, sagt er | |
enttäuscht. | |
## Mal wieder ein Protestaufruf | |
Doch warum ist das Interesse derart abgeebbt? Tewary hat dafür eine | |
unspektakuläre Erklärung. Der Wirtschaft gehe es einfach wieder besser. | |
Doch seit zwei Jahren gebe es noch einen weiteren Grund: Donald Trump. Die | |
Politik des US-Präsidenten sei mit für das Desinteresse vieler Amerikaner | |
an Finanzthemen verantwortlich. „Wenn Kinder von Einwanderern ihren Eltern | |
entrissen werden, wenn es schon wieder einen Amoklauf gibt, scheint das | |
vielen Menschen einfach dringlicher“, mutmaßt Tewary. | |
Und so halten er und die anderen Aktivisten nur noch unregelmäßig Kontakt | |
per Mail. „Wir haben eben auch noch Jobs und ein Leben“, sagt Tewary. | |
Enttäuscht ist er dennoch. „Unter Trump gibt es wieder Deregulierungen, | |
gerade Minderheiten sind davon getroffen. Die Probleme im Finanzsektor sind | |
so groß wie früher.“ Das Interesse am Thema ist bei ihm nicht erloschen. | |
Bei Occupy-Gründer Micah White ist das anders. Er schreibt Bücher, der New | |
Yorker nannte ihn einen der „einflussreichsten jungen Denker der heutigen | |
Zeit“, aber die Themen von einst interessieren ihn nicht mehr. Zur | |
Finanzmarktderegulierung unter Trump sagt White: „Ich orientiere mich | |
nicht mehr an diesen politischen Themen.“ Stattdessen will er noch in | |
diesem Jahr eine Online-Akademie für Aktivisten gründen. Das Ziel: eine | |
internationale soziale Bewegung, die im Gegensatz zu Occupy aber auch | |
Mandate und Ämter anstrebt. | |
Für den 15. September – den Tag, an dem sich die Lehman-Pleite zum zehnten | |
Mal jährt, gibt es auf der Occupy-Webseite zumindest einen Protestaufruf. | |
Die Resonanz in den sozialen Medien ist aber gering. | |
Auch Akshat Tewary hat für den Stichtag nichts Besonderes geplant: „Ich | |
wusste gar nicht, dass das Jubiläum jetzt ansteht. Da sollten wir | |
vielleicht mal was machen.“ Wirklich motiviert wirkt er dabei aber nicht. | |
15 Sep 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jörg Wimalasena | |
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