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# taz.de -- Neues Buch von David Graeber: Geistlos und nervig
> Der Erfolgsautor untersucht in „Bullshit-Jobs“ sinnlose Arbeit. Die
> scheint trotz Automatisierung nicht weniger, sondern eher mehr zu werden.
Bild: Fallen diese drei vielleicht in die Kategorie der „Lakaien“?
Er weiß die Zeichen der Zeit zu erkennen und zu benennen, [1][der
US-amerikanische Anthropologe, Anarchist und Aktivist David Graeber]. Eine
der prominenten Figuren der „Occupy Wallstreet“-Bewegung, trat Graeber vor
einigen Jahren mit „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“ als Chronist der
finanziell schuldenhaften globalen Verstrickungen in Erscheinung und war
fortan international berühmt.
Auch in seinem neuesten Buch kratzt er hartnäckig an einer der kollektiven
mentalen Wunden der westlichen, postindustriellen Gesellschaft:
„Bullshit-Jobs“ ist die auf Buchlänge gebrachte Erweiterung eines
Artikels, den Graeber 2013 für das Magazin Strike! schrieb. Die zahlreichen
Zuschriften, die er zu jenem Text bekam, bilden eine Art empirische
Grundlage für das Buch.
Es geht, kurz gefasst, darum, dass sehr viele Menschen eine Arbeit ausüben,
die sie eigentlich hassen, weil sie sie für sinnlos halten, und dass die
Gesellschaft dieses massenhafte Phänomen gleichzeitig weitgehend
tabuisiert. Graeber beschränkt sich zur Illustration dieser Tatsachen nicht
darauf, aus den Mails zu zitieren, die seine LeserInnen ihm geschickt
haben, sondern nennt auch Zahlen: In der Umfrage eines britischen
Meinungsforschungsinstituts, das im Anschluss an den ursprünglichen Artikel
Menschen die Frage stellte, ob ihre Arbeit einen sinnvollen Beitrag für die
Welt leiste, antworteten 37 Prozent der Befragten mit Nein. Eine
niederländische Studie kam mit einer ähnlich formulierten Frage sogar auf
40 Prozent Neinsager.
Es ist in der Tat merkwürdig: Einerseits sind viele Vorgänge automatisiert
worden, die als geistlose, nervtötende Tätigkeiten gelten. Aber dadurch ist
nicht das allgemeine Freizeitvolumen gestiegen, sondern es haben an anderer
Stelle solche Posten zugenommen, die die Ausführung anderer geistloser,
nervtötender Tätigkeiten beinhalten und jenen, die sie bekleiden,
hauptsächlich das Gefühl vermitteln, ihre Zeit mit Scheinbeschäftigungen zu
vergeuden.
Manager-Feudalismus
Warum ist das so? Auch David Graeber findet keine wirklich befriedigende
Antwort. Auf jeden Fall enthält sein Buch anregende Denkansätze und
beleuchtet das Thema aus verschiedenen interessanten Perspektiven. Es
bewegt sich dabei allerdings fast ausschließlich auf der Beschreibungsebene
– der Originaltitel „Bullshit Jobs: A Theory“ ist auf jeden Fall stark
übertrieben. Eine Klassifizierung des Bullshits nimmt Graeber allerdings
vor. Angenommen, sie stimmte, so wäre eine vollständige Theoriebildung
schon deshalb recht schwierig, weil die Bullshit-Jobs, die er
identifiziert, durchaus sehr verschiedenen Kategorien angehören.
Graeber unterscheidet fünf Haupttypen: die „Lakaien“, die „Schläger“,…
„Flickschuster“, die „Kästchenankreuzer“ und die „Aufgabenverteiler�…
vom Textvolumen her scheinen die „Lakaien“ ein besonders häufiges Phänomen
zu sein: Dieser Begriff umfasst solche Jobs, deren Existenz dazu dient,
jemand anderen wichtig aussehen zu lassen – zum Beispiel ist das Ansehen
eines Managers oder einer Managerin innerhalb eines Unternehmens daran
abzulesen, wie viele Untergebene seiner/ihrer Abteilung angehören. Ob sie
tatsächlich sinnvolle Arbeit ausführen, ist dabei irrelevant.
Graeber sieht und zieht hier in einem historischen Exkurs viele Parallelen
zur feudalistischen Gesellschaft und findet für diese neue Form des
Dienerwesens den schönen Begriff des „Manager-Feudalismus“.
Ganz anders gelagert ist dagegen das Phänomen der „Flickschuster“ – sie
machen Jobs, deren Existenz nötig, aber im Grunde absurd ist, weil sie nur
dazu dienen, einen an anderer Stelle entstandenen Mangel zu beheben. Als
klassischer Fall für einen solchen Flickschuster zieht sich durch Graebers
Buch der IT-Entwickler, der sein bezahltes Arbeitsleben damit verbringt,
schlecht funktionierende Programme zu fixen, und seine eigentliche
Qualifikation nur dann einsetzen kann, wenn er in seiner Freizeit
unentgeltlich Open-Source-Software entwickelt.
Sinnlosigkeit unterschiedlichen Ursprungs
Schon an diesen beiden Kategorien ist aber zu erkennen, dass der Bullshit,
der diese Jobs jeweils auszeichnet, aus sehr unterschiedlichen Quellen
stammt. Im Fall der Flickschusterei kann von neofeudalistischer Willkür
wohl kaum die Rede sein, dafür aber von Missmanagement und fehlender
digitaler Kompetenz aufseiten des Managements in einer Arbeitswelt, die den
immer weiter wuchernden Entwicklungen im IT-Sektor schlicht nicht gewachsen
ist.
Ganz abgesehen davon, dass der Bullshit-Begriff, da mit eindeutig
polemischen Absichten belegt, schon deshalb nur schwer einer objektiven
Definition zu unterwerfen ist, ist also bei näherer Betrachtung das Leiden
der Menschen an der Sinnlosigkeit ihrer bezahlten Tätigkeiten äußerst
unterschiedlichen Ursprungs.
Im Übrigen ist dieses Leiden kein neues Phänomen im Zeitalter des
Finanzkapitalismus, wie Graeber nebenbei durchaus zugibt. So erwähnt er den
mittlerweile historisch überholten Posten des footman, der einst in
englischen Adelskreisen an junge Männer vergeben wurde, die allein dazu da
waren, in Livree gut auszusehen und dabei „neben der Kutsche herzulaufen
und die Straße nach Unebenheiten abzusuchen“.
Aber es ist ja wahr: Obwohl heutzutage so viele Prozesse automatisiert
sind, dass es durchaus möglich wäre, die verbliebene sinnvolle Arbeit auf
weniger Stunden für alle zu verteilen, geschieht das nicht. Warum nur? Eine
wichtige Rolle spielt dabei unsere komplizierte Beziehung zur Arbeit.
Abgesehen von der Arbeitswerttheorie, die Graeber kurz streift und die das
Verhältnis der aufgewendeten Arbeit zum Produkt, also einen
quantifizierbaren Wert, betrifft, besitzt Arbeit auch einen ideellen,
sozialen Wert.
Gegen Bezahlung zu arbeiten wird als unabdingbarer Teil eines vollwertigen
Erwachsenenlebens angesehen; und je mehr man arbeitet, desto besser. Zudem
herrscht das tief verwurzelte Gefühl vor, dass „Arbeit“ etwas ist, das man
lieber nicht täte, das also keinen Spaß macht.
Daher, so Graeber, führe es auch nicht zu einem allgemeinen Aufschrei, dass
generell ein proportional umgekehrtes Verhältnis zwischen der
Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit und der Entlohnung, die dafür zu erwarten
ist, bestehe. Denn Menschen, die in Pflegeberufen, als ErzieherInnen oder
bei der Müllabfuhr arbeiten, erführen in den Augen der Gesellschaft schon
so viel Belohnung durch den ideellen Wert ihres Tuns, dass dafür eine
geringere Entlohnung als akzeptabel gelte.
Sehr viel in diesem Buch ist gut beobachtet und klar benannt. Ja, genau!,
denkt man immer wieder zustimmend – vor allem in jenen Passagen, in denen
Graeber aus Zuschriften von Menschen zitiert, die er als Reaktion auf
seinen ursprünglichen Artikel bekam. So sehr viel weiter geht das Denken
dann allerdings nicht. Die Fallbeispiele und ihre Kommentierung bilden
einen überdurchschnittlich großen Teil des Buches. Manches wiederholt sich.
Der ökonomische, kulturhistorische, gesellschaftspolitische Hintergrund
wird im Verhältnis dazu eher flüchtig vermessen. Anschaulichkeit geht hier
eindeutig vor Analyse.
Graeber als populärer Autor schwankt hier spürbar zwischen verschiedenen
sozialen Rollen, und im Bemühen, sie gleichzeitig auszufüllen, kann keiner
sich voll entfalten, weder der Aktivist noch der Wissenschaftler.
7 Sep 2018
## LINKS
[1] /Occupy-Theoretiker-David-Graeber/!5092553
## AUTOREN
Katharina Granzin
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