| # taz.de -- Grünen-Chef Habeck über Koalitionen: „Seehofer müsste zurückt… | |
| > Der Innenminister hat sich disqualifiziert, findet Robert Habeck. Ein | |
| > Interview über Heimatgefühle und eine mögliche Kenia-Koalition. | |
| Bild: „Die CSU arbeitet an einer Richtungsverschiebung hin zu einer illiberal… | |
| taz am wochenende: Herr Habeck, in dieser Woche [1][dachte man: Die CSU | |
| sprengt die Regierung in die Luft]. Wie haben Sie diese irren Tage erlebt? | |
| Robert Habeck: Die CSU hat Deutschlands Mitte zum Nirwana gemacht. Diese | |
| Eruption wird lange nachwirken. Was da passiert ist, ist eine tektonische | |
| Plattenverschiebung in der deutschen Demokratie. Wir erleben den Beginn des | |
| Endes der Volkspartei CSU. | |
| Das [2][Verhältnis zwischen Merkel und Seehofer] ist zerrüttet. Wie sollen | |
| die beiden noch zusammen regieren? | |
| Horst Seehofer vergreift sich in Form und Sprache in nie gekannter Weise. | |
| Er trennt nicht zwischen seiner Wut auf die Kanzlerin und seiner Rolle als | |
| Minister. So ein Staatsverständnis kennen wir eigentlich nur von | |
| Potentaten. | |
| Müsste [3][Seehofer gehen]? | |
| Ja. Horst Seehofer müsste vom Amt des Innenministers zurücktreten. Er hat | |
| Rachegefühle zum Motiv seines innenpolitischen Handelns gemacht. Indem er | |
| die Stabilität Deutschlands und Europas seiner persönlichen Fehde | |
| unterworfen hat, hat er sich als Minister disqualifiziert. | |
| Mein Eindruck ist, dass sich die CSU langsam, aber sicher in eine | |
| rechtsnationalistische Partei verwandelt. Wie sehen Sie das? | |
| Diesen Eindruck teile ich. Man muss anfangen, ernst zu nehmen, was wichtige | |
| CSU-Politiker sagen. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt möchte eine | |
| konservative Revolution, Markus Söder ruft das Ende des Multilateralismus | |
| aus. Die CSU-Führung hofiert Viktor Orbán, den rechtsnationalen | |
| Regierungschef Ungarns, oder Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der mit | |
| der rechtspopulistischen FPÖ zusammenarbeitet. Die CSU arbeitet an einer | |
| fundamentalen Richtungsverschiebung hin zu einer illiberalen Demokratie, | |
| wie wir sie aus Osteuropa kennen. | |
| Es wurde viel über den [4][Bruch der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU] | |
| spekuliert. Halten Sie das für möglich? | |
| Eigentlich für notwendig. Jedenfalls muss die Machtfrage geklärt werden. Zu | |
| sagen, die CSU war nur 14 Tage außer Rand und Band und jetzt ist sie wieder | |
| zur Vernunft gekommen, hieße, das Phänomen zu unterschätzen. Die CSU hat in | |
| den vergangenen Jahren viele Entscheidungen verantwortet, die sich heute | |
| bitter rächen. Und die CDU hat sich zu oft der CSU gebeugt. | |
| Zum Beispiel? | |
| Ein großer Fehler der Kanzlerin war, dass sie zu Beginn ihrer | |
| Kanzlerinnenschaft dem türkischen Präsidenten Erdogan den Stuhl vor die Tür | |
| stellte, als er noch reformwillig und europafreundlich war. Die CSU hatte | |
| die Union damals dazu getrieben. Die CSU vertritt ja nicht nur beim | |
| Asylrecht eine egoistische Linie, sondern auch in der Europa-, Klima- oder | |
| Energiepolitik. | |
| Was heißt das für das deutsche Parteiensystem? | |
| Die proeuropäisch orientierten Parteien müssen sich auf Bündnisse | |
| vorbereiten, die ohne die CSU auskommen. Horst Seehofer ist nicht | |
| alternativlos. Alexander Dobrindt darf die Republik nicht immer weiter nach | |
| rechts treiben. Dieser Auftrag geht auch an die Grünen. | |
| Bewerben Sie sich um einen Platz an Merkels Seite – in einem [5][Bündnis | |
| aus CDU, SPD und Grünen]? | |
| Wir, die Grünen, müssen eine Machtoption herstellen, die nicht national | |
| oder antieuropäisch ist. Es ist doch so: Wenn es im proeuropäischen Lager | |
| keine Bündnisfähigkeit mehr gibt, siegen irgendwann die Rechtsnationalen. | |
| Dann endet unsere Demokratie wie die in Ungarn. | |
| Haben Sie Merkel schon angerufen, um ihr die Koalition anzubieten? | |
| Die Kanzlerin weiß, wofür die Grünen stehen. Die CDU aber muss sich klar | |
| entscheiden, wer sie ist. Jetzt hat sie sich noch einmal hinter Angela | |
| Merkel versammelt. Das kaschiert aber, dass es auch innerhalb der CDU | |
| Kräfte gibt, die den nationalistischen Kurs richtig finden. | |
| Es wäre nur konsequent, wenn Sie aktiv werden würden. | |
| In der Tat werden die Grünen zu einem entscheidenden Akteur. Die alten | |
| Rechts-Links-Lager sortierten sich entlang von Fragen der Umverteilung, der | |
| wirtschaftlichen Regulierung und der Sozialpolitik. Jetzt gibt es aber | |
| zusätzlich eine weitere Werteachse: proeuropäisch-liberal versus | |
| nationalistisch-illiberal. Die Grünen stehen klar auf der liberalen Seite, | |
| egal ob sie den Realo Winfried Kretschmann oder die linksgrüne | |
| Kreuzbergerin Canan Bayram fragen. Klarer als die meisten anderen Parteien. | |
| Aus dieser Entschiedenheit erwächst ein politischer Auftrag. | |
| Ist für Sie Rot-Rot-Grün endgültig tot? Aus Teilen der Linkspartei hört man | |
| auch nationalstaatlich orientierte Töne. | |
| SPD, Grüne und Linke liegen bei vielen Fragen nah beieinander. Aber wir | |
| müssen uns eben nicht mehr nur um eine faire Erbschaftsteuer oder die | |
| Reform von Hartz IV kümmern, sondern auch um Europa. Rot-Rot-Grün kann | |
| entstehen, aber nur unter der Bedingung, dass in dieser Frage Klarheit | |
| herrscht. | |
| Haben Sie sich schon bei Christian Lindner bedankt, weil er die | |
| Jamaika-Sondierungen platzen ließ? | |
| Nö. Wieso? | |
| Weil der Streit in der Flüchtlingspolitik die Grünen zerrissen hätte. | |
| Doch nicht die Grünen. Aber sicher die Koalition. Das sage ich jetzt ohne | |
| Häme: Wir hätten uns das nicht 14 Tage lang schweigend angeguckt wie die | |
| SPD. Wenn Herr Seehofer in einer Jamaika-Koalition mit den Abweisungen an | |
| der Grenze angekommen wäre, hätte bei es bei uns schnell einen | |
| Sonderparteitag gegeben. Mit der Ansage: Entweder der Koalitionsvertrag | |
| gilt, oder wir sind weg. | |
| Es wird immer wichtiger, für Stabilität zu sorgen. Gleichzeitig verstehen | |
| sich die Grünen als Kraft der Veränderung. Wie gehen Sie mit diesem | |
| Widerspruch um? | |
| Uns wächst eine neue Rolle zu. Früher waren wir die Chaoten, heute sind es | |
| die CSUler. Wir müssen den Staat und das Vertrauen in seine Institutionen | |
| stärken – über den Status Quo hinaus. Es braucht Veränderung, um das | |
| demokratische System zu stabilisieren. Die AfD ist ja ein Symptom | |
| bestehender Probleme, die nicht bearbeitet wurden. Um die europäischen | |
| Fliehkräfte zu bekämpfen oder den digitalen Kapitalismus zu zähmen, sind | |
| radikalere Ansätze nötig. | |
| Das System stabilisieren? Früher kämpften die Grünen dagegen. | |
| Ich fremdle ja selbst mit der neuen Rolle. Ich habe für mein Ministeramt | |
| geschworen, dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen und die Gesetze zu | |
| wahren. Fühlte sich erst komisch an, inzwischen bedeutet es mir was. | |
| Herr Habeck, sind Sie ein Patriot? | |
| Das Wort hat ja den Ruch, rechtsnational verbraucht zu sein. Aber | |
| Linksliberale müssen sich um den Staat kümmern. Es geht jetzt um etwas | |
| Grundsätzliches: Die Würde des Menschen scheint plötzlich nicht mehr | |
| unantastbar, Freiheitsrechte werden in Frage gestellt. Wenn wir sagen „das | |
| System stabilisieren“, dann meine ich das: das Herz unserer liberalen | |
| Demokratie schlagen lassen. | |
| Sie starten kommende Woche ihre Sommerreise durch Deutschland. Das Motto | |
| ist ein Zitat aus der Nationalhymne, „Des Glückes Unterpfand“. Warum? | |
| Sommerreisen von Politikern sind ja meist eher seichte Veranstaltungen. Man | |
| produziert Wohlfühl-Bilder, streichelt Kinder oder Kälbchen, isst vegane | |
| Bratwurst. Annalena und ich haben uns entschieden, einen politischen | |
| Vorstoß zu wagen. Und zwar, um klar zu machen, dass es Glück nur geben | |
| kann, wenn gesellschaftlicher Zusammenhalt, Rechtsstaat und Freiheit | |
| garantiert sind. | |
| Manche werden sagen: Peinlich, jetzt tuten Habeck und Baerbock auch noch | |
| ins patriotische Horn. | |
| Wir rechnen mit Debatten. Das wäre nur gut. Uns geht es darum, deutlich zu | |
| machen, dass auch unsere Partei in einer Tradition von Freiheitskämpfen | |
| steht. Ich werde zu Orten der deutschen Geschichte reisen, zur Frankfurter | |
| Paulskirche oder zum Hambacher Schloss. Die Revolutionäre von 1848 kämpften | |
| ja auch für Bürgerrechte, für Pressefreiheit und gegen den autoritären | |
| Feudalismus. Diese republikanische Tradition passt zu uns. | |
| Die Deutsche Revolution versuchte, einen Nationalstaat zu schaffen. Die | |
| Zeit für nationalstaatliches Denken ist vorbei, oder? | |
| Wäre zu schön, wenn der Nationalismus vorbei wäre. Nationalismus gebiert | |
| nur Zerstörung. Aber es gibt in der deutschen Geschichte, mit all ihren | |
| Facetten, einen zweiten Strang: eben den der Emanzipationsbewegung. Er | |
| dachte Freiheit und Staat zusammen – der Staat als Voraussetzung für | |
| Freiheit und Bürgerrechte. Schaffen wir es, an diesen Strang anzuknüpfen, | |
| dann können wir eine Alternative zum Nationalismus schaffen. Das ist eine | |
| Kampfansage an die rechtsnationalen Kräfte, ihren völkischen Nationalismus | |
| und an Europafeinde. | |
| Linksgrüne sagen, wer zu viel über Heimat rede, grenze Fremde aus. Was | |
| entgegnen Sie? | |
| Wir wollen wieder eine Regierung in Deutschland bilden, damit wir was | |
| bewegen können. Da ist es doch besser, wir klären vorher unser Verhältnis | |
| zur Republik als hinterher. | |
| Braucht es mehr linken Pathos? | |
| Pathos klingt wie Patriotismus. Ich schrecke ein bisschen zurück, weil das | |
| so schwere Worte sind. | |
| Aber? | |
| Aber Leidenschaft, die braucht es. Warum sprechen AfD, die CSU und jetzt ja | |
| auch Teile der CDU von Asyltourismus? Weil sie wissen, dass so Bilder im | |
| Kopf entstehen. Warum konnte die SPD den Familiennachzug in den | |
| Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen? Weil sie immer sagte, es gehe um | |
| subsidiär Geschützte – ein technisches Wort! Du brauchst die Herzen, um die | |
| Köpfe zu gewinnen. | |
| Was ist für Sie persönlich Heimat? | |
| Heimat ist, wenn ich nach einer langen Woche nach Hause komme. Ich schließe | |
| die Tür auf. Mir dröhnt Hiphop entgegen, meine Söhne haben Spaghetti mit | |
| Ketchup gekocht, die Küche sieht aus wie Sau. Meine Frau kommt dazu, wir | |
| essen, danach gucken wir ein Fußballspiel oder quatschen oder spielen. Und | |
| da kann ich in Jogginghose und löchrigen Socken sitzen und auch mal | |
| Blödsinn sagen. | |
| 6 Jul 2018 | |
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| Ulrich Schulte | |
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