# taz.de -- Grüne-Jugend-Sprecherin über Heimat: „Nicht auf Patriotismus se… | |
> Müssen Grüne die Nationalhymne loben? Grüne-Jugend-Sprecherin Ricarda | |
> Lang kritisiert die Heimatoffensive ihrer Parteichefs. | |
Bild: „Patriotismus ist nicht das Terrain, auf dem Grüne gewinnen werden“,… | |
taz: Frau Lang, haben Sie bei einem festlichen Anlass schon mal die | |
Nationalhymne gesungen? | |
Ricarda Lang: Ich war noch auf keinem festlichen Anlass, bei dem die | |
Nationalhymne gesungen wurde. Ich stehe mehr auf Elektro. | |
Ihre Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock touren im | |
Moment durch die Republik. Das Motto ihrer Sommerreise ist: „Des Glückes | |
Unterpfand“. Wie finden Sie die Anspielung? | |
Für mich ist diese Idee nicht nachvollziehbar. Warum müssen Grüne mit einem | |
Zitat aus der Nationalhymne ihre Politik erklären? Patriotismus ist nicht | |
das Terrain, auf dem Grüne gewinnen werden. Auch wenn man ihn ganz anders | |
definiert als Konservative, birgt er immer die Gefahr, ausgrenzend zu | |
wirken. Er bezieht sich auf die Nation, also einen Raum, der andere | |
ausschließt. | |
Habeck hat das Motto in einem [1][taz-Interview] zur „Kampfansage an die | |
rechtsnationalen Kräfte“ erklärt. Was ist daran falsch? | |
Ich würde Robert und Annalena nicht unterstellen, auf nationalistische Töne | |
zu setzen. Sie argumentieren in der Sache progressiv, europäisch und | |
vorwärtsgewandt. | |
Aber? | |
Aber der Deutungsrahmen, den sie aufmachen, ist falsch. Wir erleben im | |
Moment eine extreme Re-Nationalisierung des politischen Diskurses – | |
vorangetrieben von der AfD, der CSU und auch der FDP. Wir werden das Spiel | |
der anderen nicht gewinnen. Die Grünen dürfen deshalb nicht auf | |
Patriotismus setzen. | |
Warum keinen linken Gegenentwurf schaffen? Viele Menschen lieben nun mal | |
ihre Heimat. | |
Patriotismus ist eine klassisch konservative Strategie. Viele Menschen | |
fühlen sich abgehängt, die Ungleichheit wächst, das politische | |
Ohnmachtsgefühl nimmt zu. Die Konservativen bieten lieber ein | |
identitätsstiftendes Motiv an, statt Probleme zu lösen und Politik offener | |
und demokratischer zu gestalten. Die CSU lenkt mit ihrem Rechtspopulismus | |
gegen Flüchtlinge von Missständen ab und suggeriert den Leuten, sie seien | |
als Bayern etwas ganz Besonderes. Und die Grünen sollen nun einfach diese | |
konservative Strategie umdeuten? Das wäre mir zu defensiv. | |
Zu welcher Strategie raten Sie? | |
Ich würde mir eine Erzählung grüner Politik wünschen, die klar über die | |
Nation hinausweist. Mehr Europa, mehr Internationalismus, mehr | |
Universalismus, aber auch mehr individuelle Wertschätzung. | |
Sorry, das klingt sehr abstrakt. | |
Eine knackige Überschrift habe ich noch nicht. Aber wenn jemand seit Jahren | |
keinen Job hat oder vier braucht, um die Miete zu bezahlen, hilft ihm keine | |
Deutschlandflagge am Balkon. Wenn wir so tun, als fehle den Menschen | |
eigentlich nur ein richtiges Staatsbewusstsein, drücken wir uns so wie die | |
anderen Parteien vor den Herausforderungen. Das wäre kurzsichtig und | |
unehrlich. Wir müssen den Menschen zeigen, dass sie durch eine | |
universalistische Politik nichts verlieren, sondern am Ende alle an | |
Freiheit und Möglichkeiten gewinnen. Wir dürfen nicht so viel Angst vor der | |
Angst haben. | |
Wo ist Ihnen Ihre Partei zu ängstlich? | |
Wir sind oft zu vorsichtig. Viele Grüne leiten Forderungen in der | |
Flüchtlingspolitik nur noch aus dem Grundgesetz her. Das ist ein total | |
formaler, ungenügender Ansatz. Das Asylrecht im Grundgesetz wurde 1993 | |
weitgehend entkernt, es ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Eigentlich | |
müssten die Grünen Forderungen betonen, die weit über das Grundgesetz | |
hinausgehen. Es gibt starke politische Gründe dafür, das Asylrecht zu | |
schützen. Wenn wir Menschen für unsere Politik begeistern wollen, dann | |
reicht keine bloße Beschreibung der Tatsachen. Wir müssen offen | |
diskutieren, wieso wir eine humanitäre Politik politisch für richtig | |
halten. | |
Die Grünen haben schon mehrmals über ihr Verhältnis zu Heimat gestritten. | |
Was ist für Sie Heimat? | |
Für mich ist Heimat etwas Privates. Heimat ist kein politischer, nach vorne | |
weisender Begriff. Er wurde in Abgrenzung zum Fortschritt erfunden und war | |
schon immer konservativ besetzt. Jeder und jede kann selbst für sich | |
entscheiden, was Heimat ist oder auch nicht. Aber ich halte es nicht für | |
zielführend, dass Parteien das definieren. | |
Argumentieren Sie damit nicht an einem menschlichen Grundbedürfnis vorbei? | |
Natürlich müssen wir die Lebenswelt von Menschen ansprechen, wenn wir sie | |
emotional erreichen wollen. Die Grünen standen immer für – auch regional | |
verankerte – Solidarität. Aber auch hier geht es um die Frage: Gibt man | |
sich damit zufrieden, ein konservatives Identitätsangebot anders zu rahmen | |
– oder findet man etwas Eigenes, Neues? Ich bin für Letzteres. Wir könnten | |
zum Beispiel die Frage von sozialer Teilhabe und einer funktionierenden | |
Infrastruktur stärker mit europäischen Ansätzen verknüpfen. | |
Es geht auch um einen Kampf um Symbole. Die AfD schmückt sich gerne mit der | |
Nationalflagge. Nehmen Sie das einfach hin? | |
Ich verstehe jedenfalls nicht, warum die Grünen die Nationalflagge | |
plötzlich toll finden sollen. Habeck und Baerbock versuchen damit an eine | |
republikanische Tradition anzuknüpfen. Das greift aber historisch zu kurz, | |
in den letzten Jahrzehnten war die Nationalflagge vor allem ein | |
konservatives Symbol. Es kann sinnvoll sein, Politik in einen historischen | |
Kontext zu setzen. Doch dabei sollten wir den Ausgangspunkt von | |
aufklärerischen Werten nicht mit ihrem Geltungsanspruch verwechseln. | |
Außerdem wäre zum Beispiel die 68er-Bewegung für mich ein sehr viel | |
passender Bezugspunkt, denn die Auseinandersetzung damit zeigt auch noch | |
heute den Unterschied zwischen konservativer und grüner Politik auf. | |
Habeck argumentiert, Linksliberale müssten sich in Zeiten, in denen Rechte | |
Institutionen angreifen, stärker um den Staat kümmern. Hat er Recht? | |
Ja und nein. Einerseits verteidigen staatliche Institutionen heute sicher | |
demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien. Das ist bitter notwendig und | |
schützenswert. Aber die Grünen dürfen den Staat auch nicht verklären. | |
Schließlich wurde er in der Vergangenheit vor allem von Konservativen | |
gestaltet. Wir müssen uns deshalb trauen, auf seine Schwächen hinzuweisen. | |
Und dürfen nicht aufhören, für universelle Prinzipien zu kämpfen, gerade | |
für die, die noch in keinem Gesetz stehen. | |
Sie sind mit Ihrer Kritik an der grünen Patriotismusoffensive bisher | |
allein. Stehen Sie auf verlorenem Posten? | |
Es gibt viele Menschen in der Partei, die Patriotismus kritisch sehen. Ich | |
erlebe in den Gremien intensive Diskussionen über den Kampf gegen den | |
Rechtsruck. Es ist das Wesen der repräsentativen Demokratie, dass man | |
zwischen Optionen wählen kann. Wir müssen klar machen, welche Option wir | |
anbieten und das wird sicherlich nicht die patriotische sein. | |
30 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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