# taz.de -- Grüne und Patriotismus: Zu wenig Vaterlandsliebe? | |
> Die AfD und Friedrich Merz unterstellen Robert Habeck, nicht patriotisch | |
> zu sein. Ihr Beleg ist ein aus dem Kontext gerissenes Zitat. Ein | |
> Faktencheck. | |
Bild: Ein linker Patriot: Robert Habeck 2012 im Watt in Nordfriesland | |
BERLIN taz | Mit der intellektuellen Redlichkeit ist es in Wahlkämpfen | |
leider nicht weit her. Friedrich Merz hat bei Markus Lanz am Mittwochabend | |
ein Musterbeispiel für böswillige Diffamierung abgeliefert. Vielleicht war | |
es aber auch nur beeindruckende Unkenntnis, aber von vorn. | |
Er nutzte die Gelegenheit, vor einem Millionenpublikum über den | |
Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck herzuziehen. Das, was Habeck zum | |
deutschen Staat und zu Patriotismus sage, irritiere ihn „hochgradig“, sagte | |
Merz. Als Beispiel schob er nach, Habeck habe ja gesagt, er könne mit dem | |
Wort Vaterlandsliebe „nichts anfangen“ und fände das Wort Patriotismus „… | |
Kotzen“. | |
Habeck, ein vaterlandsloser Geselle? Merz wiederholte eine Diffamierung, | |
die in rechtsextremen Kreisen ungemein beliebt ist. Von der AfD und rechten | |
Trollen im Netz wird der Grünen-Chef seit Jahren als Deutschland-Hasser | |
hingestellt, immer mit Verweis auf das „Zum Kotzen“-Zitat. Auch | |
Konservative wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak oder der Abgeordnete | |
Philipp Amthor nutzten es bereits, um Stimmung gegen die Grünen zu machen. | |
Aus gegebenem Anlass ist deshalb ein Faktencheck angebracht. Das Zitat wird | |
in der Regel aus dem Kontext gerissen. Es steht in Robert Habecks Buch | |
„Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“, das im Jahr 2010 erschien. Man muss | |
die Textstelle komplett zitieren, um den Zusammenhang zu erfassen. Habeck | |
schreibt: | |
## „Sinnstiftende, politische Erzählung“ | |
„Als Adressat und Verbindung zwischen den Gegensätzen, zwischen | |
‚Liberalität‘ und ‚Paternalismus‘, zwischen ‚verantwortungsvoll‘ u… | |
‚kreativ‘, zwischen ‚Bürger‘ und ‚Konsument‘ braucht man ein posit… | |
Gesellschaftsverständnis. | |
Man braucht es, um eine sinnstiftende, politische Erzählung zu schaffen, | |
die Zutrauen und Zuversicht gibt, dass Veränderungen gut sind und es sich | |
lohnt, für sie zu streiten. Man braucht eine Erzählung, die auf Veränderung | |
setzt, auf Gerechtigkeit und Internationalität. Dieses Engagement nenne ich | |
einen ‚linken Patriotismus‘. | |
Ich schreibe das in vollem Bewusstsein, dass ich Widerspruch provozieren | |
werde. Patriotismus, Vaterlandsliebe also, fand ich stets zum Kotzen. Ich | |
wusste mit Deutschland nichts anzufangen und weiß es bis heute nicht.“ | |
Die Zitate sind elf Jahre alt, aber sie sind korrekt. Entscheidend ist der | |
Zusammenhang: Habeck nimmt das Geständnis, dass er Patriotismus zum Kotzen | |
„fand“ (Imperfekt!), ausdrücklich als Ausgangspunkt für die These, dass | |
sich auch Linke positiv auf die deutsche Gesellschaft beziehen müssten. | |
Anders gesagt: Er korrigiert seine alte Position ausführlich und | |
öffentlich. | |
## Werbung für Verfassungspatriotismus | |
In dem Tenor geht es in dem Buch weiter. Auf gut 200 Seiten wirbt Habeck | |
für Verfassungspatriotismus, für Begeisterung fürs Gemeinwohl, für | |
gemeinsame Ideale, kurz: für einen linken Patriotismus. Er war einer der | |
Ersten überhaupt, der der deutschen Linken diesen Gedanken schmackhaft | |
machte. Die Stoßrichtung des Grünen ist also genau die Gegenteilige als die | |
von Merz, Ziemiak oder der AfD unterstellte. | |
Habeck hat auch schon längst eingeräumt, dass die zwei Sätze in dem Buch | |
aus heutiger Sicht missverständlich sind. „Heute würde ich das wohl nicht | |
mehr so schreiben“, [1][sagte er im April 2019 der Bild am Sonntag.] Wieder | |
beteuerte er, dass Linke patriotische Symbole nicht Rechten überlassen | |
dürfen: „Fahne und Hymne gehören nicht den Rechtspopulisten.“ Sein Buch | |
erkläre, sagte Habeck, warum „auch linkere Parteien sich um ein Wir-Gefühl | |
und Heimat kümmern müssen“. | |
Auch der Kurs der Grünen unter Habeck und Annalena Baerbock widerlegt die | |
Behauptung, sie wüssten mit Deutschland nichts anzufangen. Die Ökopartei | |
regiert in elf Bundesländern mit und geht schwierigste Bündnisse ein, um | |
jenseits der AfD Mehrheiten zu bilden. Dabei ignoriert sie zum Wohle des | |
Landes manchmal sogar ihre eigene Schmerzgrenze. | |
Ein Beispiel: In Sachsen-Anhalt kam es im Dezember zu einer veritablen | |
Krise, weil die CDU-Fraktion eine Gebührenerhöhung von 86 Cent für den | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk blockierte. Sie tat das gegen den Willen | |
des eigenen CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, gegen den Willen der | |
Regierungspartner SPD und Grüne, gegen den Willen aller anderen | |
Länderparlamente – aber zur großen Freude der AfD, die den angeblich | |
linksgrün versifften Staatsfunk hasst. | |
## Wie staatstragend war die Thüringer CDU-Fraktion? | |
Die Grünen tolerierten diesen, nun ja: patriotischen Akt der | |
Sachsen-Anhalt-CDU zähneknirschend, weil sie dem Land mitten in der | |
Corona-Pandemie keine Regierungskrise zumuten wollten. Wer demonstrierte da | |
wohl die staatstragendere Haltung? Und wie staatstragend war die Thüringer | |
CDU-Fraktion, die zusammen mit der AfD einen Kurzzeit-Ministerpräsidenten | |
von der FDP wählte? Egal, solche Fragen führen weg vom Thema, den Grünen. | |
Habeck und Baerbock wiederholen jedenfalls permanent, dass die staatlichen | |
Institutionen geschützt und die demokratische Mitte zusammengehalten werden | |
müssen. Sie überschrieben ihre Sommerreise 2018 mit einem Zitat aus der | |
Nationalhymne („des Glückes Unterpfand“). Über ihrem Grundsatzprogramm | |
steht ein Fragment aus dem Grundgesetz („… zu achten und zu schützen …�… | |
Robert Habeck ist sozusagen der patriotischste Grüne der Welt. Man kann all | |
das ignorieren und ihm trotzdem ein gestörtes Verhältnis zum Staat | |
unterstellen, wie Merz es tut – aber dann operiert man an der Grenze zu | |
Fake News. | |
## Bitte keinen Westentaschen-Populismus | |
Völlig abwegig aber ist, dass Merz bei Lanz ausgerechnet die Koalition in | |
Schleswig-Holstein als Beispiel für „vernünftige Grüne“ anführt, weil s… | |
dort mit CDU und FDP regierten. Die Jamaika-Koalition hat Habeck 2017 | |
maßgeblich organisiert und war unter Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) | |
Energiewendeminister und Vizeregierungschef. | |
Wie gesagt, vielleicht hatte Friedrich Merz, der nie ein Regierungsamt | |
hatte oder einen Amtseid schwor, bei Lanz einfach nicht die Fakten parat? | |
Dagegen spricht, dass sein Sprecher auf taz-Anfrage am Donnerstag nichts | |
korrigiert oder zurücknimmt, sondern nur auf den [2][Faktenchecker von | |
Correctiv] verweist. Jener zitiert die Sätze aus Habecks Buch korrekt, | |
liefert aber ebenfalls keinen weiteren Kontext. | |
Merz fühlt sich in dieser Frage also offenbar im Recht. Und nun? Um es mal | |
ganz staatstragend und patriotisch zu sagen: Wenn das das intellektuelle | |
Niveau des Bundestagswahlkampfes werden soll, dann gnade uns Gott. | |
Friedrich Merz sollte lieber erklären, wie ein gutes Deutschland für alle | |
aussehen könnte, statt Ausflüge in den Westentaschenpopulismus zu | |
unternehmen. | |
14 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/gruenen-chef-ro… | |
[2] https://correctiv.org/faktencheck/politik/2019/06/14/ja-robert-habeck-hat-s… | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Katrin Göring-Eckardt | |
Robert Habeck | |
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