# taz.de -- Grüner Robert Habeck im taz-Interview: „Weniger Masse, mehr Hirn… | |
> Wie kriegt seine Partei Jamaika hin? Der Grüne Robert Habeck über Posten, | |
> rote Linien und über Cem, Katrin und Macron. | |
Bild: „Jamaika ist ein Wahnsinnswagnis. Aber eins mit Chance“, sagt der Gr�… | |
taz. am wochenende: Herr Habeck, früher gab es bei den Grünen ein | |
geflügeltes Wort: „Die arme Verwandtschaft vom Platz vor dem Neuen Tor.“ | |
Kennen Sie das? | |
Robert Habeck: Nein. Aber ich kann mir vorstellen, was es bedeutet. | |
Dort haben die beiden Parteivorsitzenden ihre Büros. | |
Der Bundesvorstand hat gegenüber der Bundestagsfraktion oder möglichen | |
Ministerien die wenigsten Mittel und Mitarbeiter. Mein Ministerium in | |
Schleswig-Holstein hat 440 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit dem | |
nachgeordneten Apparat arbeite ich mit 2.000 Leuten zusammen. Sie helfen, | |
dass ich keine Fehler mache, sie beantworten meine Fragen und setzen die | |
politischen Entscheidungen im Land um. | |
Ein kleiner König. | |
Könige sind die unfreisten Menschen, die es gibt. Übrigens speist sich | |
politische Kraft aus mehr als Geld und Personal. Ideenreichtum, | |
Motivation, Klarheit, Geschick. Insofern kann man es auch umdrehen: Bist du | |
klein, bist du beweglich. Weniger Masse, mehr Hirn. Die Bundesvorsitzenden | |
können strategisch wichtige Knotenpunkte sein. | |
Die Grünen suchen einen neuen Chef. Würden Sie die 2.000 gegen zwei | |
tauschen? | |
Sorry, ich bin nicht auf Jobsuche. | |
Wollen Sie lieber Bundesminister werden? | |
Ich halte es geradezu für aberwitzig, jetzt über Posten zu diskutieren. | |
Alle, die Jamaika ernsthaft gestalten möchten, sollten sich überlegen, wie | |
das gehen kann, nicht, was aus ihnen werden kann. | |
Ach ja? Die Rheinische Post berichtet, Sie und die grünen Spitzenkandidaten | |
Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir hätten bei einem Treffen mit | |
FDP-Verhandlern bereits über Ressortzuschnitte gesprochen. | |
Das ist Quatsch. Ich war jedenfalls bei keinem solchen Treffen. Das | |
Schlimme an solchen Meldungen, ist aber nicht nur, dass sie falsch sind, | |
sondern der Eindruck entsteht, hier geht es um Karrieregeilheit und Posten. | |
Wir müssen doch erst mal sehen, ob Jamaika irgendeine Grundlage haben kann. | |
Wie schwierig werden die Verhandlungen? | |
Enorm. Aber wie verspeist man einen Wal? Bissen für Bissen. Und du weißt | |
nicht, ob du danach platzt, ob dir übel ist oder es dir einigermaßen gut | |
geht. So dürfte der Weg nach Jamaika sein. | |
Wie würden Sie rangehen an den Wal? | |
Entscheidend wird sein, dass alle Beteiligten innerhalb ihrer eigenen | |
Milieus dafür werben, aus der Ernsthaftigkeit der Sondierung eine | |
Ernsthaftigkeit der Lösung zu machen. Wenn alle sich hinter roten Linien | |
verschanzen, kann das nichts werden. Jeder muss sich trauen, dem anderen | |
einen halben Meter entgegenzukommen, ohne die eigene Position zu verraten. | |
Nur so kann etwas Neues entstehen, ein dritter Weg neben ausgetretenen | |
Pfaden. | |
Machen Sie Witze? Die CSU schlägt gerade um sich. | |
Klar, wer eine Niederlage erlitten hat, haut auf die Trommel, um zu zeigen, | |
dass er noch lebt. Das macht es nicht leichter. Je unsouveräner man sich | |
fühlt, desto schwieriger ist es, großmütig zu sein. Nötig wäre ein | |
konstruktiver Modus. | |
Was müssten die Topthemen für die Grünen in einer Regierung sein? | |
Damit das nicht so etwas Listenhaftes bekommt, rede ich mal von | |
Themenfeldern. Das erste Feld ist die ökologische Transformation, von | |
Energie über Umwelt bis Landwirtschaft. Dann wäre da die Sozialpolitik. | |
Jamaika steht prinzipiell unter dem Verdacht, ein Bündnis der | |
Besserverdiener zu werden. Das ist tödlich. Es wäre gerade nach dieser Wahl | |
mit Sicherheit die falsche Antwort für die Gesellschaft. Das dritte Feld | |
sind die Finanzen. Die Fiskalpolitik einer Jamaika-Koalition ist | |
entscheidend. An ihr entscheidet sich die Frage, wie solidarisch, | |
ökologisch und weltoffen Deutschland in Europa agiert. | |
Sie träumen. Die FDP will offenbar das Bundesfinanzministerium und der | |
zweitstärkste Koalitionspartner durfte sich immer als erster ein Ressort | |
aussuchen. Wie sollen die Grünen da Fiskalpolitik machen? | |
Die Auseinandersetzung um die Fiskalpolitik zeichnet sich als neue | |
Hauptkonfrontation ab. Sie ist unweigerlich mit der Frage verbunden, wie | |
Europa zusammenhält. Das Feld werden wir nicht einfach der FDP überlassen. | |
Sie hat da eine extrem andere Vorstellung als wir. Und wir wissen selbst, | |
wie eine ökologische und soziale Fiskalpolitik gestaltet werden kann. | |
Monika Heinold, unsere Finanzministerin in Schleswig-Holstein, steuert über | |
die Finanzen auch Politikfelder. Für den Bund muss gelten: Ein | |
Koalitionsvertrag müsste Europa neue Chancen eröffnen und die | |
Deregulierungswut im Innern stoppen. Aber wie gesagt, ich rede nicht über | |
Posten. Es haben ja jetzt schon viel zu viele Leute die Frage im | |
Hinterkopf: Was wird aus mir? Das geht mir wirklich auf den Senkel. | |
Scheitert Jamaika an der Flüchtlingspolitik? | |
Das ist nicht ausgeschlossen. Es ist für alle Parteien ein identitäres | |
Thema. Viele Grüne kennen Afghanen, die mit unseren Kindern Fußball | |
spielen, die eine Ausbildung gemacht haben, Deutsch sprechen und jetzt | |
abgeschoben werden sollen. Und weil es diesen Stellenwert hat, haben in | |
Schleswig-Holstein alle genau geschaut, was kommt bei sicheren | |
Herkunftsländern, bei Integration und bei Abschiebungen heraus. Wir haben | |
hier hart, aber nicht starrköpfig verhandelt. Und weil wir da erfolgreich | |
waren, hat das ganze Ding Kraft bekommen. | |
Müssten sich die Grünen in der Flüchtlingspolitik ehrlich machen? Sie | |
sprechen nicht gern über Abschiebungen und Grenzschutz in der EU, aber sie | |
wollen in Wirklichkeit auch nicht zu viele Menschen aus Afrika ohne | |
Bleiberecht aufnehmen. | |
Alle reden doch ständig über die EU-Außengrenzen und Abschiebungen. Wir | |
versuchen ein Gegengewicht in der politischen Debatte zu etablieren. Sollen | |
wir das sagen, was alle sagen? | |
Sie drücken sich um entscheidende Punkte herum. | |
Ich bin im sechsten Jahr Mitglied einer Landesregierung. Natürlich wird bei | |
uns abgeschoben, da haben wir aber auch nie ein Geheimnis draus gemacht. | |
Aber das ist nichts, worauf ich stolz bin. Menschen ohne Bleiberecht | |
schicken wir ja meist in Not und Elend zurück. Dahinter stecken | |
Familiengeschichten, die wünsche ich keinem. Ich finde richtig, dass | |
Humanität bei uns oben steht. Sie muss Leitgedanke sein für eine | |
durchdachte Politik für Asyl und Einwanderung. | |
Sie sagen, die Grünen müssten in Jamaika linker werden. Führen solche Sätze | |
nicht in eine grandiose Überforderung? | |
Kann sein. Jamaika ist ja im Grunde eine einzige Überforderung für die | |
Grünen. Das ist, wenn man es zu Ende denkt, ein Wahnsinnswagnis. Das | |
Problem ist nur: Die Leute haben so gewählt, und wir können nicht | |
leichtfertig sagen, ist uns egal. Wenn wir nicht mit dem Willen zu | |
gestalten sondieren, sind wir eine verantwortungslose | |
In-die-Büsche-schlagen-Truppe. Wenn ich mich zwischen zwei Wagnissen | |
entscheiden muss, dann nehme ich das, das die Chance auf einen Effekt hat. | |
Warum zündete der Wahlkampf der Grünen nicht, so dass die Ziele verfehlt | |
wurden? | |
Ich finde, dass Katrin und Cem einen guten Wahlkampf gemacht haben, und sie | |
haben geschafft, den niedrigen Umfragewerten zu trotzen. | |
Was können sich die Grünen bei Emmanuel Macron abschauen? | |
Wagemut zahlt sich aus. Manches teile ich, eine marktliberale | |
Wirtschaftspolitik nicht. Aber er traut sich, nach vorne zu gehen, er hat | |
einen sehr glaubwürdigen Umweltminister, und er will Europa wirklich | |
erneuern. Und er wirkt frisch und redet nicht Plattitüden. Das imponiert | |
mir. | |
Halten Sie eine Bewegung wie „En marche!“ in Frankreich in Deutschland für | |
denkbar? | |
Definitiv. Der Idealismus in unserer Gesellschaft schlummert nur. Als im | |
September 2015 die Flüchtlinge nach Deutschland kamen, konnten wir eine | |
breite gesellschaftliche Bewegung für Humanität beobachten. Sie brach | |
schnell zusammen, lebt aber bis heute in ihren Verästelungen fort. Das war | |
linker Patriotismus. Wenn ich mit Freunden meiner Söhne rede, merke ich | |
immer wieder, wie hochpolitisch die sind. Dieses Potenzial wartet auf einen | |
Form, einen Ausdruck. Wir brauchen eine emotionale, wertegebundene und | |
identitätsstiftende progressive Politik. | |
Warum haben die Grünen es nicht geschafft, eine solche Emotionalität zu | |
entfachen? | |
Linksliberale stemmen sich seit jeher dagegen, die Leute im Gefühl zu | |
erreichen. Wir sind die Vernünftigen. Aber Vernunft kann eben auch schnell | |
zu verkopft wirken. | |
Im Ernst? Die Grünen sind zu kopfgesteuert? | |
Zur Not deklinieren wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz fehlerfrei runter | |
bis in Paragraf 37 b. Aber das löst keine Leidenschaft aus. Früher war es | |
ein geflügelter Satz bei den Grünen, eine Programmpartei zu sein. Wir | |
plakatieren Inhalte, keine Köpfe! Aber nur wenige Menschen identifizieren | |
sich mit Zahlen und Paragrafen. Menschen identifizieren sich mit Menschen. | |
Und ihren Ideen und Leidenschaften. | |
Die AfD zielt gekonnt auf Gefühle, indem sie Feindbilder definiert und | |
dunkle, verboten klingende Wörter raunt. | |
Ich verstehe, dass viele Menschen verunsichert sind. Der Boden schwankt, | |
die Welt ändert sich in rasendem Tempo. Alles löst sich auf – Arbeit, | |
Nation, Familie, kulturelle Milieus. Und wir sind eine Partei der | |
Veränderung. Aber Mangel an Dynamik und Veränderung ist gerade echt nicht | |
das Problem vieler Leute. Deshalb: Wir müssen auch emotionalen Halt bieten. | |
Hören wir da zärtliche Kritik an Ihrer Partei? Wir dachten schon, Sie | |
möchten die 8,9 Prozent mit schönreden. Eine ähnliche Zahl galt 2013 als | |
Katastrophe. | |
Nein, gar nicht. Das Ergebnis ist sehr okay. Aber es ist auch gefährlich, | |
wenn wir selbstzufrieden werden. Wir dürfen den Anspruch, dritte Kraft und | |
zweistellig zu werden, nicht aufgeben. Vor allem darf unser Erfolg nicht | |
zur Stärke des Rechtspopulismus führen. | |
Geht das zusammen? Erneuerungsprozess und Regieren? | |
Eine Erneuerung in Verantwortung, geradezu aus der Verantwortung im Amt ist | |
möglich. Aber schwer. Denn ein ministerieller Apparat bis hoch zum Minister | |
hat die eiserne Regel: Mach keine Fehler, denn du repräsentierst den Staat. | |
Bei einer Erneuerung der Grünen wäre es aber gerade notwendig, Fehler | |
machen zu dürfen. Wie sieht die Gesellschaft in zehn Jahren aus? Was müssen | |
die Sozialsysteme dann leisten? Wie definieren wir Arbeit? Was ist Frieden | |
2025? Das sind Fragen, die wir uns stellen und mit Radikalität nach vorne | |
bringen müssen. Aber mit Blick auf mein Bundesland: Wir regieren jetzt im | |
sechsten Jahr, aber die Wahlergebnisse steigen. Wir haben den höchsten | |
Zuwachs aller Bundesländer bei der Bundestagswahl. Geht also. | |
Nach der Wahl 2013 diskutierten die Grünen viel über Freiheit. Sie wollten | |
die FDP beerben. | |
Stimmt. Hat nicht funktioniert. | |
Das Freiheitsthema ist für Sie wieder erledigt? | |
Nein. Freiheit ist ein Querschnittsthema, genau wie Gerechtigkeit oder | |
Solidarität. Wir sehen Freiheit immer im Systempaar mit Gesellschaft und | |
Gemeinschaft. Wenn möglichst viele Menschen nach ihrer Facon glücklich sein | |
sollen, brauchen wir eine Idee von Gemeinschaft, die das einhegt. Freiheit | |
heißt nicht bindungslos zu sein, sondern die richtige Form von Bindungen | |
für sich herzustellen. Sich freiwillig fesseln lassen. Das ist etwas | |
anderes als der obszöne FDP-Neoliberalismus, der sagt, Hauptsache, du | |
entfaltest dich selbst. | |
Christian Lindner sagte in der Debatte über Steuerpolitik, die Gier des | |
Staates trage kleptokratische Züge. | |
Das ist ein ganz böser Teaparty-Jargon. Damit legt er nahe, dass jede | |
Einnahme des Staates nicht rechtens sei und der Staat gegen die Interessen | |
der Bürger agiere. Die Generation Maihofer, Flach Baum oder Hamm-Brücher, | |
die Liberalen der Freiburger Thesen, das waren Persönlichkeiten, vor denen | |
ich intellektuellen Respekt habe. Die FDP 2017 hat eine starke Kampagne | |
gemacht. Aber das, was sie verkauft, dieser trendige, aber leer laufende | |
Individualismus, spricht mich nicht an. | |
30 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
Ulrich Schulte | |
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