Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte Deutsche Stars und Politik: Ist wirklich alles so banal?
> Macht und Meinung sind jenseits des Politbetriebs leider Mangelware. Wir
> brauchen endlich Stars, die sich in den politischen Diskurs einmischen.
Bild: Wir haben Helene Fischer – das muss wohl noch für die nächsten zehn J…
Robert Habeck barfuß unterwegs im Wattenmeer. Robert Habeck auf See. Robert
Habeck auf Wiesen vor einem Leuchtturm sitzend. Während Christian Lindner
noch seine Stilisierungen selbst inszenieren musste, darf Robert Habeck
machen lassen – und liefert schöne Bilder zu den Storys. Er sollte nur
schauen, dass er dadurch nicht varoufakisiert wird.
Die meisten Journalisten scheinen es nicht erwarten zu können, endlich
wieder jemanden hochjazzen zu dürfen. Schließlich hat man ihn dann ein
bisschen in der Hand. Tina Hassel, Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios,
[1][hasselt beim Bundesparteitag der Grünen auf Twitter]: „Neuer Grüner
Star #Habeck …“. Selbst Robin Alexander, der neue Welt-Erklärer und das
Gegenteil von Kanzlerinversteher, [2][reagiert prompt mit] „Leider berichte
ich nicht über @Die_Gruenen. Aber zum nächsten Parteitag fahre ich
trotzdem. …“ Ironie on oder off, das klingt beinahe so, als hätte Robin
Alexanders Sympathie einen Kontrollverlust erlitten.
Deutsche sehnen sich nach Bewunderung und Begeisterung. Das ist für eine
tendenziell miesepetrige Gesellschaft ja nicht schlecht. Dieser Trend, aus
Politikern Stars machen zu wollen, dient jedoch weder Politikern noch
Bürgern und schon gar nicht der Demokratie. Zum einen wird
Oberflächlichkeit in der Politik zum Hauptthema – zum anderen fehlen der
demokratischen Gesellschaft wirkliche Stars, die Haltung, Macht und Meinung
jenseits des Politbetriebs haben. In den USA ist das nicht minder
gefährlich – doch im Gegensatz zu uns haben die US-Amerikaner neben
Politikern, die sich gerne als Stars gerieren und porträtieren lassen, noch
echte Stars: Taylor Swift zum Beispiel hat nach wie vor doppelt so viele
Follower auf Twitter wie Trump, obwohl er der halben Welt für eine
Followerschaft seiner Größenordnung wahrscheinlich noch ein paarmal mit dem
Atomknopf drohen würde.
Ein Star schafft sich nicht nur selbst. Ein Star entsteht durch Spiegelung,
Nacherzählung, Scheinwerferlicht. In Deutschland waren echte Stars schon
immer rar, und sie werden noch rarer, nicht zuletzt dank der Mutlosigkeit
zahlreicher Redaktionen. Wenn Schauspieler den Mund aufmachen und sich zu
Gesellschaftsthemen äußern, heißt es abfällig: „Die sollten lieber
schauspielern.“ Sobald Musiker reden, verweist man darauf, dass sie vor
allem ihre Instrumente beherrschten. Ideen, die Talente und
Persönlichkeiten im eigenen Land würdig zu inszenieren, gibt es zu wenige.
Wenn dann jedoch ein US-Star wie Bruce Springsteen in Deutschland zur
Buchpräsentation lädt, verfallen Journalisten in ehrfürchtige Verehrung und
hängen ihm an den Lippen.
## Die Schaffung von „Stars“
Ist wirklich alles bei uns so banal? Oder überhöht man sich mit einer
Kritik zu einem Abend mit Bruce Springsteen einfach auch selbst, während
man einen „Star“ aus Deutschland erst großmachen müsste, wie mühselig.
Derzeit feiern sich zunehmend Journalisten selbst und schaffen einen
öffentlichen Raum, der dominiert ist von Politikern, Regierenden (oder
solchen, die wochenlang eine mögliche Regierung aushandeln) und der vierten
Gewalt an sich. Nach außen entsteht der Eindruck, dieser ganze Politik-und
Medienbetrieb sei doch irgendwie inzestuös.
Die Schaffung von „Stars“ auch aus anderen gesellschaftlichen Bereichen als
dem politischen oder sportlichen ist ein normaler Vorgang in der
internationalen Medienlandschaft. Der Schriftsteller und
Pulitzer-Preisträger Junot Diaz sitzt zum Beispiel in den USA ebenso beim
Night-Talk wie George Clooney. Am seltensten sitzen dort Politiker und
wenn, dann um zu einem bestimmten Thema gegrillt zu werden.
Und wer nicht versteht, dass die Debatten und Stimmungen in demokratischen
Gesellschaften gerade auch in Kontexten entstehen, die sich selbst nicht
unbedingt als „politisiert“ bezeichnet würden, der hat von der Krise der
Demokratie noch zu wenig verstanden. Politische Themen brauchen auch die
Anwaltschaft von Persönlichkeiten, die mit dem politischen Betrieb an sich
nicht viel zu tun haben. Die kamerascheue Publizistin Joan Didion steht im
Mittelpunkt eines Dokumentarfilms auf Netflix, nur ein Beispiel.
Der Erfolg von #MeToo in den USA hängt auch damit zusammen, dass gerade
jene Frauen über Missbrauch sprechen, zu denen Millionen einen inneren
Bezug haben. Es sind „ihre“ Stars. Man verehrt sie als Persönlichkeiten,
oft sogar zu sehr. Deutschland hingegen produziert mit Vorliebe Reality-TV,
Vorabendserien und somit C- und D-Promis. Auch Frankreich hat Stars, woran
uns Catherine Deneuve zuletzt schmerzlich erinnert hat.
## „Wir haben die Öffentlichkeit an Politiker abgegeben“
Sind alle Talente so kleingeistig geworden oder haben unsere öffentlichen
Formate nicht schlichtweg ein Vielfaltsproblem und finden keine passenden
Formate, um aus Talenten das Beste herauszuholen? Wir haben Helene Fischer.
Das muss wohl noch für die nächsten zehn Jahre reichen. Dafür tritt Helene
ja in jeder Helene-Show alle fünf Minuten in anderen Rollen auf.
Letzten Sommer in Kroatien las ich ein Interview einer Grande Dame des
serbischen Films. Sie sagte: „Wir haben die Öffentlichkeit an die Politiker
abgegeben. Inzwischen kennt man nur noch sie.“ Und diese Retortensternchen,
die bei all dem Kommerz nie den inneren Raum hätten, eine eigensinnige
Künstlerpersönlichkeit zu werden. Es braucht aber einen vielfältigen
Diskurs, verschiedene Wege zu reden, zu begreifen, zu fühlen. Es kann auch
nicht sein, dass Robert Habeck, noch bevor er auf festen Füßen steht, in
den Himmel gelobt wird. Bis ihm die Neiddebatten bald schon die Stelzen
absägen werden, denn richtig hoch raus darf hierzulande ohnehin kaum einer.
Eine Art Neiddebatte war schon bei seiner Kollegin Annalena Baerbock
herauszuhören: Es kann nicht sein, dass im 21. Jahrhundert eine Frau noch
klarstellen muss: „Ich bin nicht die Frau an der Seite von Robert Habeck.“
Nur, weil man in der Politik dann doch lieber den Mann zum „Star“ macht.
Dabei brauchen die Politik einfach Politiker und für die Stars braucht es
endlich deutsches Showbiz, das diesen Namen verdient hätte.
4 Feb 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/TinaHassel/status/957230243739205632
[2] https://twitter.com/robinalexander_/status/957283361986433024
## AUTOREN
Jagoda Marinić
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Robert Habeck
Medien
Stars
Annalena Baerbock
Robert Habeck
Schwerpunkt #metoo
Jamaika-Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ökopartei wird reformiert: Grüne bauen Parteizentrale um
Robert Habeck und Annalena Baerbock ziehen ins Grünen-Hauptquartier ein.
Das geht mit Umtrukturierungen auch der Gebäudearchitektur einher.
Frei werdende Chefposten im Norden: Wer folgt auf Habeck und Scholz?
Robert Habeck wechselt als Parteichef in die Hauptstadt, Olaf Scholz
vielleicht als Vizekanzler. In Hamburg steht der Nachfolger fest, in
Schleswig-Holstein nicht.
Debatte Sexualisierte Gewalt: #MeToo … und jetzt?
Die #MeToo-Kampagne muss sich mit dem Kampf gegen Belästigung auf
internationaler Ebene vernetzen. Erst dann hätte sie wirklich Wirkkraft.
Grüner Robert Habeck im taz-Interview: „Weniger Masse, mehr Hirn“
Wie kriegt seine Partei Jamaika hin? Der Grüne Robert Habeck über Posten,
rote Linien und über Cem, Katrin und Macron.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.