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# taz.de -- Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Das perfekte Date dauert 60 Stunden
> Nirgendwo lässt sich ein glücklicheres Wochenende verbringen als in Bar,
> Badesee und Berghain. Bleibt nur die Frage: Gibt es auch langweilige
> Elfmeter?
Bild: Noch schöner wäre nur, wenn das hier schon Schweden wäre
Die besseren Geschichten, da hatte Kurt Tucholsky leider unrecht, beginnen
nicht am Bahnhof, sondern freitagabends in Tegel. Flug LH 2052 hat 50
Minuten Verspätung. Als ich nervös umhertigernd auf den Bus warte, bricht
eine Lufthansamaschine irre laut über den Dächern hervor, und ich weiß:
Darin sitzt er.
Am Gate stehe ich vor der automatischen Tür mit einer Handvoll anderer, die
schon mehr Übung in diesem Spiel haben: Ein fester Kuss, die Tasche nehmen,
möchtest du gleich nach Hause oder sollen wir noch was essen gehen?
M. und ich küssen länger. Der Glatzkopf neben uns grinst. Es ist eine Art
erstes Date, 60 aufgeregte Stunden liegen vor uns. Wir steigen in den Bus
Richtung Wedding und schlagen uns nach hinten durch, ein bisschen schauen
wir vermutlich drein wie Dustin Hoffman und Katharine Ross in der
Schlussszene von „The Graduate“.
In der Basalt Bar gibt es Whisky Sour mit Salzkaramell und Rauchsalz. Wir
reden über Kindheit und Apfelbäume, über Van Morrison und darüber, wie sehr
wir beide die New Yorker Küche aus „The Hours“ mögen, in welcher Meryl
Streep in Gummihandschuhen eine Dinnerparty vorbereitet. Als wir irgendwann
einschlafen, duftet die ganze Straße nach dem Fladenbrot der winzigen
Bäckerei gegenüber.
## Sommerrollen und Papayasalat
Am Samstag ist alles in gelbe Hitze getaucht. Wir steigen in einen
Carsharing-Smart und fahren raus aus Berlin. Am Liepnitzsee liegt, so
scheint es, die halbe Stadt einer sich räkelnden Affenfamilie gleich auf
dem Felsen. Wir schwimmen eine Anstandsrunde und stellen uns vor, wir seien
in Schweden.
Als wir uns ein paar Stunden später von unserer Decke schälen, entdecke ich
unter mir eine winzige Eidechse. Sie hat eine große Wunde an der Seite, oh
Gott, habe ich sie gequetscht? Ingeborg Bachmann würde darin jetzt wieder
ein böses Omen sehen, aber die liebte ja auch Max Frisch. Die Eidechse
jedenfalls trollt sich unbekümmert, und das tun auch wir.
Bei Onkel Ho in der Gleimstraße gibt es Sommerrollen und Papayasalat, wir
kommen rechtzeitig zur Verlängerung Russland – Kroatien. Obwohl das
Elfmeterschießen unerträglich aufregend ist (gibt es eigentlich auch
langweilige Elfmeter?), schlafe ich beinahe auf M.’s Schulter ein.
Sonntagmorgen: einander vorlesen, frühstücken, spazieren gehen. Wir
besuchen das ExRotaprint-Haus, das ich neulich erst in einer tollen Wiener
Ausstellung über Brutalismus gesehen habe. Auf dem Rückweg holen wir beim
Späti Jägermeister und Mate. Zu zweit vorglühen wie zuletzt im
Grundstudium, das hat was.
## Ein Mann mit einer riesigen Hundemaske
Sonntagnachmittags geht man tanzen: Diese Tradition unserer Großeltern
halten wir gern aufrecht. Die Gästelistenschlange vor dem Berghain ist fast
so lang wie die reguläre, weil viele zwischendrin schlafen waren. Drinnen
sind Raum und Zeit plötzlich – weg.
M. und ich tragen gleiche Basecaps und lassen die Hand des anderen nur zum
Tanzen los. Die Menge wogt, Körper treffen auf Körper, die Bässe und die
Blicke verschlagen mir fast den Atem. Der Mann hinter mir legt den Kopf
unter einer riesigen Hundemaske merkwürdig schief, ich weiß nicht, ob er
mich ansieht oder das Mädchen in Badeanzug und Ledergeschirr vor mir.
Das Set endet mit einem überraschend großartigen Remix von „Enjoy the
Silence“. Um halb 11 holen wir unsere Jacken und laufen glücklich in die
Nacht.
Später sitzen wir am Küchentisch, essen Pho und hören Joni Mitchell. Wir
betrachten uns, ohne viel zu reden, an Schlaf ist nicht zu denken. Als M.
am Morgen zum Bahnhof aufbricht, fragt er: Telefonieren wir heute Abend?
Und ich sage: ja.
9 Jul 2018
## AUTOREN
Johanna Roth
## TAGS
Ausgehen und Rumstehen
Berlin
Berghain
Sommer
Dating
Kneipe
Gewalt gegen Frauen
Protestbewegung
Berghain
Techno
Berlin-Neukölln
Stadtpark
Drogen
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