Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Umgang mit Drogentod im Berghain: Ja, hier wird konsumiert
> Eine „Spiegel“-Reportage mystifiziert einen Ecstasy-Todesfall. Dabei sind
> Drogen längst Mainstream. Nur wer das akzeptiert, kann aufklären.
Bild: Wenn man zu viel nimmt, wird es gefährlich: Ecstasy
Es ist wieder passiert, eine Reportage aus dem Drogenmilieu verschreckt die
Spiegel-Leser. Alle paar Jahre ist es so weit, da berichtet ein Journalist
von „Pferdenarkosemitteln“ und „Graffitientfernern“, die sich die
„Techno-Jünger“ reinziehen. Das bleibt zwar auch in der Wiederholung
tendenziös und ungenau, aber es ist immer wieder aufregend.
Diesmal setzt der preisgekrönte Journalist Alexander Osang noch einen
drauf, er beschuldigt in seiner [1][ausführlichen Reportage für den
aktuellen Spiegel ] über eine junge Frau aus den USA, die im Sommer 2017
innerhalb weniger Stunden wohl zwei Ecstasy-Pillen nahm und am Morgen in
einem Berliner Krankenhaus an Multiorganversagen verstarb, die Betreiber
[2][des Berliner Clubs Berghain], nach dem Tod der Frau „einfach so weiter“
zu machen.
Er beschuldigt auch eine Mitarbeiterin der unterlassenen Hilfeleistung,
weil sie die Rettung zu spät rief. Ob das stimmt, lässt sich nicht
nachprüfen. Die Polizei hat sie nicht vernommen und ob das Leben der
Amerikanerin gerettet worden wäre, hätte sie der Notarzt die strittigen 15
Minuten früher behandelt, fragt der Reporter niemanden.
Ein Mensch stirbt anscheinend an einer Überdosis. Das ist in den wenigsten
Fällen eine Geschichte für ein Nachrichtenmagazin. Aber jede Redaktion
weiß, dass das [3][Berghain in der Aufmerksamkeitsspirale gleich nach Sex
kommt]. Mythen verbinden sich mit diesem Ort, weil das, was da passiert,
quasi auch unter der Bettdecke geschieht. Doch genauso, wie sich die
meisten von uns denken können, was beim Nachbarn auf der Schlafcouch vor
sich geht, so steht es auch mit diesem Club, der in den immer gleichen
Umschreibungen durcherzählt wird. Und ähnlich langweilig wie bei Nachbars
Sex geht es übrigens auch in den Clubs her.
## Nicht nur in Berlin gibt es Drogen
Die Geschichte ist also nicht die Frau, sondern der Ort. Das Berghain muss
herhalten, genauso wie der tragische Tod einer Frau, um die Empörungssau
durchs Dorf zu treiben: In Clubs werden Drogen konsumiert und keiner tut
etwas! So weit, so richtig. Was genau getan werden soll, bleibt aber leider
unklar. Die meisten Berliner Clubs kontrollieren ihre Gäste auf Drogen und
nehmen sie ihnen ab. In vielen Berliner Clubs patrouillieren die Türsteher
und wecken – zum Leidwesen der Gäste – Schlafende auf, um zu gewährleiste…
dass sie nicht gerade an Erbrochenem ersticken. Viele Clubs haben Räume, in
denen Gäste mit – leichter – Überdosis ausnüchtern können oder auf das
Eintreffen der Rettung warten. In einigen Clubs hängen Warnungen, man solle
auf seine Getränke achten, manche Clubs hängen Bilder von Pillen auf, die
viel zu hoch dosiert sind.
Leider nicht alle. Die Mitarbeiter kennen zwar Symptome einiger Drogen,
doch sind die Angestellten weder Ärzte noch immer empathisch gegenüber den
wenigen Gästen, die sich bis zur Besinnungslosigkeit abschießen, anstatt
einen Therapeuten zu konsultieren oder aber den Zwängen der Lohnarbeit
anders zu entkommen. Kunden können nerven. Clubs tolerieren Drogenkonsum
auch als Teil der Technokultur, nicht immer nur aus bloßem Profitkalkül.
Daraus ergibt sich eine Verantwortung. Aber keine alleinige.
Das Berghain muss nicht mit der Presse reden. Das ist für viele
Journalisten ein Affront. Für andere eindrucksvoll. Diese Schweigekultur
mag den Reiz des Technomythos noch ein bisschen erhalten und
Freiheitsräume, sexueller und hedonistischer Prägung, für einige erhalten.
Drogen gehören zu Berlin als einstiges Freiheitsversprechen. Doch das
Bundeswehr-Verweigerer-Berlin, das Nach-Wende-Rave-Berlin, das ist nicht
mehr. Drogen erhalten nicht mehr den Mythos Berlin, denn sie gehören
genauso zu Zürich, zu Bremen, zu Nürnberg und Tiflis. Techno ist schon
länger kein Gegenmodell mehr, [4][Drogenkonsum bedeutet keine
Individualität, sondern ist Mainstream.]
## Die Verantwortung des Reporters
Denn Menschen nehmen überall Drogen. Ob es die Speed-Kids auf den
Parkplätzen von Osnabrück sind oder die Stylisten in der Berliner Paris
Bar, es ist schon verwunderlich, wie sehr verdrängt wird, dass die
Mitmenschen schnubbeln. Da ist der Chirurg, da der Anwalt, da die
Sozialpädagogin. Der Schriftsteller klar, die Schauspielerin. Aber auch der
angehende Lehrer, der Fernsehverkäufer im Elektronikfachmarkt, sie alle
nehmen ab und zu mal Kokain, Pillen, Gras oder Ketamin.
Letzteres muss man übrigens nur mal googeln, um herauszufinden, dass es
nicht nur bei Pferden, sondern auch in der Humanmedizin als Narkotikum
eingesetzt wird, aber auch in der Behandlung von Depressionen wirksam ist.
Aber wenn Drogenberichterstattung nicht auf Aufklärung bedacht ist, sondern
auf größtmögliche Emotion, wird sie Konsumenten nicht dazu bringen,
zunächst mit einer Viertel-Pille zu starten, sondern befeuert die
Attraktivität des Verbotenen. Der Reporter hat also eine ähnliche
Verantwortung wie der Clubbetreiber. Denn die Drogenkonsumenten, die man an
der Kasse von Aldi trifft, beim Kinderarzt, im Meeting, die ihre Drogen
nicht nur im Berghain konsumieren, sondern auch auf der Hochzeitsfeier in
Husum, in der Eckkneipe, dem Restaurant, nehmen keine zwei Pillen in kurzer
Zeit, wenn sie sich ein bisschen auskennen.
Man erfährt im Spiegel-Text zwar, dass die Anwältin des Opfer-Ehemanns
raucht, allerdings nichts über die Gefahren durch die unterschiedliche
Zusammensetzung von Ecstasy-Tabletten. Ob man sie bei Freunden, auf der
Straße, im Darknet, in Clubs kauft, in den letzten Jahren tauchen immer
wieder Pillen auf, die extrem hohe MDMA-Dosierungen haben oder anstatt MDMA
andere Inhaltsstoffe enthalten, letztens zum Beispiel Tadalafil, ein
Potenzmittel. Oder Paramethoxyamphetamin, das günstiger ist und auch
schnell mal tödlich.
## Drugchecking rettet Leben
Im Internet findet man Warnungen: „Diese XTC-Tablette enthält 243.1 mg
MDMA.“ Daneben ein Bild einer grünen Tablette mit der Aufschrift „Flügel�…
„Bei solch hohen Dosen können auftreten: ‚Kiefer mahlen‘, Augen- und
Nervenzucken, Kopfschmerzen, Übelkeit, Krampfanfälle, Halluzinationen. Es
besteht zudem die Gefahr einer lebensbedrohlichen Überhitzung, da die
Körpertemperatur ansteigt.“
Diese Warnungen werden von Drugchecking-Organisationen durchgeführt, der
Berliner Senat überlegt auch, welche einzuführen. Sie retten Leben.
[5][Doch die Opposition zeigt sich entsetzt] – und es braucht nicht viel
Fantasie, sich vorzustellen, was Boulevardmedien titeln würden, wenn der
Berliner Senat Menschen oder Organisationen beauftragen würde, in
Nachtclubs Drogen auf ihre Reinheit hin zu überprüfen.
Die Stadt Zürich hat so etwas schon: Die Webseite [6][Saferparty.ch ] wird
durch das Sozialdepartement der Stadt betrieben. „Es gibt keinen
Drogenkonsum ohne Risiko! Risikofrei ist nur ein vollständiger Verzicht auf
Drogen! Wenn du dich dennoch entscheidest, Drogen zu konsumieren, solltest
du zumindest die Safer-Use-Regeln befolgen“, schreiben sie auf ihrer Seite.
Anstatt Clubbesuchern am Eingang das Club-Logo aufzustempeln, könnte man
auch mal so eine Warnung auf die Handrücken drücken. Vielleicht bringt es
was. Aber es wäre eben auch ein Eingeständnis der Clubs: Ja, hier wird
konsumiert. Und dieses Eingeständnis könnte zu Problemen führen. Denn
Drogen sind immer noch illegal. Deswegen gibt es zu wenig Aufklärung,
deswegen gibt es saugefährliche Pillen, deswegen ist diese junge Frau
gestorben.
20 Mar 2018
## LINKS
[1] http://www.spiegel.de/spiegel/berghain-in-berlin-wie-eine-junge-frau-im-ber…
[2] /CTM-im-Berghain/!5021970
[3] /Bestenliste-der-Clubs/!5289970
[4] /Drogenszene-in-Frankfurt-am-Main/!5348256
[5] /Berliner-Clubszene-und-Drogen/!5480624
[6] http://saferparty.ch/allgemein.html
## AUTOREN
Laura Ewert
## TAGS
Drogen
Berghain
Techno
Clubkultur
Drogentote
Drogenpolitik
Drogen
Ausgehen und Rumstehen
Ostern
Notfallversorgung
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Wochenkommentar
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Todesfall nach Club-Besuch in Berlin: „Stop taking G!“
Eine Frau stirbt nach einem Club-Besuch, GHB soll im Spiel gewesen sein.
Eine Droge, die schon länger ein Problem in der Berliner Partyszene ist.
Gesundheitspolitik in Berlin: Drogen ab zum Test
Drug-Checking-Projekt soll laut Senat noch in diesem Jahr starten. Eine
„Bietergemeinschaft aus der Suchthilfe“ interessiere sich für die
Umsetzung.
Gedenktag für Drogentote: Bremen erinnert sich
Auch in Bremen wird nun offiziell am 21. Juli der Drogentoten gedacht – und
zwar vor allem jener, die durch Alkohol und Tabak sterben.
Kolumne Ausgehen und Rumstehen: Das perfekte Date dauert 60 Stunden
Nirgendwo lässt sich ein glücklicheres Wochenende verbringen als in Bar,
Badesee und Berghain. Bleibt nur die Frage: Gibt es auch langweilige
Elfmeter?
Tanzverbot am Karfreitag: Abhängen dank Jesus
An Karfreitag halten wir die Füße still: Keine laute Musik, keine
aufregenden Filme – alles nur wegen der Religion. Schlimm? Nein, gut so!
Zweite Notdienstpraxis in Berlin: Notfall immer samstags & sonntags
Weil Rettungsstellen der Krankenhäuser an den Wochenenden überfüllt sind,
sollen Notdienstpraxen eröffnen. Anfang April eröffnet die nächste in
Wedding.
Kommentar Trumps Plan gegen Drogen: Geschwafel von Law and Order
Die guten Ansätze in Trumps Anti-Drogen-Programm sind nicht finanziert. Die
anderen Teile sind nicht nur unsinnig, sondern auch gefährlich.
Berliner Wochenkommentar II: Besser macht's die Schweiz
Drogenpolitisch bleibt Berlin Provinz – wenn der rot-rot-grüne Senat nicht
endlich die im Koalitionsvertrag beschlossene legale Drogenanalyse umsetzt.
Berliner Clubszene und Drogen: Kein Drogen-Check in Clubs
Massenweise Drogen in der Partyszene: Nach Studie zu Vorlieben und Wünschen
der Clubgänger verstärkt Gesundheitssenatorin Präventionsangebote.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.