# taz.de -- Berghain-DJ Fiedel im Gespräch: „Es schlägt, schlägt, schlägt… | |
> Fiedel ist DJ im Berliner Club Berghain und betreibt das Killasan | |
> Soundsystem. Ein Gespräch über die Wärme von Bassboxen und die richtige | |
> Lautstärke. | |
Bild: Kennt sich mit Beats und Bassboxen aus: Berlins DJ Fiedel | |
taz: Fiedel, Sie sind einer der Residents im Berghain und spielen einmal im | |
Monat im Club. Bemerkenswert an Ihrer Art aufzulegen ist das Cutten, die | |
raue Montage von Tracks. Woher kommt das? | |
Fiedel: Da muss ich etwas ausholen, ursprünglich komme ich aus Schwedt, 100 | |
Kilometer nordöstlich von Berlin. Zu DDR-Zeiten hatten wir das Glück, dass | |
die Antenne in dem Neubaugebiet, wo wir gewohnt haben, Signale aus | |
Westberlin empfangen hat. So habe ich oft Westberliner Radio gehört und bin | |
auf [1][„Heartbeat per Minute“] gestoßen, eine Sendung, die Monika Dietl | |
beim SFB moderiert hat. Ich fand immer toll, was sie gespielt hat: Ob | |
Synthiepop, Acidhouse oder EBM. Oft habe ich mitgeschnitten, für ganze | |
Sendungen war auf den Tapes zu wenig Platz, also musste ich abschneiden | |
oder zurückspulen, vielleicht hört man das noch heute bei meinem DJing. | |
Sie haben einen Mix aufgenommen, live im Berghain, der diese Geschichte | |
atmet. Können Sie sich an die Einzelheiten erinnern? | |
Aufgenommen haben wir ihn bei einem regulären Set von mir im November 2017. | |
Ich habe mich ein bisschen warm gemixt und dann auf Aufnahme gedrückt. | |
Einen Mix nur mit Vinyl wollte ich schon länger machen, weil ich den Klang | |
von Vinyl am schönsten finde. Nachts schwingt die Energie vom Publikum auch | |
mit beim Mixen. | |
In der Trackauswahl setzen Sie auf befreundete KollegInnen wie Errorsmith | |
und rRoxymore oder den Detroit-Sound: hart, aber mit Soul. Und der Vibe aus | |
dem Berliner Plattenladen Hardwax ist hörbar. Wie kamen Sie dahin? | |
Ende der Achtziger war ich Plattenkaufen in Berlin und das Hardwax war | |
einer der Läden, der die Musik hatte, die ich mochte. Deshalb bin ich | |
öfters hingefahren und wurde Stammkunde. Als Errorsmith und ich dann selbst | |
[2][Techno] produziert haben, übernahm Hardwax den Vertrieb unserer | |
Platten. Von 1998 bis 2000 habe ich dort schließlich gearbeitet. | |
Sind Sie selbst in Clubs gegangen? | |
Ich war von Anfang an im Tresor, im Keller vom alten Kaufhaus Wertheim. Rok | |
und Tanith haben oft aufgelegt und die Detroiter: [3][Jeff Mills], | |
[4][Underground Resistance] und [5][Blake Baxter]. Deren Musik hat mir | |
besonders gefallen. Ich stehe auf ihren elektronischen Funk. Der Mix hat | |
auch viele Elemente meiner Musiksozialisation. | |
Sie arbeiten zudem als Toningenieur des Berliner Killasan Soundsystems, | |
bauen es auf und warten es. | |
Ich habe Veranstaltungstechnik studiert und als Toningenieur gearbeitet. | |
Das wusste Mark Ernestus und hat mich in seine Pläne eingeweiht, das | |
japanische Soundsystem Killasan in Berlin zu installieren. Der | |
ursprüngliche Betreiber Kihira alias K-Boss aus Osaka hat uns ausgewählt, | |
weil sein Club schließen musste. Das Soundsystem aufzubauen bedarf eines | |
großen Aufwands, weil es einen speziellen Sound hat. Letztendlich dreht | |
sich unsere Partyreihe „Wax Treatment“ auch um den Sound, den man mit dem | |
Killasan kreieren kann. Wir wollen damit auch Soundsystem-Kultur feiern. | |
Man hört Musik auf dem Killasan nicht nur, man fühlt sie, der Sound ist | |
warm und cremig, speziell in den Bassboxen. Ist es schwieriger, das | |
Soundsystem open air aufzubauen, als in einem Clubgebäude? | |
Eigentlich ist es outdoor einfacher, denn das Killasan ist nach | |
jamaikanischem Vorbild extra für draußen entworfen- Mr Kihira war vor der | |
Konstruktion auf Jamaika, hat Soundsystembetreiber interviewt und | |
technische Prämissen erfragt. Killasan ist dann nach seinen Designwünschen | |
zusammengestellt worden. Es ist speziell für Reggae entworfen. Der Sound | |
ist nicht so druckvoll wie von einer amtlichen Techno-Anlage. Killasan | |
umgibt dich eher mit dem Sound, das macht seine besonderen Reiz aus. | |
Killasan ist seit mehr als 25 Jahren im Dienst. | |
Wie ist sein Aufbau? | |
Unten stehen acht Bässe mit je zwei Basslautsprechern, dann vier tiefe | |
Mitten mit jeweils zwei Lautsprechern, vier Mitten mit jeweils vier | |
Lautsprechern und dann die Topteile mit jeweils einem Horn und zwölf | |
Piezos. Wir beachten die Original-Funktionsweise, haben aber behutsam | |
modernisiert. Zum Beispiel war ein großes Effektrack eingezogen, da war die | |
Frequenzaufteilung drin, jetzt erledigt alles eine hochwertige digitale | |
Soundkarte, die per Computer gesteuert wird. Sie arbeitet sauberer als die | |
Analoggeräte. Das Effektrack hatte auch den Sinn, dass es dort ein | |
Mischpult gab, als Regie für die Anlage, wo man Effekte und Soundquellen | |
wie Mikrofone mit einbinden konnte. Das haben wir weggelassen. Einerseits | |
passe ich auf, dass technisch alles funktioniert. Auf der anderen Seite | |
achte ich grundsätzlich auf den Sound, ob draußen oder drinnen, da muss ich | |
schrauben. | |
Inwieweit entspricht das Killasan der jamaikanischen Soundsystem-Idee? | |
Ich betreibe es nach hiesigen Gegebenheiten. Es aufzubauen ist eher eine | |
technische, organisatorische und soundästhetische Frage. Wenn wir im | |
Berliner Umland unsere Party „Wax Treatment“ damit bestücken, gibt es auch | |
etwas zu essen, im weitesten Sinne ist das karibisch inspiriert, aber von | |
der Musik her haben wir uns das Soundsystem anverwandelt. In Jamaika laufen | |
ja bei den Soundsystems eher puristisch Dancehallstile. Für uns spielt eben | |
auch elektronische Musik eine Rolle. Wenn man die Platten von Basic Channel | |
und Rhythm & Sound (Anm.: Labels aus dem Hardwax-Umfeld) nimmt und das, was | |
Mark Ernestus mit Ndagga Rhythm Force macht, ist das ja auch eine | |
elektrisierte Form von Dub und westafrikanischer Musik. Es ist ein | |
Transfer, weil wir uns mit dem Originalsound eingehend beschäftigen, aber | |
behutsam etwas anderes daraus machen. Ich finde diese Transformation total | |
schön. Wir achten bei „Wax Treatment“ darauf, dass es musikalisch passt und | |
dass viele Frauen auflegen. Für DJs ist es eine Herausforderung und ein | |
Experiment, welche Musik auf dem Soundsystem klanglich hinhaut. Neulich hat | |
der libanesische DJ Rabih Beaini etwa indonesische Musik gespielt, die sich | |
fantastisch auf dem Killasan Soundsystem angehört hat. Wir gehen eben nicht | |
so weit, dass wir eine Eins-zu-eins-Kopie von einem jamaikanischen | |
Soundsystem abgeben wollen. Musik muss vielseitig sein, dann läuft sie auf | |
dem Killasan Soundsystem. | |
Der britische Produzent Pinch hat mal gesagt, wenn er mit dem Killasan | |
auflegt, wäre das so, als würde er sich mit guten Freunden unterhalten. | |
Damit meinte er, dass der Basssound sehr nah klingt. Was bedeutet Ihnen der | |
Bass? | |
Der Bass ist das energiereichste Signal, das aus den Lautsprechern | |
rauskommt und man als Erstes spürt. Entweder in Form der Bassline, die | |
deinen Körper massiert oder durch die Beats, die einen Schlag auf deinen | |
Körper ausüben. Das ist etwas, was ich auch als DJ immerzu erreichen | |
möchte. Dass die Musik laut genug ist, dass man sie fühlt. Und wenn man sie | |
fühlt, wird sie auch mitreißend. Wenn sie im Soundsystem zu leise und zu | |
schwach ist, dann hat man diesen Effekt nicht. Gerade elektronische Musik | |
und Reggae und Dancehall beruhen darauf, dass es schlägt, schlägt, schlägt. | |
Dass man diese Musik zu spüren bekommt, ihre physische Komponente, ist ganz | |
wichtig, das bedeutet für mich der Bass. | |
Das Berghain ist längst ein weltberühmter Club. Fühlen Sie sich da gut | |
aufgehoben? | |
Ja. Ostgut und Berghain sind für mich ganz klar eine Homebase, weil ich | |
schon seit 18 Jahren dort spiele. | |
Ändert sich das, wenn Sie im Ausland unterwegs sind? | |
Oft ist es so, dass man im Ausland automatisch als Berghain-Botschafter | |
wahrgenommen wird, was manchmal nervt, weil die Leute eine | |
Erwartungshaltung haben und verlangen, dass bestimmte Sachen gespielt | |
werden. | |
Das Berghain steht in jeder Hinsicht für Liberalität. In den letzten fünf | |
Jahren hat sich die Welt ins Gegenteil verkehrt: Sie ist nationalistischer | |
und intoleranter geworden. Wie reagieren Sie darauf? | |
Ich finde nicht, dass wir darauf antworten müssen, weil wir einen großen | |
Teil unseres Lebens damit verbringen, zu anderen Menschen Kontakt zu | |
halten. Musik ist und bleibt eine universelle Sprache. Wenn ich im Ausland | |
bin, gehe ich als Erstes in einen Plattenladen und komme mit den Leuten | |
dort ins Gespräch. Das ist auch die Leistung der Musik, der gemeinsame | |
Nenner von Berghain und Hardwax, dass man sich über Musik verständigt. | |
Klar, das kann man unpolitisch schimpfen, man sollte es aber andererseits | |
nicht kleinreden. Das ist das, was ich positiv erfahren habe, gerade als | |
ich relativ neu in Berlin war. Es hängt überhaupt nicht davon ab, wie du | |
aussiehst oder wer du bist, sondern du hast einfach Bock auf die Musik. Der | |
andere mag nicht unbedingt dein Kumpel sein, aber man macht zusammen etwas. | |
Das Intro der ersten [6][LFO-Platte] fällt mir da ein: „Gay, straight, | |
black or white, one nation under a groove“. Das finde ich sehr bezeichnend. | |
8 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://soundcloud.com/user7148262/01-1988-berlin-sfb-2-heartbeat-per-minut… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=rCDlUNE7_xo | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=DwpedKWwS3w | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=jc-O6isekzE | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=KjKEo6IP5gA | |
[6] https://www.youtube.com/watch?v=MClVTGgDUk8 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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