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# taz.de -- Elektronikalbum aus Berlin und Dakar: Tiefer Tauchgang in die Reduk…
> Der Berliner Technoproduzent Mark Ernestus und die senegalesische Ndagga
> Rhythm Force entwerfen mit dem Album „Khadim“ ein futuristisches
> Westafrika.
Bild: Ndagga Rhythm Force in Dakar mit Mbene Diatta Secks (Dritte von links) un…
Es begann mit „Awesome Tapes from Africa“, dem Blog des New Yorker
Musikethnologen Brian Shimkovitz. Anfang der Nullerjahre ins Leben gerufen,
lud Shimkovitz hier jene Kassetten als Soundfiles hoch, die er auf seinen
Reisen durch Afrika, insbesondere im Westen des Kontinents, auf Märkten
oder an Kiosken erwarb und dann digitalisierte.
Kurze Kontextualisierungen zu den Fundorten und Recherchen zu den oft
unbekannten Künstler*innen rundeten diese Einträge ab. Im Rest der Welt,
der sonst niemals in den Genuss dieser vielfältigen Formen malischer
Volksmusik, ghanaischen High-Life-Sounds oder amharisch-äthiopischer
Krar-Musik gekommen wäre, dankte es Shimkovitz Jahre später mit DJ-Sets auf
allen Kontinenten, Internet-Fame und schließlich auch dem unvermeidlichen
Vorwurf von Cultural Appropiation.
Gleichzeitig entstanden einstweilen weitere Labels, etwa Samy Ben Redjebs
Analog Africa, das sich ebenso zur Bewahrung und Aufarbeitung der Musik des
afrikanischen Kontinents verpflichtet sah. Rund um das Jahr 2010 konnte man
wöchentlich drei bis fünf hochklassige Alben mit Musik aus Simbabwe, den
Kapverden oder Angola erwerben. So weit, so bekannt – und immer in die
Vergangenheit blickend.
## Kopfstarke Soundsignaturen
Für den Produzenten Mark Ernestus, der mit Basic Channel und Rhythm & Sound
– im Tandem mit Moritz von Oswald – bereits in den 1990ern eigenständige
Signaturen von Techno und Dubtechno in Berlin erfand, war das nicht genug.
Ernestus, der nebenbei noch den renommierten Plattenladen Hard Wax in der
Hauptstadt aufgebaut hat, interessierte sich für die polyrhythmische
Struktur des Mbalax, flog nach Gambia und in den Senegal und lernte dort
lokale Musiker*innen kennen.
Ein Label namens Ndagga wurde gegründet und zwei Alben des 20-köpfigen
Ensembles Jeri-Jeri brachten Club-Interessierten zum Tanzen: Zu
handgemachten Beats, getragen von zigfachen Händen, die auf Sabartrommeln
klopfen, von angeschlagenen Gitarrensaiten und von den – Achtung
Händlersprech – „antiken, futuristischen Polyrhythmen“.
## Hypnotische Stimme
Passte alles, stimmte auch und Ernestus’ Einfluss erschöpfte sich zunächst
im Bedienen des Mischpults. Das Projekt endete etwa 2014, an seine Stelle
trat dann die Ndagga Rhythm Force. Sie trägt den Fingerabdruck von Ernestus
deutlicher, jedoch weiterhin ganz unverbindlich. Mittelpunkt der Ndagga
Rhythm Force ist nicht mehr das markante Sabartrommel-Setup, sondern die
hypnotische Stimme der in Wolof singenden Mbene Diatta Seck.
Sie tritt hier als Griot auf, als Geschichtenerzählerin, deren Entstehung
im Senegal zwar auf uralten Traditionen fußt, derweil stark mit der
allmählichen Verbreitung des Sufismus verknüpft ist. Weisen, Moral, Ethik,
Lehrstücke, die Lebenswege bedeutender Persönlichkeiten des Glaubens –
Diatta Seck inszeniert das, trotz ihres Status als Mbalax-Diva, mit einer
Intimität, der man sich kaum entziehen kann.
[1][Neun Jahre nach „Yermande“, dem Debütalbum von Mark Ernestus’ Ndagga
Rhythm Fo]rce, und ausgedehnten Touren durch Europa, macht die Crew einen
signifikanten Schritt: Der vor Kurzem erschienene Zweitling „Khadim“
fasziniert nicht mehr durch das – lapidar ausgedrückt – exotische Moment
glaubwürdiger, ungelenkter Volksmusik; „Khadim“ ist vielmehr innovativ und
zugleich weit ab von anbiederndem folkloristischem Afrikanischsein.
## Prophet-5 aus dem Fuhrpark
Dafür machen Ernestus und seine nunmehr drei Mitstreiter*innen einen
tiefen Tauchgang in die Reduktion. Es trommelt, klar, kommt aber mit
deutlich weniger Tam-Tam-Rabba-Drab aus. Dafür übernimmt nun ein
Prophet-5-Synthesizer aus dem Technofuhrpark die Leitung; es tanzt jetzt
nicht mehr vor der Bühne, sondern in den Stücken selbst. Wobei: Zu diesen
minimalistischen Séancen tanzen ohnehin nur hartgesottene Seelen oder
bereits erlöste Gestalten, die mit geschlossenen Augen wummernde
Bassfrequenzen empfangen.
Die Eindringlichkeit der leicht weggetretenen, dubunterlaufenen Zeilen
Mbene Diatta Secks ist auf „Khadim“ kaum noch auszuhalten, und so singt
sie: „Dieuw bakhul, dieuw ñaw na“, was mit „Eine Lüge ist nie gut, eine
Lüge ist dreckig“ übersetzt werden kann. Doch man meint auch ohne
Übersetzungshilfe zu verstehen, was dort in Wolof gepriesen wird.
Die deutsch-senegalesische Ndagga Rhythm Force ist kein Novelty-Projekt
mehr, sondern hat einen einzigartig-schroffen düsteren Soundentwurf
anzubieten, den sie hoffentlich nicht das letzte Mal in Form von vier
Stücken präsentiert. Denn so futuristisch klingt der Sound Afrikas im 21.
Jahrhundert wirklich.
27 Jun 2025
## LINKS
[1] /Senegalesische-Drumbeats-im-Mix/!5346810
## AUTOREN
Lars Fleischmann
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