| # taz.de -- Technoclub Open Ground: Klangwunder in Wuppertal | |
| > Auf nach Wuppertal! Denn dort residiert seit Kurzem mit dem Open Ground | |
| > einer der besten Technoclubs im ganzen Land. Ein Augen- und Ohrenschein. | |
| Bild: Die Betonunterführung direkt am Bahnhof Wuppertal, wo das Open Ground li… | |
| Im Dunkeln einer Juni-Nacht ist ein kurzer Spaziergang über den | |
| Bahnhofsvorplatz in Wuppertal ein fast schon toskanisches Vergnügen: Im | |
| Rücken strahlt der klassizistische alte Bahnhof Elberfeld über der Piazza, | |
| und selbst die bisweilen funktionale Architektur wirkt hier etwas leichter | |
| als sonstwo in der Bundesrepublik. | |
| Bis vor Kurzem sah das noch anders aus: Wer den Bahnhof am Döppersberg | |
| verließ, stand praktisch auf einer Bundesstraße durchs Tal der Wupper. | |
| Dann entschied die Kommune, dass dieser Zustand nicht mehr tragbar sei. Die | |
| bauliche Stadterneuerung grenzt an ein Wunder. | |
| Die tiefergelegte Bundesstraße interessiert nur noch bedingt, jetzt ist | |
| Platz für Discounter, aber auch für Kultur. Diese kommt in Form eines Clubs | |
| daher und liegt nur einen kurzen Fußweg, drei Treppenabsätze ins | |
| Untergeschoss und einen Securitycheck vom Bahnhof entfernt: Vorhang auf für | |
| Open Ground im Herzen von Wuppertal, derzeit einer der besten Clubs in | |
| Deutschland. | |
| ## NRW-Berghain? | |
| Lange vor Eröffnung im Dezember machte die News von einem „NRW-Berghain“ | |
| die Runde, also von einem Club, der es [1][mit dem ominösen Berliner | |
| Techno-Tempel] aufnehmen könne. So einen Ort suchte man bisher zwischen | |
| Rhein und Ruhr vergeblich. Im nahen Köln gibt es zwar kleinere Clubs mit | |
| gebührendem Booking und das „Bootshaus“, das sich stark am zeitgenössisch… | |
| Mainstream-Dancesound orientiert. | |
| In Dortmund hingegen wartet mit dem Tresor West immerhin ein Ableger des | |
| Berliner Traditionsclubs, aber die Filiale konnte noch keine Fahrt | |
| aufnehmen; in Düsseldorf setzt man seit jeher auf die Randständigkeit eines | |
| „Salon des Amateurs“. Dass ausgerechnet in der bettelarmen Großstadt | |
| Wuppertal ein Nachtclub von Weltformat entstehen konnte, möchten | |
| Besucher*innen und DJs immer noch nicht glauben. | |
| Es ist bereits zum Ritual geworden: Nach jedem Wochenende bedanken sich | |
| Künstler*innen, die sonst in London, Berlin und Tokio auftreten, für „den | |
| besten Sound der Welt“, „das netteste Team“ und die „einzigartige | |
| Erfahrung“. Doch statt bloßer Phrasendrescherei, die in dem Metier | |
| zugegebenermaßen große Verbreitung erfährt, erscheinen die Posts absolut | |
| glaubwürdig. Englische DJs, die auf die niedrigen Hotelpreise verweisen, | |
| denen es also ehrlich um die Verbreitung der frohen Kunde geht, stehen hier | |
| Schlange. | |
| Aber was genau ist das Geheimnis des Open Ground? Das lässt sich schwer auf | |
| einzelne Faktoren runterbrechen. Im Mittelpunkt steht die | |
| akustisch-auditive Erfahrung des großen Dancefloors „Freifeld“, der 500 | |
| Feierwillige aufnehmen kann. Der Klang dieses Bunkerraums kann, wie wir uns | |
| bereits mehrfach überzeugt haben, kaum mit Worten beschrieben werden, muss | |
| empfunden werden. | |
| ## Die technische Seite des Vergnügens | |
| Man kann sich dem Vergnügen von der technischen Seite nähern, wie [2][es | |
| der Berliner Produzent Mark Ernestus versucht, der nicht nur Berater des | |
| Clubs von Tag eins an ist], sondern maßgeblich an der Konzeption des | |
| einzigartigen Sounds beteiligt war: „Anders als bei akustischem Jazz oder | |
| Klassik gehen wir bei elektronischer Clubmusik davon aus, dass die gewollte | |
| Raumklang-Information schon in der Produktion enthalten ist“, führt er | |
| einen der grundlegenden Gedanken aus. | |
| Und weiter: „Unser Ziel war deshalb, eine Raumakustik zu schaffen, bei der | |
| wir den möglichst reinen Direktschall aus den Lautsprechern hören und | |
| möglichst wenig unerwünschte zeitlich verzögerte Reflexionen von Decke und | |
| Wänden.“ Einen solchen Ort nennt man in der Akustik auch Freifeld, was dem | |
| Dancefloor seinen Namen bescherte. Man kann den Macher*innen nur | |
| gratulieren, denn dieses Ziel wurde erreicht: Auf sehr angenehme Art und | |
| Weise klingt Musik an diesem Ort wie in Watte gepackt. | |
| Es gibt kein Brummen, kein Plärren, sondern allein die Sounds, die vom DJ | |
| aufgelegt werden. Dies wiederum hat den Vorteil, dass man anders als in den | |
| meisten Clubs nicht gegen die Eigenheiten des Raums anspielen muss, den DJs | |
| stattdessen eine Last von den Schultern genommen wird. Es gilt: Hier können | |
| sie spielen, was sie wollen und können. Das enorme Frequenzspektrum, dass | |
| selbst tiefste Sub-Bass-Regionen (um die 16 Hertz) sauber abbilden kann, | |
| macht nicht nur einen extrem qualitativen, sondern auch hochintensiven | |
| Sound erlebbar. | |
| ## Extrem hohe Klangqualität | |
| Das funktioniert sowohl für Techno und House als auch für Dub, Dubstep und | |
| Breakbeats – alles Spielarten der elektronischen Tanzmusik, die hier | |
| praktiziert wird. Aber auch das Konzert des pakistanischen Zitherspielers | |
| Ustad Noor Bakhsh klang in den Räumen des Open Ground fantastisch. Man | |
| geht, nebenbei erwähnt, ohne Ohrenrauschen und -fiepen nach Hause. Es ist | |
| fraglich, ob es noch einen weiteren Clubraum derartiger Klangqualität gibt. | |
| Was natürlich mehr als nur am beachtliche Klang auch als Teil dieses | |
| Wunders von Wuppertal gilt. Die Wellness-Aspekte darf man nicht | |
| vernachlässigen, worauf auch Geschäftsführer Markus Riedel hinweist: „Bei | |
| uns beginnt die Clubnacht nicht erst auf dem Dancefloor. Wir haben ein | |
| Team, das jederzeit ansprechbar ist. Bei uns soll sich jeder wohlfühlen.“ | |
| Was jeder Clubmacher behauptet, wird hier eingelöst: Borniertheit, Ungeduld | |
| oder narzisstisches Personal, das anderswo zur Grundausstattung gehört, | |
| sucht man vergeblich. Securitys wie Thekenpersonal grüßen freundlich, | |
| vergessen darüber aber nicht ihren Job, weswegen man sich sowohl sicher als | |
| auch umsorgt fühlt. Einzigartige Architektur, ein minimales Lichtkonzept | |
| und faire Preise runden das Paket ab. Nur wie ist das möglich? | |
| ## Nach Berlin und wieder zurück | |
| Dafür muss man zurück ins Jahr 2016 in die Vergangenheit reisen. Markus | |
| Riedel und sein Bruder Thomas sind beide in Wuppertal aufgewachsen, | |
| schlagen dann unterschiedliche Wege ein. Markus Riedel zieht es kurz vor | |
| der Wende nach Berlin, wo er zur rechten Hand von Mark Ernestus wird, der | |
| erst das Kumpelnest 3000 als Adresse des Berliner Undergrounds etabliert, | |
| dann mit Moritz von Oswald als Chain Reaction den charakteristischen | |
| Berliner (Dub-)Techno-Sound erfindet und mit dem Hard Wax einen der | |
| weltweit bedeutendsten Plattenläden für Techno aufbaut. | |
| Riedels Bruder Thomas gründet in der Zwischenzeit eines der führenden | |
| Unternehmen für Funkstreckentechnologie; seine Produkte finden sich heute | |
| bei Olympischen Spielen wie Formel-1-Strecken gleichermaßen. „Als die Stadt | |
| Wuppertal den nötigen Umbau des Bahnhofsvorplatzes plante, fragten sie | |
| meinen Bruder als örtlichen Unternehmer an, ob ihm dafür ein Nutzen | |
| einfalle. Mein Bruder sprach mit mir, ich fragte Mark und Mark dann | |
| Arthur.“ | |
| Arthur Rieger entstammt ebenfalls dem Hard-Wax-Umfeld, arbeitet in dem | |
| Plattenladen bereits seit über einem Jahrzehnt. Diese Expertise nutzt er | |
| heute für die Kuratierung des Open-Ground-Programms: „Durch unsere guten | |
| Kontakte haben wir einen hohen Vertrauensvorschuss bei den Künstler*innen. | |
| Die kennen uns und unseren Geschmack, wissen, wofür wir musikalisch stehen. | |
| Das hilft sehr.“ | |
| ## Unerwartetes Vergnügen | |
| Gerade in den Anfangsmonaten konnte man so auf einen Pool an namhaften DJs | |
| setzen, für die ein Besuch in Wuppertal zum unerwarteten Vergnügen wurde. | |
| Das merkt man beim Tanzen: Konzentrierte, avancierte Sets sind die Folge. | |
| Dazu gesellt sich auch ein Hauch Nostalgie: Wenn die Panorama-Bar-Ikone | |
| Prosumer, der heute weit ab vom DJ-Zirkus in Schottland lebt, einen | |
| sympathisch-abseitigen House-Sound auspackt, dann fühlt man sich an ein | |
| Berlin erinnert, dessen Partys Mitte der nuller Jahre auf befreiende Art | |
| sehr queer und frei waren. | |
| Als es noch keinen All-Black-Fetisch-Dresscode gab, sondern bunte Vögel das | |
| Bild prägten. An eine Zeit, als das „Tanzengehen“ nicht mit nachgerade | |
| verbitterter Ernsthaftigkeit betrieben wurde, sondern sich noch [3][die DNA | |
| der alten, großen New Yorker Clubs wie das Loft erkennen ließ]. Ja, hier im | |
| Open Ground in Wuppertal ist es möglich. Und so erfährt ein Berlin, das | |
| längst im Tsunami an Club-Touristen ertrunken ist, 500 Kilometer westlich | |
| eine Renaissance, mit der kaum jemand gerechnet hat, die jetzt aber mit | |
| ausgebreiteten Armen empfangen wird. | |
| Es gibt jedoch ein paar Anlaufprobleme: Partys könnten noch besser besucht | |
| sein, die benötigten Besucher*innenströme aus den Metropolen in der | |
| Region sind volatil. Auf einen gut gefüllten Fronleichnams-Rave mit dem | |
| englischen Szene-Liebling Ben UFO folgen zwei oder drei schwächere | |
| Wochenenden. | |
| Das Open Ground wird zum Projekt, das Geduld und Durchhaltevermögen | |
| verlangt: Die einzigartige Konstellation mit einem Club auf Weltniveau, der | |
| sich in Deutschlands zwanzigstgrößter Stadt befindet, ist eben kein | |
| Selbstläufer. Was dieser Club aber leistet, bringt der Mönchengladbacher | |
| Produzent Desmond Denker auf den Punkt. | |
| Eher britischen Bass-Musiken zugewandt, erzählt er im Gespräch: „Ich fahre | |
| zweimal im Monat nach Wuppertal. Neben den von mir präferierten Sounds | |
| läuft hier auch Techno. Damit konnte ich bis jetzt nie was anfangen, aber | |
| Open Ground bringt mir gerade bei, was dieses Genre alles kann.“ Ein Lob, | |
| dem man sich uneingeschränkt anschließen kann. | |
| 5 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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