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# taz.de -- Mark Ernestus über den Senegal-Sound: „Musikalisch auf einem Nen…
> Der Berliner Technoproduzent Mark Ernestus hat in Dakar ein Album mit
> lokalen Musikern aufgenommen. Der Rhythmus des Mbalax geht ihm nicht mehr
> aus dem Kopf.
Bild: „Livemusik hat in Senegal einen erheblich größeren Stellenwert als be…
taz: Im Senegal hat 2012 eine Protestbewegung für mehr Demokratie
demonstriert. Haben Sie von ihr etwas mitbekommen, als Sie nach Dakar
gereist sind?
Mark Ernestus: Also, eine meiner Reisen war, genau ein paar Tage nachdem
die ersten Demonstrationen eskaliert waren. In Dakar standen an großen
Kreuzungen Mannschaftswagen mit ziemlich gelangweilten Polizisten. Alle
haben bei jeder Gelegenheit heftig diskutiert, aber der friedliche Alltag
ging mit der üblichen Intensität seinen Gang.
Wussten Sie, dass im Senegal die Drums ursprünglich entstanden sind? Es ist
ein mythischer Ort der Musik.
Mein Interesse ist nicht musikhistorisch motiviert, aber der
[1][Stellenwert im Alltag], den Musik dort hat, ist natürlich
beeindruckend.
Wie haben Sie zum ersten Mal von Mbalax-Musik erfahren?
Ich habe auf einem Festival 2008 zusammen mit Tikiman gespielt. Vor uns hat
ein DJ-Team von in Kopenhagen lebenden Gambier hauptsächlich Mbalax
gespielt, da habe ich eine gute Dosis abgekriegt, mir das ganze Set
angehört, die Rhythmen gingen mir danach nicht mehr aus dem Kopf.
Allgemein ist die populäre Musik im Senegal heute HipHop. Welchen
Stellenwert genießt Mbalax?
Senegalesischer HipHop ist sicher sehr groß bei Leuten unter 25, aber quer
durch die Gesellschaft mit allen Altersgruppen ist nach meinem Eindruck
Mbalax nach wie vor deutlich am weitesten verbreitet.
Mbalax ist forcierte Musik, aber Ihnen ist die Gitarre das
Signalinstrument, sehr upbeat, eine klassische Rhythmusgitarre.
Nach meinem Empfinden ist die Gitarre eigentlich recht zurückgenommen oder
integriert. Das war mir bei den Aufnahmen wichtig, dass sie immer
rhythmisch oder perkussiv gespielt wird, nicht zu melodisch und bitte ohne
virtuose Soloparts.
War das für Sie eine Umstellung von der Produktionsweise her?
Ja, das war eine ziemlich neue Erfahrung, ich habe eine Menge gelernt
dabei. Es waren bei den Aufnahmen meistens um die 20 Musiker im Studio.
Bisher kannte ich nur die Situation, mit einem Sänger oder Gastmusiker im
Studio zu sein, wenn überhaupt. Das ist ein extrem anderes Arbeiten. Auch
die klangliche und rhythmische Dichte war eine Herausforderung, besonders
beim Mischen.
Wie haben Sie sich verständigt?
Einige Musiker sprechen ein bisschen Englisch, damit mussten wir
klarkommen. Auf zwei Reisen war mein Kollege Abdoulaye Diack dabei. Er lebt
schon seit 20 Jahren in Deutschland, und über ihn habe ich Bakane Seck und
damit die anderen getroffen.
Diack spricht fließend Deutsch, Englisch und natürlich Wolof und
Französisch – und Serer. Und, was vielleicht noch wichtiger ist, er kann
nicht nur die Sprache übersetzen, sondern er kennt beide Kulturen sehr
intim. Und er war früher Tänzer und hatte schon dadurch mit vielen
Trommlern zu tun.
Es gibt [2][auf Ihrer Homepage] Videoclips von Tänzern zu sehen, die sich
zur Musik bewegen. Waren die im Studio anwesend?
Teilweise waren die Tänzer dabei, aber dann nicht als Tänzer, sondern weil
sie auch persönlich einfach zur Familie gehören. Bei den Aufnahmen und beim
Mischen denke ich nicht an Tänzer, aber das ist natürlich im dortigen
Kontext nicht voneinander zu trennen. Da gibt es eine enge Wechselwirkung
zwischen Tänzern und Trommlern.
Wussten die senegalesischen Musiker über Ihren Hintergrund Bescheid?
Nein, nicht im Entferntesten. Ich habe ein paar CDs mitgebracht von
früheren Produktionen, aber ich bin gar nicht mal sicher, ob sich die
jemand angehört hat. Aufgenommene Musik spielt im Senegal generell eine
viel geringere Rolle als bei uns, und wenn, dann eher aus Radio oder
Fernsehen. Mein Hintergrund ist aufgenommene Musik, ich habe nie ein
Instrument gelernt, mein Zugang zur Musik kommt über das Plattenhören.
Und dort ist es so ziemlich das Gegenteil. Die Trommler, Tänzer und Sänger
kommen typischerweise aus Griot-Familien. Das ist seit zig Generationen so,
sie werden schon als Trommler geboren. Die Musiker, die Keyboards und
andere Instrumente spielen, sind öfter aus eher im europäischen Sinne
gebildeteren Nicht-Griot-Familien.
Also, Musik ist etwas, was man selber spielt beziehungsweise trommelt. Man
hört sie auch im Taxi oder im Fernsehen. Aber ganz klar, Livemusik hat da
einen erheblich größeren Stellenwert als bei uns. Auch was die Clubs in
Dakar angeht.
Youssou N’Dour führt zum Beispiel einen, nicht wahr?
Ja, ihm gehört das Thiossane. Es gibt große Clubs, Live-Venues und kleinere
Clubs in Dakar. Selbst in den kleineren Clubs spielen etwa an einem
Dienstagabend durchaus Leute, die dort gerade Nummer eins sind. Ich muss da
manchmal schmunzeln: Wenn hier in Europa ein größerer Act spielt, will der
Veranstalter davor und danach mindestens einen Monat Exklusivität haben.
Das ist in Dakar völlig anders, da spielen die Topleute während einer Woche
in drei verschiedenen Clubs, mal vor 50, mal 1.000 Zuschauern. Aufgenommene
Musik ist da eigentlich auch etwas anderes. Es gibt ein Format namens
Soirée Senegalese, da macht der DJ Vorprogramm, danach kommen Trommler.
Produzieren hat mit Psychologie zu tun, man muss Vertrauen entwickeln.
Ja, das war ein Versuch mit Risiko. Aber es hat sich schon bei der ersten
Session sehr schnell aufgelöst, und ich habe nach wenigen Momenten gemerkt,
dass es gut läuft. Wenn ich etwas kommentiert habe oder Vorgaben gemacht
habe, konnten die Musiker meistens auch etwas damit anfangen, oft hat es
sie sogar beflügelt. Wir kamen musikalisch auf einen Nenner, das war ein
gutes Gefühl.
Warum haben Sie sich aus den Popzusammenhängen der elektronischen Popmusik
mehr in Richtung Folkmusik bewegt?
Pop ist für mich ein schlimmes Wort. Ich sehe mich auch eigentlich nicht
als Popschaffenden.
In Ihrem Plattenladen [3][Hard Wax] in Berlin bieten Sie doch Popmusik
feil.
Ja? Okay. Natürlich lassen sich manche Sachen unter dem Namen Pop
verstehen. Für mich ist der Begriff aber belastet. Natürlich lässt sich
darunter viel subsumieren, Pop nach meinem Begriff ist aber etwas, was ich
versuche zu vermeiden.
Warum finden Sie den Überbegriff Pop hinderlich?
Es wird jetzt grundsätzlich: Natürlich es ist schade, dass bestimmte Themen
nicht von mehr Leuten wahrgenommen werden, aber die Lösung dafür kann nur
sein, dass mehr Leute verstehen, dass Musik, die sie in Massenmedien
präsentiert bekommen, zunächst mal nicht besonders gut ist, sondern dass
dahinter besonders starke kommerzielle Interessen stehen. Gute Musik kommt
in Massenmedien meist nicht vor. Der Prophet muss sich schon zum Berg
bewegen, nicht der Berg zum Propheten.
Die Berliner begegnen den Techno-Touristen allgemein eher hochnäsig und mit
Vorurteilen. Wie war es für Sie in Dakar, waren Sie da auf die Hilfe von
Senegalesen angewiesen?
Als Tourist habe ich mich da nie gefühlt, weil ich von Anfang an mit
Einheimischen unterwegs war. Und ich kann sagen, dass von den Orten, die
ich musikbedingt über die Jahre besucht habe, wo selten Weiße hinkommen,
ich mich im Senegal am normalsten aufgenommen gefühlt habe.
Wie sehr hat Berlin mit Ihrer Musikgenese zu tun?
Ich bin Anfang der Achtziger sehr bewusst zurück nach Berlin gezogen und
wollte seitdem nie an einem anderen Ort leben. Insofern kann ich meine
Entwicklung unmöglich von der Stadt trennen.
Woher kommt Ihre Skepsis, dieses Bedürfnis, im Hintergrund zu bleiben?
Ich finde, die Frage steht auf dem Kopf – warum sollte es anders sein? Das
ist für mich hoffnungslos pervertiertes Popdenken, wenn es schon als
erklärungsbedürftig gesehen wird, dass allein die Musik im Vordergrund
stehen soll.
Aber Pop hat mit Image zu tun. Man könnte ja auch einwenden, Ihr
zwanghaftes Im-Hintergrund-Bleiben ist auch eine Art Strategie.
Wer darauf fixiert ist, ein Image zu erkennen, wird natürlich dessen
Abwesenheit zum Anti-Image erklären, das kann man nicht vermeiden. Ich sehe
das ganz einfach: Es sollte reichen, wenn man Musik macht, und man sollte
nicht erklären müssen, warum man diese ganze Popscheiße nicht bedienen
will.
Gleichzeitig muss ich natürlich die Realität zur Kenntnis nehmen, dass man
nicht auf Dauer anonym bleiben kann oder dass es irgendwann als Masche
gedeutet wird. Dann kommt der Punkt, an dem es für mich albern wäre, das
weiter durchziehen zu wollen. Dann kann ich nur den Umgang mit Medien
normalisieren. Das heißt noch lange nicht, dass es mir Spaß macht – ich
versuche eine Balance zu finden.
Techno und House sind sehr gegenwartsfixiert. Wie kam dieser Schwenk zur
Musikgeschichte, abseits vom Tagesgeschäft?
Ich würde Ihrer Wahrnehmung widersprechen. Klar – es gab bei Hard Wax auch
Platten, da wusstest du, alle drehen durch, aber in ein paar Wochen ist es
abgegessen. Aber es gab und gibt im House und Techno immer auch Sachen, die
sind für die Ewigkeit gedacht.
Sehen Sie Ihre Karriere als House-Produzent als abgeschlossen an?
Überhaupt nicht. Es geht mir oft durch den Kopf. Aber, es ist die Sache,
die immer hinten runterfällt, da viel anderes zu tun ist. Mit so einem
Projekt ist man immer in einem ziemlichen Netz von Verpflichtungen oder
Zugzwängen.
Etwa Remixe machen mit Deadline. Von meinen anderen Baustellen ganz zu
schweigen – Hard Wax, Wax Treatment und so weiter. Da kommt einfach nie der
ruhige Tag, an dem ich mich mal ins Studio setze, um allein an rein
elektronischen Sachen zu arbeiten. Ich habe dieses Kapitel keineswegs
beendet.
11 Jun 2013
## LINKS
[1] /!91064/
[2] http://ndagga.com/
[3] http://hardwax.com/
## AUTOREN
Julian Weber
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