# taz.de -- DJane Jennifer Cardini: „Man will meine Gagen drücken“ | |
> Die französische DJane und Produzentin Jennifer Cardini über die | |
> Notwendigkeit des Warm-ups und das schwierige Standing von Frauen in der | |
> elektronischen Popmusik. | |
Bild: „Mit meinem Label möchte ich untypische Clubmusik pushen“: Jennifer … | |
taz: Jennifer Cardini, stimmt es, dass Sie Ihr Label Correspondant während | |
einer Phase der Schlaflosigkeit gegründet haben? | |
Jennifer Cardini: Ja, das stimmt. Schlaflosigkeit ist schrecklich. Wenn ich | |
nur bis 6 Uhr morgens nicht schlafen könnte, wäre das perfekt. Das bin ich | |
ja von den Wochenenden gewöhnt. Aber leider ist bei mir alles umgekehrt: | |
Ich falle um 19 Uhr ins Bett und wache mitten in der Nacht auf. Ich gehe | |
nun auf die 40 zu und musste einiges an meinem Leben ändern. Zum Beispiel | |
den Alkoholkonsum habe ich komplett auf null gefahren. Das hat meinen | |
Körper, meinen Kopf und meinen Schlaf komplett durcheinandergebracht. | |
Anstatt dann literweise Kaffee zu trinken und Zigaretten zu rauchen, habe | |
ich angefangen, mich mit dem Label zu beschäftigen. Das wollte ich sowieso | |
schon lange machen. | |
Warum? | |
Wenn ich auftrete, geben mir DJ-KollegInnen und Partygäste immer Demos mit. | |
Mit der Zeit hatten sich ziemlich viele angesammelt, die ich spannend fand. | |
Die Tracks meiner Compilation sind zwar alle tanzflächenkompatibel, | |
zeichnen sich aber durch einen relativ gemächlichen Rhythmus aus. | |
Bedächtiger Minimaltechno, mag ich sehr. Mit dem Label möchte ich gerne | |
untypische Clubmusik pushen. | |
Galt es da etwa, eine Lücke in der Labellandschaft zu schließen? | |
Nein, nicht direkt. Angesichts des traurigen Zustands der Musikindustrie | |
könnte man sogar meinen, ein neues Label braucht keiner. Aber es ist | |
anders: Als Musikerin, die unter Vertrag steht, muss ich ja auch meine | |
eigenen Tracks produzieren. Dabei bin ich sehr langsam, fühle mich | |
unsicher, es fällt mir schwer. Die Labelgründung war vielleicht eine Art | |
Entschuldigung, um nicht mehr selbst ins Studio gehen zu müssen. | |
Correspondant – so heißt sowohl Ihr 2010 gegründetes Label als auch die | |
Partyreihe, die Sie im Pariser Rex Club seit über zehn Jahren veranstalten. | |
Sie scheinen an dem Namen zu hängen. | |
Ja. Der Name kam, als ich die Reihe zunächst im Nouveau Casino gestartet | |
habe. Damals habe ich viele deutsche DJs nach Paris eingeladen, wie | |
beispielsweise Michael Mayer. Das war ein wenig wie früher als Kind, wenn | |
man einen Correspondant (Brieffreund) aus einem anderen Land hatte. Man hat | |
sich gegenseitig geschrieben und besucht. Die DJs haben bei mir übernachtet | |
und ich habe für sie gekocht. Umgekehrt lief es genauso. Statt Briefe haben | |
wir viel Musik ausgetauscht. | |
Zur Compilation haben Sie dann doch mit einem eigenen Track namens „Venom“ | |
beigetragen. | |
Stimmt. Zwar hat der Lebensstil, den ich 20 Jahre lang geführt habe, meiner | |
Kreativität geschadet. Aber durch das Label ist dann eine großartige | |
Energie in mir freigesetzt worden, die von der Zusammenarbeit mit den | |
KünstlerInnen kommt. Das motiviert mich. Außerdem hatte ich im Laufe meiner | |
Karriere das Glück, dass mir viele Leute geholfen haben. Jetzt möchte ich | |
jungen und unbekannten Künstlern das Gleiche ermöglichen. | |
Das Video zu „Venom“ verwendet Ausschnitte aus Friedkins Film „Cruising�… | |
Momentan überlege ich, vielleicht eine ganze Reihe von Tracks zu machen, | |
die als Ausgangspunkt Filme haben. Dieses drückende, futuristische Ambiente | |
– wie man sich in den Achtzigern die Zukunft vorgestellt hat, so eine irre | |
diskoide Stimmung findet sich auch in der Musik meiner Compilation wieder. | |
Film ist jedenfalls eine wichtige Inspirationsquelle für mich. | |
Wie schwierig war es eigentlich, sich als DJ zu behaupten? | |
Mitte der Neunziger entstand die Technokultur in Frankreich gerade erst. Es | |
gab kaum DJs, geschweige denn weibliche. Ganz ohne Skrupel: Ich habe von | |
dem Hype um die wenigen „DJ Girls“ profitiert. Anfangs bin ich auch | |
hauptsächlich auf Partys für Frauen aufgetreten, die von Männern | |
organisiert wurden. Die Flyer waren rosa und darauf stand ganz groß in | |
Pink: „Girls“. Das hat schon genervt. Wenn mich jemand buchen wollte, nur | |
weil ich ein Mädchen bin, habe ich mir aber gedacht: Eines Tages werden | |
sich meine Leidenschaft, Experimentierfreudigkeit und eine kompromisslose | |
Musikauswahl auszahlen. | |
So rosig klingt das ja nicht. | |
Nein. Das wiegt auch die ganze Plackerei, die unzähligen Stunden im | |
Plattenladen und zu Hause am Mischpult nicht auf. Es ist zwar inzwischen | |
für Frauen leichter geworden, aber die Elektronikpopszene ist nach wie vor | |
männerdominiert und leider chauvinistisch. | |
Wie zeigt sich das? | |
An den Gagen zum Beispiel. Das Honorar eines DJs wird selten infrage | |
gestellt. Bei mir oder Kolleginnen wie Chloé aber versuchen die | |
Veranstalter oft, den Preis zu drücken. Das hat mir unsere Bookerin – auch | |
Mitbegründerin vom Label Kill the DJ – Fanny Corral erzählt. | |
Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern gibt es also auch in der | |
Technowelt. | |
Umso mehr überrascht, dass außer Ihnen nur eine einzige weitere Frau auf | |
der Correspondant-Compilation vertreten ist. | |
Es liegt jedenfalls nicht an meinem mangelnden Willen. Bei jeder | |
Gelegenheit, ob im Interview oder im Radio, sage ich: Ladys, schickt eure | |
Demos! Vielleicht sind sie einfach zu schüchtern? Ich stelle auch fest, | |
dass Frauen oft mit schwierigen Entscheidungen konfrontiert werden, sobald | |
sie ein Kind bekommen. Ein DJ-Dasein lässt sich offensichtlich nur schwer | |
mit Familienleben vereinbaren. Klar hängt das auch vom Partner ab, aber | |
nicht nur. Ich sehe es ja an mir. Weil ich am Wochenende ständig unterwegs | |
bin, verpasse ich jede Geburtstagsparty, jeden Umzug. Wenn ich dann mal | |
umziehe, hilft mir keiner! | |
Vor vier Jahren sind Sie von Paris nach Köln gezogen. Wie kam es dazu? | |
Der Liebe wegen. Ich brauchte einen gesunden Abstand zu Paris, um meinen | |
Lebenswandel zu ändern. Frankreich war mir auch viel zu reaktionär | |
geworden. Aber ich fahre wegen meiner Reihe regelmäßig nach Paris. Momentan | |
brodeln Nachtleben und elektronische Musikszene wieder. Es gibt auch jede | |
Menge neuer kleiner Labels. Außerhalb von Paris wird es dann leider | |
schwieriger. Allgemein hat elektronische Popmusik in Frankreich leider noch | |
nicht den Status erreicht, den sie in Deutschland genießt. | |
Warum haben Sie „Correspondant“ mit einem Instagram aus den besten | |
Club-Momenten verglichen? | |
Damit meine ich eine Spontanität und Intensität, die ich mit meinen | |
Warm-ups im Rex verbinde. Wenn der Club noch leer ist, spiele ich gern | |
atmosphärische Musik, oft auch Soundtracks. Manchmal dauert es über eine | |
Stunde, bis der erste Beat einsetzt. Meine Compilation erinnert mich an | |
diesen Moment, in dem sich etwas aufbaut und die Stimmung des Abends | |
langsam aufsteigt. | |
Den Warm-up zu Beginn des Abends stellt man sich als undankbare Aufgabe | |
vor. Die Tanzfläche ist ja noch leer. | |
Vom Warm-up hängt aber der gesamte Abend ab. Als blutige Anfängerin hatte | |
ich geballert, was das Zeug hält, was nicht funktionierte. Einen gelungenen | |
Warm-up schafft nur, wer technisch bewandert ist und über | |
genreübergreifendes Musikwissen verfügt. Und: Man muss auch sein eigenes | |
Ego zurückstellen. Meine Aufgabe ist es, die Spannung langsam aufzubauen, | |
damit die Leute dann komplett abgehen, sobald meine Gäste ihren Set | |
starten. Wenn es so läuft, bin ich richtig glücklich. | |
14 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
## TAGS | |
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