| # taz.de -- Feiern als Form des Protests: Beats für eine bessere Welt | |
| > In London, Berlin, Hamburg und Tiflis bringen Demonstrierende ein Konzept | |
| > zurück, das es früher schon gab: die Protestparty. Bringt das was? | |
| Bild: Bass statt Hass: Was bringen diese Protestpartys – außer guter Musik? | |
| In den letzten Wochen zirkulierten Flyer in London: „Reclaim the Streets“ | |
| stand darauf – „Erobert die Straße zurück!“ – und „Straßenparty ta… | |
| geheimer Ort in London“. Die Organisator_innen blieben anonym, sie machten | |
| lediglich ihr Anliegen publik: gleiche Rechte für alle, Bewegungsfreiheit | |
| und das Ende der Austeritätspolitik. Dafür wollten sie tanzen. | |
| Diese Art von Protestpartys – oder, wie man heute sagt „Demoraves“, haben | |
| in London Tradition: Für eine kurze Zeit in den 1990er Jahren hatten diese | |
| Partys im Zentrum von London den politischen Protestveranstaltungen die | |
| fluoreszierende Energie der Raves in die Venen gespritzt. Unter dem Motto | |
| „Reclaim The Streets“ wurden damals Autobahnen besetzt und tagelang in | |
| antikapitalistische Partylocations verwandelt. Das Phänomen schwappte für | |
| eine kurze Zeit in andere Metropolen, in denen Menschen karnevalesken | |
| Widerstandsgeist mit linken Demonstrationen verbanden. | |
| Könnte es sein, dass sich diese Geschichte gerade wiederholt? Die | |
| Veranstaltung in London ist nur eine von vielen, mit denen sich die | |
| internationale Clubkultur derzeit der Politik zuwendet. Am vergangenen | |
| Wochenende zogen rund 2.500 Menschen tanzend durch das Hamburger | |
| Schanzenviertel, um an die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel vor einem | |
| Jahr zu erinnern. | |
| Ende Mai formierten Berliner Clubs und ihre Tausenden Partygäste [1][eine | |
| Anti-AfD-Party,] in der Technomusik und Slogans gegen Rassismus, Homophobie | |
| und Nationalismus verschmolzen. Im Mai wurden in Georgiens Hauptstadt | |
| Tiflis in Folge von Todesfällen, die auf Drogen zurückgeführt wurden, in | |
| zwei Clubs Razzien durchgeführt. Clubgänger_innen reagierten mit einer | |
| [2][Partydemonstration] vor dem Parlament und einer Kampagne für die | |
| Aufweichung der restriktiven Drogengesetze. | |
| ## Nicht nur Eskapismus und Hedonismus? | |
| Auch das Interesse an der Geschichte der Partypolitik scheint wieder zu | |
| erwachen. Eine der jüngeren Dokumentationen dazu ist der Fotoband „exist to | |
| resist“ des Fotografen Matthew Smith über die Proteste der 1990er Jahre und | |
| die Rave-Ära in Großbritannien. „Those who rave together stay together“ �… | |
| „Die, die zusammen raven, halten zusammen“ –, so fasst er die Partys | |
| zusammen: „Nichts beweist so sehr wie die Kultur des Rave, dass eine große | |
| Menge an Menschen zusammen sein kann, ohne eine äußere Gewalt zu benötigen, | |
| die ihre Interaktion überwachen würde.“ | |
| In der allgemeinen Wahrnehmung könnten politischer Aktivismus und Clubs | |
| nicht weiter voneinander entfernt sein. Clubbing steht heute meist für | |
| Eskapismus und Hedonismus. Historisch betrachtet ist das aber eine | |
| beschränkte Wahrnehmung, in der übersehen wird, wer ursprünglich die | |
| Clubkultur initiiert hat. Während die Gesichter und DJ-Stars der heutigen | |
| Clubwelt überwiegend weiß und heterosexuell sind, waren die Pioniere der | |
| subkulturellen Discobewegung der 1970er Jahre in den USA marginalisierte | |
| Communities: People of Color, Latinos, Queers. | |
| Eine der einflussreichsten Institutionen dieser Zeit war der | |
| Warehouse-Club, der 1977 in Chicago eröffnet wurde. Besitzer und Manager | |
| des Clubs war Robert Williams, die Musik kam von DJ Frankie Knuckles, beide | |
| waren Afroamerikaner. Der Club war ein Anlaufpunkt für junge Queers of | |
| Color, sie fanden dort eine Gemeinschaft, in der sie sich angenommen | |
| fühlten – ganz im Gegensatz zu den meisten anderen Orten in den USA damals. | |
| Die meisten Clubs verwehrten Schwarzen den Zutritt. | |
| In den schwarzen Communities wiederum waren Schwule und Lesben im | |
| spirituellen und gemeinschaftlichen Leben oft unerwünscht. Für viele | |
| schwarze Queers wurde der Besuch im Warehouse so zu einer Alternative zum | |
| Kirchgang. Das spiegelte sich auch in der Musik wider – House, | |
| beispielsweise, ist vom Gospel beeinflusst. Mit ihrer wachsende Popularität | |
| wurden das Warehouse und andere Clubs zu einem Ort, an dem sich Menschen | |
| unterschiedlichster Hintergründe treffen konnten: Schwarze und Weiße, | |
| Hetero- und Homosexuelle feierten größtenteils friedlich zusammen. | |
| ## Ein Platz für die Platzlosen | |
| Darauf verweist auch Lerato Khathi. Die gebürtige Südafrikanerin ist DJ (DJ | |
| Lakuti) und Gründerin des Musiklabels Uzuri Recordings in Berlin. „Die | |
| Idee, dass die Clubkultur nicht politisch ist, ist lächerlich“, sagt sie. | |
| „Clubs waren zentrale Treffpunkte für diejenigen, die keinen Platz in der | |
| Gesellschaft hatten. Die Freaks, die Besitzlosen, die Schwarzen und Latinos | |
| in Chicago und New York hatten dort ihre eigenen Treffpunkte.“ | |
| Khathi veranstaltet auch Partys im Berliner Club Berghain. Der hatte sich | |
| als einer der wenigen nicht an dem Anti-AfD-Rave in Berlin beteiligt. | |
| Khathi allerdings war es wichtig, daran teilzunehmen: „Es war sehr | |
| kraftvoll, dort zu sein und eine Erleichterung. Traurigerweise fühle ich an | |
| vielen Orten nicht diese Ge- und Entschlossenheit gegen Rassismus und | |
| Homophobie, die die Demo in Berlin ausgestrahlt hat. Für mich als schwarze, | |
| queere Frau, die sich in der Trump-Ära und in einer Zeit, in der Europa | |
| wieder Nazismus willkommen heißt, bewegt, ist der tägliche Kampf gegen den | |
| Hass real und schmerzhaft.“ | |
| Spielten die politischen Aspekte in den Ursprüngen der Clubkultur eine | |
| grundlegende Rolle, so waren diese Themen für viele Jahre kaum sichtbar. | |
| Warum kommen sie jetzt zurück? Eine mögliche Erklärung könnte in den | |
| Veränderungen der globalen Politik zu finden sein. Seit den letzten zwei | |
| Jahren ziehen sich heftige Risse durch das liberale Demokratiemodell. | |
| Vor nicht allzu langer Zeit schien der politische und kulturelle Diskurs | |
| die inklusiven Werte, die auch in den Clubs gewachsen sind, zu | |
| unterstützen. Doch die erstarkende populistische Rechte hat die Ablehnung | |
| von Marginalisierten wieder hoffähig gemacht. Diese feindliche Atmosphäre | |
| hat frühere Gegenkulturen wiederbelebt – zum Beispiel eben die illegalen | |
| Raves. | |
| ## Wir sind viele | |
| Es gab immer schon Nischen in der Club- und Jugendkultur, wo Dissens und | |
| Widerstand zelebriert worden, besonders in Berlin, wo Clubs wie das About | |
| Blank seit vielen Jahren linke Politik und Partykultur verbinden. Aber es | |
| scheint besondere Umstände zu brauchen, dass aus einer Gegenkultur eine | |
| größere wird. Das derzeit verbreitete Gefühl unter Minderheiten, in ihrer | |
| Freiheit bedroht zu sein, kreiert einen Zeitgeist, in der Widerstand wieder | |
| aktuell wird. | |
| Selbst in der etablierten Politik ist die rebellische Tanzbewegung | |
| angekommen. Bei der Labour Partei in Großbritannien diskutierten | |
| Theoretiker_innen und Aktivist_innen im vergangenen Jahr unter dem Titel | |
| „Acid Corbynism“ einen gegenkulturellen Ansatz für eine Zukunft jenseits | |
| neoliberaler Politik. Das Konzept, inspiriert von dem nicht mehr | |
| fertiggestellten Buch „Acid Communism“ des Theoretikers Mark Fisher, wurde | |
| auf der alternativen Labour Konferenz „The World Transformed“ („Die Welt | |
| verändert“) präsentiert, inklusive einer Acid-House-Party. | |
| Acid House ist eine besonders minimalistische Spielart elektronischer | |
| Musik. Die Diskussion kreiste um den Aufbau einer „sozialistischen | |
| Tanzkultur“ und suchte nach einer sozialen Vision im Gemeinschaftsgefühl | |
| der Clubkultur. Dieses Gemeinschaftsgefühl soll laut den Aktivist_innen | |
| dabei helfen, die Gesellschaft mehr als Kollektiv zu verstehen, ein Modell, | |
| dass Margaret Thatcher zerstören wollte. | |
| Nur: Was, außer guter Musik, bringen diese Protestpartys? Die | |
| Anti-AfD-Party in Berlin beispielsweise hat vor allem Mut gemacht und | |
| gezeigt, dass wir viele sind, die gegen die Erzählungen der Rechten | |
| einstehen. Die Linke ist ja nicht immer gut darin, Gemeinschaft zu stiften, | |
| doch unter dem Einfluss von Musik kreierte die Demo eine kraftvolle | |
| gemeinsame Erfahrung. Im Herzen dieser Erfahrung liegt ein Gefühl von | |
| familiärer Zugehörigkeit, die Club- und Festivalgänger mit ihren | |
| Mittanzenden entwickeln. Die Frage ist, ob und wie diese Form von | |
| temporärer Gemeinschaft auch die breitere Öffentlichkeit erreichen kann und | |
| daraus das Potential für einen Politikwandel erwachsen kann. | |
| In London kamen einige hundert Teilnehmer_innen zu der „Reclaim The | |
| Streets“-Party, die am 23. Juni mittags in einer Fußgängerzone außerhalb | |
| der Shoreditch U-Bahn-Station stattfand. Mit einem Transparent das | |
| „Soziales Wohnen jetzt!“ forderte und einer Anlage, mit der für einige | |
| Stunden die Straßen beschallt wurden, war es eine bescheidene Version der | |
| Straßenbesetzungen der Vergangenheit. An das Original reichten sie nicht | |
| heran – aber ganz vergangen sind sie eben auch nicht. | |
| Übersetzung: Judith Poppe | |
| 13 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Moshe Kuttner | |
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