| # taz.de -- Party ohne Berliner Bürokratie: Zurück zu den Neunzigern | |
| > Eine Open-Air-Party anzumelden, ist in Berlin ein bürokratischer | |
| > Marathonlauf. Illegalen Veranstaltern ist das herzlich egal. | |
| Bild: Bevor es losgeht, sind (theoretisch) eine Menge Anträge zu stellen | |
| Die Dämmerung setzt ein, die Bässe pumpen, das Wasser schimmert grünlich. | |
| Am Ufer des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals ist ein weißes Zelt | |
| aufgebaut, unter dem an diesem noch jungen Freitagabend die Lichter | |
| flackern und die Beats hallen. Ein Dancefloor auf sandigem Grund, auf dem | |
| der früh eingetroffene Teil der Partygesellschaft bereits zuckt und | |
| zappelt. Bei frischen Temperaturen, mit herrlicher Aussicht: auf das Nass, | |
| auf ein weites braches Feld am Ufer, das von Mauern voller Graffiti gesäumt | |
| ist. | |
| Die Open-Air-Party hier im Nordwesten der Stadt geht gerade erst los, aber | |
| den Geist dieser Veranstaltung kann man schon jetzt spüren. Junge Leute | |
| sitzen entspannt am Ufer, wippen mit dem Kopf, unterhalten sich. Auf der | |
| Tanzfläche sieht man ältere Frauen und Männer, vielleicht um die 50, die | |
| sich eingrooven. Hunde streunen dazwischen herum. Und über dem friedlich | |
| daliegenden Kanal schwebt ein violetter Laserstrahl. | |
| Zur Party hat ein Kollektiv geladen, das regelmäßig spontane Technopartys | |
| im Freien veranstaltet. In dieser Nacht gibt es etwas Besonderes zu feiern: | |
| die Gruppe, die anonym bleiben will, feiert ihr 6. Jubiläum. So langsam | |
| füllt sich das Areal, rund 150 Leute sollen am Ende kommen. „Wir wollen den | |
| Geist der Open-Air-Partykultur aufrechterhalten, der in den neunziger | |
| Jahren diese Stadt geprägt hat. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, diese | |
| Form der Subkultur zu verteidigen und weiterzutragen“, sagt einer der | |
| Mitveranstalter, ein junger Mann Anfang 30, der Teil der rund 20-köpfigen | |
| Veranstaltergruppe ist. | |
| Ein DJ-Pult, ein paar Lautsprecherboxen, eine Stromquelle, ein Zelt und | |
| einen Tresen – viel mehr brauchen sie nicht für ihre Partys. „Wir suchen | |
| uns vorher gezielt Orte aus, an denen wir möglichst wenige Leute stören und | |
| niemandem auf den Sack gehen“, erklärt der Mitveranstalter, und er schiebt | |
| schnell hinterher, dass mit diesen Partys kein Cent verdient wird. Der | |
| Eintritt ist frei, Getränke gebe es gegen Spende. Bislang habe man auf | |
| diese Weise keine Miese gemacht. | |
| So weit, so gut. Nur: Open-Air-Partys wie diese sind immer noch illegal. | |
| Eine legale Basis gibt es in Berlin – der Stadt, in der die wohl europaweit | |
| meisten Veranstaltungen dieser Art über die Bühne gehen – nicht. | |
| Kurzfristige Anmeldungen bei den Behörden sind nicht möglich. | |
| ## Undurchschaubares Formularwesen | |
| Weil solche Partys aktuell vielen Verordnungen und Gesetzen unterliegen – | |
| unter anderem dem Gaststättengesetz, der Betriebsverordnung Berlin, dem | |
| Landesimmissionsschutzgesetz, dem Grünanlagengesetz –, müsste man eine | |
| Menge Formulare einreichen, wenn man legal feiern wollte. Und das Ganze | |
| mehrere Wochen im Voraus, bei bis zu 10 verschiedenen Ämtern, für eine | |
| Bearbeitungsgebühr von bis zu 800 Euro. All dies ist nicht im Sinne der | |
| Erfinder. Und gerade die internationalen Partymacher verstehen kein Wort, | |
| wenn sie versuchen, sich durch das deutsche Formularwesen | |
| hindurchzuarbeiten. | |
| Deshalb soll bald alles anders werden. An Round Tables sitzen derzeit | |
| Vertreter der Clubcommission (Interessenverband der Berliner Clubszene), | |
| Partyorganisatoren, Senats-, Bezirkspolitiker und Juristen zusammen, um | |
| Lösungen zu erarbeiten. „Model Space“ heißt das Projekt der Clubcommissio… | |
| bei dem man in einem ersten Schritt bis Ende des Jahres partytaugliche | |
| Freiflächen finden und Testevents veranstalten will. Ebenso soll ein | |
| unbürokratischer, einfacher Weg gefunden werden, Open Airs anzumelden. Das | |
| Interesse der Szene ist groß – beim jüngsten Treffen saßen 63 Organisatoren | |
| mit am Tisch. Die Clubcommission schätzt, dass etwa 30.000 Menschen in | |
| Berlin regelmäßig Freiluftpartys besuchen. | |
| Liese Kingma, gebürtig aus den Niederlanden, ist die Person, bei der auf | |
| der Suche nach Strategien alle Fäden zusammenlaufen. Die Kulturmanagerin, | |
| 30 Jahre alt, Typ Anpackerin, hat selbst mit dem Black Rabbit Collective in | |
| Amsterdam Partys veranstaltet. Jetzt arbeitet sie für die Clubcommission | |
| und ist Leiterin des Projekts Model Space. Kingma hat auf die kleine | |
| Dachterrasse ihrer Büros in Mitte geladen. Ihr gegenüber sitzt Felix | |
| Hartmann, der mit seinem Kollektiv HangarTechno regelmäßig Freiluftpartys | |
| veranstaltet. | |
| Kingma skizziert zwei Entwicklungen der jüngeren Zeit: „Die Zahl der | |
| Veranstalterinnen und Veranstalter nimmt zu“, erklärt sie. „Es gibt gerade | |
| eine Menge junger Menschen, die versuchen, solche Partys auf nachhaltige | |
| und sozial verträgliche Art und Weise durchzuführen“. Gleichzeitig gebe es | |
| immer weniger Flächen – und die Polizei greife immer öfter ein. Die | |
| Berliner Polizei kann allerdings über die Zahl der Beschwerden wegen Lärm | |
| keine genauen Angaben machen: Open-Air-Partys würden nicht gesondert | |
| geführt, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Die Beschwerden fielen meist in die | |
| Zuständigkeit des Ordnungsamts. | |
| ## Suche nach alternativen Orten | |
| Gemeinsam mit der Technischen Universität sucht die Clubcommission nun bis | |
| Ende des Jahres nach abseits gelegenen Orten, wo keine Wohnsiedlungen, | |
| keine große Straßen und keine Bahngleise in unmittelbarer Nähe sind und die | |
| zudem gut für Feuerwehr und Notarzt zu erreichen sind. Und: Innerhalb des | |
| S-Bahn-Rings sollen sie sein. | |
| Ist das nicht ein hehrer Anspruch? Warum dürfen es keine Freiflächen | |
| außerhalb sein, wo sie sicher einfacher zu finden wären und weniger | |
| Konfliktpotenzial bergen würden? „Ich denke, solche Veranstaltungen sind | |
| Teil der soziokulturellen Identität Berlins“, erklärt Kingma, „und, seien | |
| wir ehrlich: Die Events finden innerhalb des Rings ohnehin statt – ob | |
| offiziell oder inoffiziell.“ | |
| Veranstalter Felix Hartmann findet es fragwürdig, dass die Partys in der | |
| rechtlichen Grauzone verharren: „Es geht dabei um eine spontane Nutzung des | |
| öffentlichen Raumes. Es ist nichts anderes, als wenn ich meine Freunde | |
| anrufe und mich mit ihnen zum Grillen im Park verabrede.“ Natürlich, die | |
| Musik komme dazu – aber oft würden sich Leute auch dann beschweren, wenn | |
| man sich an den Richtwerten für erlaubte Lautstärke orientiere: „Wir haben | |
| häufig Lautstärkemessungen bei unseren Veranstaltungen gemacht. Selbst wenn | |
| wir noch weit unter dem erlaubten Lautstärkelevel geblieben sind, gab es | |
| Beschwerden.“ | |
| ## Blick nach Bremen | |
| In der Veranstaltungslärmverordnung sieht das Land Berlin aktuell | |
| Richtwerte von 70 Dezibel (tagsüber, entspricht einem vorbeifahrenden Auto) | |
| und 55 Dezibel (nachts, Gesprächslautstärke) vor – dies sind allerdings die | |
| Richtwerte für Wohn- und Kleinsiedlungsgebiete; in Industrie- und | |
| Gewerbegebieten gelten andere. | |
| Die Clubcommission strebt derzeit einen Code Of Conduct – also | |
| Verhaltensregeln – an, der bei der Feierei im Freien gälte. Herrscht denn | |
| unter den Veranstaltern keine Angst, dass am Ende exakt vermessene und | |
| strikt reglementierte Partyzonen herauskämen? „Diese Angst gibt es sehr | |
| wohl“, sagt Felix Hartmann. Weil diese Bedenken aber an den Round Tables | |
| artikuliert würden, glaubt er, dass es nicht so kommen wird. | |
| Auf der Suche nach Lösungen geht der Blick oft nach Bremen. Denn an der | |
| Weser gibt es seit 2016 ein Freiluftparty-Gesetz, seither sind die | |
| Veranstaltungen dort legal. Bis 24 Stunden vorher kann man Open-Air-Partys | |
| anmelden: mittels eines Formulars, das ganze eineinhalb Seiten lang ist. | |
| Das Gesetz funktioniert gut bislang: In den Jahren 2016 und 2017 gab es | |
| jeweils 29 Veranstaltungen. Keine davon musste abgebrochen werden. Bremen | |
| soll Vorbild für Berlin sein. | |
| Mitgestaltet hat das Gesetz Kai Wargalla, Grünen-Abgeordnete in Bremen und | |
| Sprecherin für Queeres, Jugend- und Subkultur. Wargalla sagt am Telefon: | |
| „Die Evaluationen nach den ersten beiden Jahren sind sehr positiv | |
| ausgefallen. Ende vergangenen Jahres haben wir das Gesetz noch mal leicht | |
| verändert und nachgebessert. Die maximale Teilnehmerzahl bei den Partys lag | |
| bislang bei 300. Jetzt haben wir auch diese Beschränkung aufgehoben.“ | |
| ## Niedrigschwellig und kostengünstig | |
| Die Anzahl der Veranstaltungen pro Jahr war zuvor ebenfalls begrenzt – nach | |
| den positiven Erfahrungen gibt es auch diese Beschränkung nicht mehr. Hält | |
| Wargalla eine solche Regelung auch in Berlin für machbar? „Bei uns geht es | |
| ausdrücklich um kleine, nichtkommerzielle Veranstaltungen. Ein Knackpunkt | |
| könnte sein, dass es in Berlin ein größeres Interesse an kommerziellen | |
| Veranstaltungen gibt. Bremen ist halt nicht Berlin.“ | |
| Deshalb prüft man in Berlin sorgfältig, was möglich ist, denn hier soll das | |
| Gesetz am Ende ebenfalls nicht jenen zugute kommen, die Geld damit | |
| verdienen wollen. Den Ansatz in Bremen – bottom-up und nicht top-down – | |
| begrüßt man an der Spree: Ein „Berliner Modell“ soll mit den Akteuren der | |
| Subkultur gemeinsam entwickelt werden. Felix Hartmann findet | |
| Open-Air-Veranstaltungen kleiner Kollektive auch deshalb wichtig, weil sie | |
| niedrigschwellig und kostengünstig für Besucher sind. „Wenn jemand drei | |
| Kinder hat und Hartz IV bezieht, kann er es sich kaum erlauben, in einem | |
| Club feiern zu gehen. Bei einer Freiluftparty zum Selbstkostenpreis dagegen | |
| schon eher.“ Im Übrigen, so glaubt er, habe gerade das spontane Feiern das | |
| Image befördert, das die Stadt heute habe: „Zum Bild des ‚wilden‘, | |
| attraktiven Berlin tragen die kleinen, spontanen Kunst- und Kulturaktionen | |
| wie eben Open-Air-Partys sicher mehr bei als etablierte Großraumclubs, | |
| durch die am Wochenende 2.500 Leute durchgeschleust werden.“ | |
| Im Nordwesten Berlins, am Schifffahrtskanal, kommt die Party kurz vor | |
| Mitternacht langsam in Gang. Die Ersten sind besoffen, sie wanken etwas auf | |
| der Tanzfläche. Der Mitveranstalter hier sieht einer Partyneuregelung mit | |
| neugieriger Skepsis entgegen. Denn „gewisse anarchistische Züge“ trügen | |
| diese Veranstaltungen ja schon. Man müsse schon aufpassen, dass der Geist | |
| dieser Partys nicht von Auflagen geschluckt werde. | |
| Bis etwa 3.30 Uhr wird in dieser Nacht noch am Kanalufer gefeiert. Dann | |
| trifft die Polizei ein. | |
| 12 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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