# taz.de -- Hafen für Schiff mit Flüchtlingen gesperrt: Italien macht dicht | |
> 629 Menschen auf einem Schiff im Mittelmeer werden zum Spielball zwischen | |
> Italien und der EU. Für die Geretteten wird die Zeit knapp. | |
Bild: Gerettet, aber vorerst gefangen zwischen den Welten, auf dem Mittelmeer, … | |
ROM taz | Italien verweigert dem Rettungsschiff „Aquarius“ aus Bremerhaven | |
seit Sonntag die Einfahrt in einen seiner Häfen. Innenminister Matteo | |
Salvini, zugleich Chef der rechtspopulistisch-rassistischen Lega, traf | |
diese Entscheidung mit dem Argument, der nächste sichere Hafen sei Malta. | |
Die maltesische Regierung lehnte jedoch ihrerseits die Einfahrt der | |
„Aquarius“ ab, mit dem Argument, deren Rettungseinsätze seien vorher von | |
der Leitstelle der italienischen Küstenwache organisiert worden. | |
629 Menschen an Bord des von der NGO SOS Méditerranée und den Ärzten ohne | |
Grenzen betriebenen Schiffs werden so zum Spielball – vordergründig | |
zwischen Italien und Malta, im Kern aber zwischen Italien und dem Rest der | |
EU. | |
Die Flüchtlinge stammen aus 23 Nationen, von Marokko über den Sudan bis | |
nach Pakistan. Sie wurden am Wochenende gerettet, 229 direkt von der | |
Aquarius, die anderen 400 wurden auf Anweisung der Küstenwache von anderen | |
Schiffen übernommen. Pikant dabei ist, dass die Küstenwache die „Aquarius“ | |
auch zur Übernahme von Menschen aufforderte, die sich auf einem Schiff der | |
italienischen Marine befanden – am Sonntagabend aber wurde der „Aquarius“ | |
dann mitgeteilt, die italienischen Häfen seien für sie gesperrt. | |
Salvini will damit die radikale Wende in der Flüchtlingspolitik | |
durchexerzieren, an die er seinen Namen gebunden hat. Von einem echten | |
Notstand kann gegenwärtig aber nicht die Rede sein. Während im Jahr 2017 | |
vom 1. Januar bis zum 31. Mai 60.000 Flüchtlinge eintrafen, waren es im | |
gleichen Zeitraum dieses Jahrs nur noch etwa 13.000 – ein Rückgang von fast | |
80 Prozent. In seinen Aufnahmeeinrichtungen hat das Land deshalb | |
gegenwärtig noch Plätze frei. Anders als bis zum Jahr 2015 können | |
Flüchtlinge inzwischen nicht mehr weitgehend ungehindert über die Alpen | |
Richtung Frankreich, Österreich oder Deutschland ziehen. | |
Worum es Salvini geht, machte er mit einem Post deutlich, mit dem er den | |
Hashtag „Wir schließen die Häfen“ lancierte. „Im Mittelmeer gibt es Sch… | |
unter niederländischer, spanischer und britischer Flagge, deutsche und | |
spanische Nichtregierungsorganisationen, und da ist Malta, das niemanden | |
aufnimmt“, schrieb er auf Twitter. „Frankreich weist Flüchtlinge zurück, | |
Europa schert sich nicht drum. Basta. Menschenleben zu retten ist eine | |
Pflicht, nicht aber, Italien in ein enormes Flüchtlingslager zu verwandeln. | |
Italien hat aufgehört, den Kopf zu senken und zu gehorchen, jetzt gibt es | |
jemanden, DER NEIN SAGT.“ | |
## Die Nahrung reicht für maximal 48 Stunden | |
Wie er sich das mit der Hilfe für Flüchtlinge vorstellt, gab Salvini | |
ebenfalls preis: „Garantieren wir diesen Jungs in Afrika und unseren | |
Kindern in Italien ein gutes Leben“. Mit seiner Entscheidung, die | |
italienischen Häfen zu schließen, überschritt Salvini allerdings seine | |
Kompetenzen, denn eigentlich wäre dafür der Minister für Infrastruktur und | |
Verkehr zuständig, Danilo Toninelli, der zum Movimento5Stelle (M5S, | |
5-Sterne-Bewegung) gehört. Der stellte sich zwar in einer gemeinsamen | |
Erklärung mit Salvini hinter den Beschluss, doch in den Reihen der Fünf | |
Sterne ist das Unbehagen unübersehbar. | |
Dies zeigte sich angesichts einer Protestaktion der Bürgermeister von | |
Neapel, Reggio Calabria, Tarent, Messina und Palermo. Sie erklärten, ihre | |
Häfen stünden weiterhin Flüchtlingsschiffen offen. Unterstützung bekamen | |
sie von Filippo Nogarin, dem aus den Reihen des M5S stammenden | |
Bürgermeister von Livorno. Dieser ließ verlauten, er verstehe, „dass man | |
Europa ein Signal geben will, aber nicht auf Kosten von Hunderten Männern, | |
Frauen, Kindern. Wir sind bereit, im Hafen von Livorno das Schiff | |
„Aquarius“ mit seiner Last von 629 Menschenleben aufzunehmen“. | |
Auch die EU-Kommission hat Italien und Malta dazu aufgerufen, den | |
Flüchtlingen an Bord des Rettungsschiffs „Aquarius“ im Mittelmeer zu | |
helfen. „Für die Kommission zählt an erster Stelle ein humanitärer | |
Imperativ. Wir reden hier über Menschen“, sagte ein Sprecher der Behörde am | |
Montag in Brüssel. „Die Priorität sowohl der italienischen als auch der | |
maltesischen Behörden sollte sein, sicherzustellen, dass diese Menschen die | |
Hilfe erhalten, die sie brauchen.“ Alle Seiten sollten zu einer raschen | |
Lösung beitragen und dafür sorgen, dass die Menschen sicher und so schnell | |
wie möglich von Bord könnten. | |
An Bord der „Aquarius“ befinden sich unter anderem sieben Schwangere, elf | |
Kinder und 123 Minderjährige ohne Begleitung. Laut SOS Méditerranée sind | |
akute medizinische Notfälle nicht zu verzeichnen, doch viele der Passagiere | |
seien dehydriert und von der Überfahrt in den Schlauchbooten geschwächt. | |
Die meisten verbrachten die Nacht auf Deck, die Nahrung reicht für maximal | |
48 Stunden. Um für Notfälle gewappnet zu sein, denkt Italien gegenwärtig | |
jedoch keineswegs an die Rücknahme seiner Blockadeentscheidung. Stattdessen | |
hat es zwei Boote zur „Aquarius“ geschickt, die medizinische Hilfe zur | |
Verfügung stellen sollen, wenn dies notwendig werden sollte. (mit dpa) | |
11 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Italien | |
Malta | |
Flüchtlinge | |
Schwerpunkt Flucht | |
Matteo Salvini | |
Lega Nord | |
Fünf-Sterne-Bewegung | |
Europäische Union | |
Europäische Union | |
Aquarius | |
Italien | |
Aquarius | |
Italien | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Italien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Italien und die Geflüchteten: Ertrinken lassen, aber freundlich | |
Die Italiener sehen sich selbst gern als anständige Leute. Fragt sich nur, | |
warum sie sich ausgerechnet eine rechte Regierung zugelegt haben. | |
Geflüchtete auf dem Schiff „Aquarius“: Italien lässt Erschöpfte nicht an… | |
Obwohl Spanien die Geflüchteten auf der „Aquarius“ übernimmt, dürfen sie… | |
Italien nicht an Land. Ärzte warnen vor der Weiterreise. | |
Kommentar Rettungsschiff „Aquarius“: Europa verschanzt sich | |
Die EU hat Italien mit der Verantwortung für Geflüchtete alleingelassen – | |
das glauben dort nicht nur die Rechten. Deshalb ist die Geste Spaniens | |
wichtig. | |
629 Gerettete auf der „Aquarius“: Spanien nimmt Geflüchtete auf | |
Seit zwei Tagen harrt das Schiff im Mittelmeer aus, weil Italien und Malta | |
sich weigern, es anlegen zu lassen. Nun kommt Spanien zu Hilfe. | |
Nach Seenotrettung im Mittelmeer: Italien weist 629 Geflüchtete ab | |
Die neue Regierung in Rom will ein Rettungsschiff nicht an Land lassen. Sie | |
fordert Malta auf, die Menschen aufzunehmen. Aber auch Malta weigert sich. | |
Flüchtlingshilfe im Mittelmeer: Wer rettet die Retter? | |
Die libysche Küstenwache drohte Schiffen europäischer NGOs. Einige | |
Aktivisten warten jetzt verunsichert im Hafen von Valletta. | |
Der Kampf gegen Seenot und Behörden: Flüchtlingsretter sitzen vor Malta fest | |
Weil Flüchtlingsretter den wohl völkerrechtswidrigen Kodex Italiens nicht | |
unterzeichnen wollen, wird ihnen jetzt das Anlegen auf Lampedusa verboten. |