# taz.de -- Stadtentwicklung auf grüner Wiese: Utopia in Billwerder | |
> Mit dem Baugebiet Oberbillwerder wagt sich die Stadt Hamburg auf die | |
> grüne Wiese zurück. Wie dieser neue Stadtteil mal aussehen soll. | |
Bild: Verheißungsvolle Idylle Oberbillwerder: Was Planer toll finden ärgert d… | |
HAMBURG taz | Wo auf einer weiten Fläche von 120 Hektar Pferde grasen, | |
Nachtigallen singen und Getreide angebaut wird, da soll bis 2030 das nach | |
der Hafencity zweitgrößte Stadtentwicklungsprojekt von Hamburg gewachsen | |
sein. 15 Kilometer von der Innenstadt entfernt sollen zwischen der S-Bahn | |
Allermöhe und dem Billwerder Billdeich im Bezirk Bergedorf 7.000 | |
Wohneinheiten für rund 15.000 Menschen gebaut werden. Nach | |
anderthalbjähriger Planungsphase mit Bürgerbeteiligungsprozess werden nun | |
die Pläne des Siegerentwurfes mit dem Titel „The Connected City“ der | |
breiten Öffentlichkeit präsentiert. | |
## Suggerierte Lebendigkeit | |
Was sich das internationale Planerteam in Oberbillwerder vorstellt, sieht | |
auf den Animationsfotos typischerweise sehr verheißungsvoll aus. Menschen | |
aller Generationen bevölkern die autofreie Straße: Da wird ein älterer | |
Rollstuhlfahrer des Weges geschoben, ein Mädchen flitzt auf einem Roller | |
daher und ein Kanufahrer paddelt auf einem naturbelassenen Bachlauf auf ein | |
Entenpärchen zu. Das Gebäude auf der anderen Seite des Baches, das mit | |
seinem Glasdach aussieht wie ein riesiges Gewächshaus, lässt sich auf einer | |
geschwungenen Rutsche verlassen, und aus den unterschiedlich hohen Gebäuden | |
wachsen Bäume sowohl aus dem Dach als auch aus den Balkonen. | |
Diese suggerierte Lebendigkeit in abwechslungsreicher, ökologisch geprägter | |
Umgebung, das urbane Leben inmitten der Kulturlandschaft, ist das, was der | |
Senat mit seinem Sprung auf die grüne Wiese, auf den Oberbillwerder Acker, | |
am Ende umgesetzt haben möchte. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing ist sich | |
der Herausforderung dieser stadtplanerischen Ambition bewusst. „Wir | |
schlagen noch mal ein Kapitel auf, das wir eigentlich schon gelesen haben“, | |
beschreibt er die Tatsache, dass Großsiedlungen am Stadtrand als Bausünde | |
der 70er-Jahre gelten, deren vielfältige Mängel seit Jahren mit zig | |
Unterstützungsmaßnahmen kompensiert werden müssen. Auf Grund der bekannten | |
Probleme hätten sich die Stadtplaner „in dieser Dimension lange nicht mehr | |
an den Rand der Stadt herangetraut“. | |
Was nun das Planerteam aus dänischen Architekten, niederländischen | |
Landschaftsplanern und deutschen Energieingenieuren (Adept, Karres und | |
Brands, Transsolar) auf Grundlage der Bürgerbeteiligungsvorschläge | |
erarbeitet hat, erfüllt den Oberbaudirektor mit Zuversicht, diese | |
„Herkulesaufgabe“ meistern zu können. Der gekürte Plan sei „richtig | |
bestechend“, weil er sich am „Grundriss der Landschaft“ orientiere. Währ… | |
die ehemaligen Flussläufe der Bille mit ihren Mäandern dem auf dem | |
Reißbrett gezeichneten Plan etwas naturhaft Spontanes verleihen, dienen die | |
linearen Entwässerungsgräben der historischen Marschenlandschaft als | |
natürliche Einteilung der großen Baufläche in verschiedene Quartiere mit | |
unterschiedlichen Gebäudeformen. | |
Bis zu sieben Stockwerke hoch und dicht im sogenannten Bahnquartier, | |
großzügiger und niedriger im „Agriquartier“. Dass das Planerteam alle | |
öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen an dem alle | |
Quartiere verbindenden Grüngürtel angeordnet hat, ist für Höing eine gute | |
Grundlage dafür, dass die angestrebte Lebendigkeit auch wirklich erreicht | |
werden kann. Seien Schulen doch so was wie die „Kathedralen des 21. | |
Jahrhunderts“, wo die Menschen des Quartiers zusammenkommen. | |
## Hohn und Spott in den Ohren der Nachbarn | |
Außerdem sei ein großer Teil der Bruttobaufläche für Freiraum vorgesehen, | |
unter anderem für sportliche Aktivitäten. Nicht zuletzt lobt Höing die | |
Nachhaltigkeit des Entwurfes, der nicht nur Autos aus den Quartieren | |
raushält, sondern der vorsieht, dass Oberbillwerder sich selbst mit Energie | |
wird versorgen und darüber hinaus Energie wird abgeben können. Damit könne | |
man beweisen, dass bei dem Bau auf diesen weiten Wiesen und Äckern nicht | |
nur „Landschaft verbraucht“ werde. | |
Alle Hinweise darauf, wie sensibel der Entwurf mit der Landschaft umgehe, | |
klingen in den Ohren der Billwerder indes nur wie Hohn und Spott. „Es ist | |
doch die große Weite, die die Kulturlandschaft ausmacht“, sagt Rainer | |
Stubbe, der am nördlichen Rand des anvisierten Baugebietes, am Billwerder | |
Billdeich, ein Café in einem Hof betreibt, der seit mehreren Generationen | |
von seiner Familie bewirtschaftet wird. Dass der Entwurf nur die Hälfte der | |
Bruttobaufläche bebaut, ist für den diplomierten Landschaftsplaner | |
keinerlei Trost. | |
Auch Gesa Kohnke-Bruns bringt der vermeintlich schonende Umgang mit der | |
Landschaft nicht viel. „Wir verlieren ein Drittel unserer Fläche und damit | |
unsere Existenzgrundlage“, sagt die Landwirtin, die zusammen mit ihrem Mann | |
und ihren Söhnen in Oberbillwerder klassischen Ackerbau betreibt. | |
Kohnke-Bruns war auf jedem der Bürgerbeteiligungstreffen, um genau zu | |
wissen, was geplant wird, und um gegen solche Vorschläge wie Wanderwege | |
unmittelbar hinter ihrem historischen Marschhufnerhaus ihr Veto einzulegen. | |
Mit den Verantwortlichen der Stadt im regen Austausch stehend sagt sie: | |
„Die wissen genau, was sie uns antun.“ | |
Nicht nur die betroffenen Bewohner des idyllischen Marschhufendorfes | |
Billwerder sind gegen die Pläne des Senats. Die Linke kritisiert die | |
nachhaltige Beeinträchtigung der besonderen Kulturlandschaft Vier- und | |
Marschlande. Und der Vorsitzende der CDU-Fraktion Bergedorf, Sven Noetzel, | |
bezeichnet Oberbillwerder als „Fehler“. Würde sich der Senat an seine | |
eigene Maxime „Innen- vor Außenentwicklung“ halten, müsste für Wohnungsb… | |
„keine Wiese platt gemacht“ werden, um damit „7.000 auf einen Streich“ … | |
bauen. | |
Während der Oberbaudirektor hofft, dass der Masterplan zügig erstellt wird, | |
sammeln die Gegner Unterschriften gegen das Vorhaben und üben sich in der | |
Zuversicht, dass die Pläne für Oberbillwerder nicht ihre Zukunft gestalten, | |
sondern spätestens mit der nächsten Senatswahl der Vergangenheit angehören | |
werden. | |
15 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Darijana Hahn | |
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