# taz.de -- Wasser-Festival in Hamburg: Recht auf Fluss | |
> Die „Hallo Festspiele“ in Hamburg wollen herausfinden, wie sich | |
> Wasserflächen als öffentlicher Raum nutzen ließen – kreativ, aber auch | |
> kritisch. | |
Bild: Soll zum Erlebnisraum werden: die Bille im Hamburger Osten. | |
Was du in der Bille natürlich nicht machen darfst: den Boden aufwühlen. | |
Dann sterben die Fische angeblich. Es gibt so Legenden“, steht auf einem | |
Blatt Papier. Es klebt an einer Wand im alten Kraftwerk Bille im Hamburger | |
Stadtteil Hammerbrook. Ringsum hängen noch mehr Zettel, auf jedem ist ein | |
Zitat abgedruckt. Es sind Ideen, Ängste und auch Gerüchte, die sich um den | |
Stadtteil ranken und hier zu einem großen Zettel-Mosaik zusammengefügt | |
wurden. | |
So ergibt sich ein Stimmungsbild: Was wünschen sich die Menschen, die | |
entlang der Bille, dieses unscheinbaren Flusses im Hamburger Osten, wohnen | |
und arbeiten? Und was denken sie über die Kreativen, die sich vor über zwei | |
Jahren in dem alten Kraftwerksbau eingenistet haben? | |
Am Wochenende beginnt dort die vierte Auflage der [1][„Hallo Festspiele“]: | |
ein dreitägiges Kunstfestival mit Konzerten, Performances, DJ-Sets. Diesmal | |
liegt der Fokus auf dem Thema „Wasser“ – und damit auf der Frage, wie die | |
Bille zu einem Erlebnisraum für die Menschen vor Ort werden kann. Denn | |
auch, wenn der örtliche Ruderklub hin und wieder seine Bahnen auf dem Fluss | |
zieht und ein paar Kleingärten das Ufer säumen: Bislang war die Bille vor | |
allem Hintergrundkulisse für Industrie und Gewerbe. | |
## Das Potenzial erkunden | |
Um das Potenzial des Wassers zu erkunden, gingen 25 Studierende der | |
Hafencity-Universität und des Illinois Institute of Technology aus Chicago | |
vorab auf Spurensuche. Sie durchstreiften das Gelände, zeichneten auf einer | |
Karte ein, wem welche Uferflächen gehören, wo es Zugänge zum Fluss gibt und | |
wo neue entstehen könnten. Sie sammelten Stimmen im Stadtteil, so entstand | |
die Zettelwand im alten Kraftwerk. | |
Im Viertel stoßen die Kreativen nicht nur auf Zuspruch. „Klar schlagen uns | |
auch Vorbehalte entgegen«, sagt Dorothee Halbrock vom Verein „Mit | |
freundlichen Grüßen von“, der die „Hallo Festspiele“ organisiert und au… | |
die Schaltzentrale betreibt, „ein experimentelles Stadtteilbüro“ in dem | |
[2][ansonsten leer stehenden Kraftwerk]. „Da heißt es dann etwa: ‚Wir | |
wollen aber keine zweite Elbphilharmonie‘“, sagt Halbrock mit ernstem Blick | |
– sie nimmt die Angst ernst: vor einer möglichen Aufwertung des Viertels, | |
vor steigenden Mieten und Verdrängung. | |
## Kreative mit Doppelrolle | |
Schließlich nehmen die Kreativen hier eine schwierige Doppelrolle ein: Sie | |
verändern das Viertel, in dem sie dem halb verfallenen Backsteinbau neue | |
Bedeutung verleihen, Raum schaffen für Kultur und Begegnung. So etwas gab | |
es in Hammerbrook lange nicht mehr. Doch zugleich wollen sie kritisch | |
beobachten, wie sich die Umgebung in den nächsten Jahren verändert. | |
Denn der Wandel wird kommen, so oder so: Mit dem Senatsprogramm | |
„Stromaufwärts an Elbe und Bille“ sollen bis zu 20.000 Wohnungen entstehen, | |
100 Millionen Euro lässt die Stadt in die Entwicklung des Hamburger Ostens | |
fließen. Somit sind die Macher*innen der „Hallo Festspiele“ irgendwie | |
beides: Akteur*innen der Stadtentwicklung, ebenjene „jungen Kreativen“, die | |
ein Viertel erst spannend machen. Und sie sind Ansprechpartner*innen der | |
Menschen vor Ort, Anknüpfungspunkt für eine kritische Stadtteilkultur. | |
Doch zurück zum Wasser. Wie sich die Bille für eine kulturelle Bespielung | |
nutzen ließe, zeigt sich schon jetzt hinter dem Kraftwerk: Vorbei an | |
verwitterten Backsteinmauern und Brombeersträuchern kommt man zum Ufer der | |
Bille, die ruhig in der Sonne schimmert. Rechts eine S-Bahn-Brücke, | |
gegenüber ein paar Sandberge und Betonmischanlagen. Auf dem Wasser schwimmt | |
ein provisorischer Anleger, zusammengeschweißt aus alten Containern. | |
## Sprung ins kalte Wasser | |
Über eine schmale Treppe geht es auf eine schwimmende Plattform hinab. Man | |
könnte nun direkt ins kalte Wasser springen, denn „natürlich kann man in | |
der Bille schwimmen“, wie Halbrock erklärt, auch wenn man den | |
schadstoffbelasteten Schlick „besser nicht aufwirbeln“ solle. Oder man | |
steigt ins Innere der Containerkonstruktion, die wie eine kleine Bar | |
aussieht, mit bunten Stühlen und einem zusammengezimmerten Tresen. | |
Dieser Ponton wird das Zentrum der Festspiele sein. Ein Wassertaxi soll | |
Festivalgäste vom S-Bahnhof Hammerbrook zum Anleger bringen, wer möchte, | |
kann selbst mit Ruderboot oder Kajak anreisen und die Gegend erforschen. | |
Die Theatergruppe Cobratheater.cobra bietet Bootsfahrten an, die | |
„Rudervereinigung Bille“ eine Nachtfahrt mit beleuchteten Kanus, Kajaks und | |
Ruderbooten. Und das französische Architekturkollektiv Yes We Camp | |
präsentiert selbst gebaute Boote und schwimmende Installationen. | |
Auch in der Theorie wird sich dem Element Wasser angenähert: Adnan Softić | |
stellt seine Installation „BibbyChallenge“ über die [3][auf der Elbe | |
schwimmende Wohnunterkunft] vor, die in den 1990er-Jahren Geflüchtete | |
beherbergte. Gespräche zwischen Stadtethnolog*innen und Philosoph*innen | |
stehen ebenso auf dem Programm wie Diskussionsrunden mit Kulturschaffenden | |
und Stadtplaner*innen. | |
## Wem gehört das Wasser? | |
Über allem schwebt die Frage: Wem gehört der öffentliche Raum, sowohl an | |
Land wie auf dem Wasser? Dorothee Halbrock findet, dass die Stadt das | |
Potenzial ihrer Gewässer verkennt. Noch. „Viele Hamburger haben gar kein | |
Bewusstsein dafür, dass die Wasserflächen per Gesetz schon öffentlich sind, | |
man also einen Recht darauf hätte, diese auch aktiv zu nutzen“, sagt sie. | |
„Und zwar auf kreative Weise, nicht unbedingt so, wie ein Touristenführer | |
vorgibt.“ | |
Mit den „Hallo Festspielen“ wollen die Kreativen nun also zeigen, wie es | |
möglich ist, den Raum auch langfristig für die Öffentlichkeit zu öffnen. | |
Und die Chance, dass die ein oder andere Idee langfristig umgesetzt wird, | |
stehe gut, glaubt Hallbrock. Der Kontakt zur Stadt sei mit den Jahren immer | |
enger geworden. Finanziell unterstützt wird das Kollektiv von der | |
Kulturbehörde, der Hamburgischen Kulturstiftung und der Bezirksversammlung, | |
gerade wurden die Fördergelder um ein Jahr verlängert. Seit Kurzem ist das | |
Kraftwerk Bille auch Teil des Programms „Actors of Urban Change“ der | |
Robert-Bosch-Stiftung, das eine partizipative Stadtentwicklung in Städten | |
fördern und Künstler, Verwaltung und Wirtschaft besser vernetzen will. | |
„Wir werden ernst genommen“, sagt Halbrock, aber ein Risiko, dass das | |
Kulturprojekt das Kraftwerk irgendwann verlassen müsse, bleibe bestehen. | |
Darum heiße es nun: weitermachen, Kontakte knüpfen, um Vertrauen werben, in | |
der Verwaltung wie bei Anwohnern. „Wir wollen uns einen festen Platz | |
sichern“, sagt Halbrock. | |
1 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://hallohallohallo.org/de | |
[2] http://kraftwerkbille.com/ | |
[3] /!336534/ | |
## AUTOREN | |
Annika Lasarzik | |
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