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# taz.de -- Hamburger Kulturzentrum schließt: Sendeschluss im Kraftwerk Bille
> Ein ehemaliges Kohlekraftwerk in Hamburg wird seit einigen Jahren von
> einem Kulturverein bespielt. Damit ist es jetzt vorbei. Ein
> Abschiedsbesuch.
Bild: Industrie trifft Kultur trifft Stadtteilarbeit: das Kraftwerk Bille in Ha…
Am Bullerdeich in Hammerbroock liegt der Geruch von Malzbier in der Luft.
Er kommt augenscheinlich aus einer der anliegenden Industrieanlagen. In der
Straße ist es ruhig, zwischen Abbruchunternehmen und Autohäusern scheint
die Zeit still zu stehen. Obwohl hier – gegenüber eines tristen Gedäudes
der Stadtreinigung – ein Umbruch ansteht: beim „Kraftwerk Bille“ nämlich,
einem imposanten Gebäudekomplex in klassischer Klinkerbauweise.
Wo Anfang des 20. Jahrhunderts noch mit Kohle Strom für Hamburg produziert
wurde, ist heute [1][der Kulturverein Hallo e.V.] ansässig. Ein kleiner
Rundtorbogen führt in den Innenhof, wo die „Schaltzentrale“ liegt, in der
unter anderem das „Hallo:Radio“ ansässig ist: ein Online-Radio zum
Mitmachen.
Egal ob Kochsendung, Anrufgewinnspiel oder aufgelegte Platten, hier ist
alles möglich. Auch dilettantisch dürfte es sein: „Dille an der Bille“,
sagt eine der Veranstalterinnen dazu und meint damit das Kraftwerk wie den
namensgebenden Fluss direkt nebenan. Innen wirkt das alte Gemäuer so
rustikal wie charmant. Unter der weißen Farbe sind die Backsteine zu
erkennen, es steht auch ziemlich viel Gerümpel herum.
## In den letzten Zügen
Dass es hier nach Umzug aussieht, hat einen Grund: Der Kulturverein muss
raus, verdrängt von einem Großbauprojekt. Alle Initiativen und
Rettungsversuche der vergangenen Monate [2][sind gescheitert]. Selbst sein
Interieur gibt der Verein heute gegen Spenden ab. Was mitgenommen werden
darf, zeigen auf die Einrichtungsgegenstände geklebte Punkte an. So
jedenfalls die Idee:„Ey Leute, mein Kochtopf ist weg“, ruft es gerade aus
einem der Räume.
Das frühere Café des Vereins ist schon fast leer geräumt: ein Ort der
Zusammenkunft für die bald ehemaligen Nutzer*innen. Der alte Tresen, mit
seiner massiven Glasoberfläche, klammert sich noch an diesen Ort, in dem
alles nach Erinnerungen schreit.
Tatsächlich blickt nicht nur das alte Kraftwerk, sondern auch der Verein
bereits auf eine bewegte Geschichte zurück. Seit 2015 bemüht man sich hier
in Hammerbrook, Kunst, Kultur und Stadtteilarbeit zusammenzudenken – bei
aller Spontaneität immer auch mit Blick auf langfristige Entwicklungen.
Tatsächlich hätte der Verein die Räumlichkeiten am liebsten gekauft und
dafür sogar Geld vom Bund beschafft. Am Ende war allerdings mit der
Eigentümerin, der Kraftwerk Bille Hamburg GmbH, nur ein Mietverhältnis zu
haben. Und nun eben ein Rausschmiss.
Im Gegensatz zum Café ist beim Radio im Nebenraum noch immer etwas los. Der
Raum ist klein und für seine Größe ziemlich zugestellt – aber auf irgendwie
angenehme Weise. Zwei Sofas, die sich zentral im Raum gegenüber stehen, und
ein kleiner Tisch in deren Mitte bilden ein Sitzensemble. Dahinter das
Herzstück: Ein Tresen mit Mirkos und Turntables. Rauchend legt hier jemand
Platten auf: sphärischer Sound, aber auch groovy. Eine große Tafel hängt an
der Wand, auf der mit bunter Kreide die Acts des Tages geschrieben sind.
Der Raum ist gefüllt mit kleinen Details: Neben einem alten Yamaha-Klavier
steht ein gelber Kärcher-Industriestaubsauger. An den Wänden hängen Plakate
der einzelnen „Editionen“ wie dem Weihnachtsspecial: „Holy:Radio“ mit d…
Act „Geesus“. Von einem Billboard an der Wand schaut mich ein roter
Plüsch-Elmo an. Daneben eine Spendendose in Form einer Bulldogge, die durch
eine leere Wodka Gorbatschow-Flasche ergänzt wird, in der ein verwelkter
Blumenstrauß steckt.
Egal wo man hinschaut, der Raum ist ein Sammelsurium von Fotos, kleinen
Zuschriften und Oden an das Radio. Was wie ein zusammengewürfeltes Chaos
aussieht, ist bei genauerem Hinsehen eine detailversessene Kuration. Dieser
Raum hat Charakter.
## Ein Tag, der bleiben soll
Hier verewigen sich Gäst*innen ebenso wie Mitwirkende. Die Grenzen sind
fließend, denn das Radio ist nicht nur ein Online-Musik-Stream, sondern ein
Ort der gemeinsamen Begegnung. Auch Getränke gibt es hier: Sekt, Bier und
Softdrinks gegen Spende. Mit grünem Filzstift hat wer an die Wand
geschrieben: „Dieser Tag bleibt.“ Und das klingt vor Schluss wahrscheinlich
ein bisschen anders als damals, an „diesem Tag“.
Mit dem Abriss der Schaltzentrale geht ein signifikanter Teil von dem
verloren, was der Verein geschaffen hat. Endgültig vorbei soll es darum
aber nicht sein. Ein neuer Ort soll her und werde auch längst gesucht,
erzählen [3][die Radio-Macher*innen].
Und auch wenn in der Angelegenheit noch nichts konkret ist – am Engagement
des Vereins wird es sicher nicht scheitern. Bleibt nur zu hoffen, dass sie
mit einem Ortswechsel auch die besondere Aura weitertragen und aus dem
„Tschüss“ an der Bille so noch ein „Auf Wiedersehen“ wird.
21 Jan 2023
## LINKS
[1] https://www.hallohallohallo.org/de
[2] /Projekt-im-Kraftwerk-Bille-vor-dem-Aus/!5786789
[3] https://soundcloud.com/hallo-radio
## AUTOREN
Paul Weinheimer
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kulturzentrum
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Stadtentwicklung Hamburg
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