# taz.de -- „Hallo Festspiele“ im Kraftwerk Bille: Schall und Raum | |
> Zum dritten Mal öffnet sich heute das ausgediente Kraftwerk Bille in | |
> Hamburg für die „Hallo Festspiele“. Dieses Mal geht es allein um die | |
> Akustik. | |
Bild: Protagonist statt bloß pittoreske Kulisse | |
HAMBURG taz | Die alte Kesselhalle ist leer, nur ein paar Kabel liegen | |
herum. In dem riesigen Raum, der mit seiner hohen Glasdecke wie das Innere | |
einer ziemlich ramponierten Kathedrale wirkt, senkt sich die Stimme, | |
verlangsamt sich der Schritt. Denn selbst das kleinste Geräusch hallt lange | |
nach. Und so braucht es nicht viel, um die Ruhe zu durchbrechen: Als Daniel | |
Dominguez Teruel in die Hände klatscht, schießen laute Knallschüsse kreuz | |
und quer durch die Halle. | |
Es ist dieses Spiel mit der Akustik, das die diesjährigen „[1][Hallo | |
Festspiele]“ durchzieht. Schon zum dritten Mal verwandelt ein Team aus | |
Kreativen das ausgediente Kraftwerk Bille im Hamburger Stadtteil | |
Hammerbrook in einen Kunstort. Die Industriebrache wird also wieder mit | |
Konzerten, Performances, DJ-Sets bespielt. Man wolle das „Potenzial des | |
Ortes herauskitzeln“, erklärt Dorothee Halbrock, gemeinsam mit Daniel | |
Dominguez Teruel und Sérgio Hydalgo die künstlerische Leitung. | |
Dass sich die ungenutzten Räume und Hallen in dem 7.000 Quadratmeter großen | |
Kraftwerksbau bestens für Kunst und Partys nutzen lassen, mag kaum | |
überraschen. Doch das Bauwerk ist nicht nur pittoreske Kulisse, es wird | |
selbst zum Protagonisten. Die Erkundung der alten Gemäuer wird zur Kunst, | |
der Zuschauer selbst zum Anschauungsobjekt. „Es geht darum, wie wir Räume | |
und uns selbst durchs Hören wahrnehmen“, sagt der Komponist Dominguez | |
Teruel . „Denn jeder Ort hat eine ganz eigene Akustik, die Atmosphäre | |
schafft.“ | |
Im Fokus steht also die auditive Wahrnehmung, ein Konzept, das sich kaum | |
theoretisch fassen lässt, dafür braucht es schon die sinnliche Erfahrung. | |
Und so werden die Besucher bei der Musiktheaterinstallation „Zero | |
Dezibels“, die heute Premiere feiert, auf eine Klangreise geschickt. Die | |
beginnt im Herzen des Kraftwerks, der alten Kesselhalle, ebendort, wo alle | |
Geräusche so lang und laut im Raum wabern. | |
Im schalltoten Korridor | |
Drei MusikerInnen treten auf und erzeugen immer neue Klangfarben. Die Gäste | |
wandern herum, lassen das musikalische Spiel auf sich wirken. Später geht | |
es mehrere Stockwerke hinauf, in einen Raum, in dem Dominguez Teruel einen | |
schalltoten Korridor errichten ließ – eine Art Tunnel aus Holz, der, mit | |
Schaumstoff ausgekleidet, jedes Geräusch schlucken soll. „Zero decibels“, | |
die absolute Stille, wird es aber auch dort nicht geben. „Wir hören immer | |
etwas“, erklärt Teruel. „Im reflexionsarmen Raum richtet sich unsere | |
Wahrnehmung eben auf den eigenen Körper, wir nehmen Herzschlag, Atmung und | |
unsere Organe stärker war.“ | |
Dass der Fokus beim diesjährigen Festival auf dem Hören liegt, kommt | |
allerdings nicht von ungefähr. Das Festspiel-Team nutzt die teils hohen | |
Auflagen der Behörden einfach für sich: Dass in die große Kesselhalle immer | |
nur 40 Gäste pro Aufführung reingelassen werden, ist keine rein | |
künstlerische Entscheidung. Mehr als 40 Leute dürfen gar nicht rein, | |
Brandschutz. | |
Da bleibt viel Raum für Experimente. Das zieht auch namhafte Größen aus der | |
Künstleravantgarde an. Unter den 40 KünstlerInnen ist auch die | |
US-Amerikanerin Ellen Fullman: Die international renommierte Künstlerin | |
tritt mit einem Instrument auf, an dem sie 30 Jahre lang getüftelt hat. | |
Die Klanginstallation „Long String Instrument“ besteht aus 30 Meter langen, | |
dicken Metallsaiten, die in einem leer stehenden Saal aufgespannt und von | |
Fullmann behutsam in Schwingungen versetzt werden – bis ein | |
vielschichtiger, ätherischer Sound entsteht. | |
Ähnlich experimentell geht der Hamburger Instrumentenbauer Ferdinand Försch | |
vor, den man wohl als Sounddesigner der alten Schule bezeichnen könnte. Der | |
66-Jährige baut seine Instrumente selbst – inzwischen hat er mehr als 100 | |
Klang- und Resonanzkörper entworfen. Einige werden im Kraftwerk Bille zu | |
hören sein, wenn Försch mit einem fünfköpfigen Ensemble spielt, das er | |
eigens für die „Hallo Festspiele“ ins Leben gerufen hat. | |
Eine eigenwillige Mischung aus Kunstwerk und Instrument bringt außerdem der | |
portugiesische Künstler Pedro Souza mit. Er verbindet fünf Saxofone | |
miteinander, schließt sie alle an einen Luftkompressor an und bedient die | |
Instrumente dann per Knopfdruck. | |
Kampf für die Stadtteilkultur | |
Der belgische Künstler David Helbich stellt wieder den Besucher und dessen | |
Körpererfahrung in den Mittelpunkt seiner Performance. Und wie amüsant und | |
spannend es sein kann, sich mal nur auf den eigenen Hörsinn zu verlassen, | |
führt der Komponist bei einem kleinen Rundgang durchs Kraftwerk vor: Man | |
stelle sich in einen leeren Raum, schließe die Augen und lege die Hände an | |
die Ohren. | |
Helbich gibt klare Anweisungen, lenkt die Wahrnehmung auf bestimmte Ecken | |
im Raum, auf den eigenen Körper, gibt kleine Bewegungen vor. Bis | |
schließlich ein Minimal-Techno-Beat in den Ohren wummert. Erzeugt durch die | |
eigene Wahrnehmung. Helbich will kleine Hefte mit fertigen Choreografien an | |
die Gäste verteilen, quasi die Partitur für sein Stück. | |
Mit den „Hallo Festspielen“ wird für den Erhalt des Kraftwerks und der | |
Stadtteilkultur gekämpft, das betont Halbrock immer wieder. Was den Erhalt | |
des Gebäudes angeht, sieht es gut aus: Das Kraftwerk steht unter | |
Denkmalschutz, der Eigentümer, der Immobilienentwickler MIB Coloured Fields | |
aus Leipzig, verlangt keine Miete von den Kreativen, die sich im Verein | |
„Viele Grüße von“ formiert haben. Und die Stadt ließ gerade erst neue | |
Fördergelder fließen, machte unter anderem Mittel aus dem Quartiersfonds | |
locker. | |
Doch ob die Nachbarn im kulturell unterentwickelten Stadtteil Hammerbrook | |
etwas mit den Festspielen anfangen können? Sogenannte KommunikatorInnen | |
sollen helfen, einen Zugang zur Kunst zu schaffen, sie bieten Rundgänge zu | |
den Installationen an. Es gehe darum, „Erfahrungen auszutauschen, nicht zu | |
belehren“, sagt Halbrock. Ansonsten setzen die Kreativen aufs Netzwerken, | |
seit Monaten laden sie zu „Hallöchen“, eintägigen Info- und | |
Kennenlernveranstaltungen, ein. | |
4 Oct 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.hallo-festspiele.de/ | |
## AUTOREN | |
Annika Lasarzik | |
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