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# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Die Drastik des Realen
> Der Eröffnungsfilm „Everybody Knows“ von Asghar Farhadi ist nicht gerade
> sein bestes Werk. Und Sergei Loznitsas „Donbass“ erschreckt.
Bild: Die Schauspieler aus „Donbass“ stellen sich dem Fotocall
Wie sich die Dinge dieses Jahr in Cannes geändert haben, bringt auch Neues.
So konnte die Presse am Dienstag nicht nur den Eröffnungsfilm „Everybody
Knows“ von Asghar Farhadi parallel zur abendlichen Galaveranstaltung sehen,
sondern einen Stream der Zeremonie vorab gleich mit. Der künstlerische
Leiter Thierry Frémaux hieß die Jury willkommen, stellte sie kurz vor, vom
kanadischen Regisseur Denis Villeneuve bis zur Präsidentin, der
australischen Schauspielerin Cate Blanchett.
Im Publikum saß dazu das Team von „Everybody Knows“, Farhadi zufrieden
lächelnd neben seinen Hauptdarstellern Penélope Cruz und Javier Bardem, ein
wenig Klavier tröpfelte im Hintergrund, das war es dann schon. Ansonsten
freute man sich auf den Film.
Wobei hier die Erwartungen etwas gedämpft werden müssen: „Everybody Knows�…
im Original „Todos lo saben“, in Spanien gedreht, ist nicht gerade der
stärkste Film des iranischen Regisseurs, der mit „Nader und Simin“ 2011 im
Wettbewerb der Berlinale einen Goldenen Bären bekam. „Everybody Knows“
läuft in Cannes ebenfalls im Wettbewerb. Nur erschloss sich nicht so ganz,
warum.
Die Geschichte um eine Hochzeitsfeier, die zum Entführungsdrama gerät,
kommt wie ein als Melodram erzählter Thriller daher, zum Teil inszeniert
mit Handkamera, die sich schon mal unter die tanzenden Hochzeitsgäste
mischt. Wackelig wirkt auch die Dramaturgie, die zunächst etwas behäbig die
verschiedenen Familienmitglieder vorstellt, um dann die Entführung für ein
überdeutlich scheibchenweise aufgefächertes Familiendrama zu nutzen.
Laura (Cruz) ist der Karriere ihres Mannes wegen nach Argentinien gezogen,
doch mit ihrer früheren Liebe Paco (Bardem) scheint sie bis heute einiges
zu verbinden. Paco beginnt sich stark um das Schicksal von Lauras Tochter
Irene zu sorgen, als diese entführt wird. Mehr als seiner Frau Bea gefallen
kann. Bea, gespielt von Bárbara Lennie, gehört in dieser komplizierten
Aufstellung zu den stärkeren Figuren, Cruz und Bardem wirken in ihren
emotionalen Regungen mitunter zu aufgesetzt, wie der gesamte Plot.
## Ein Filmteam rennt weg
Dann lieber einen Film, der die Realität konsequent in krasser
Überzeichnung spiegelt. Wobei in Sergei Loznitsas „Donbass“, der am
Mittwoch die Reihe „Un Certain Regard“ eröffnete, nicht ganz klar ist, ob
er nicht einfach so schwer zu ertragen ist, weil er die Realität womöglich
in ungefilterter Drastik zeigt.
Der ukrainische Regisseur erzählt in lose miteinander verbundenen Episoden
aus dem Donbass, der Region im Osten der Ukraine, in der prorussische
Separatisten gegen die ukrainische Armee Krieg führen. Man sieht
tableauartige Szenen aus dem zerhackten Leben, beherrscht von Korruption,
Demütigung der Zivilbevölkerung durch Milizen, willkürlichen Enteignungen
in den prorussisch verwalteten Gebieten – und von viel Tod.
Loznitsa rahmt die Handlung durch eine Reflexion auf seine eigenen Mittel:
Zu Beginn sieht man ein Filmteam bei der Vorbereitung von einem Dreh.
Plötzlich stürmt eine Frau mit Funkgerät herein und befiehlt allen, sofort
den Ort zu verlassen. Die Gruppe läuft, versteckt sich, wartet, dann knallt
es. Eine Explosion hat einen Autobus zerstört. Gehört das noch zum Film im
Film? Dasselbe Team ist später noch einmal zu sehen, wieder bei den
Vorbereitungen. Diesmal scheint das, was danach passiert, nicht mehr
inszeniert.
Kommen wir nun zu etwas völlig anderem. Gute Nachricht im Rechtsstreit um
Terry Gilliams „The Man Who Killed Don Quixote“: Der Film darf zum
Abschluss des Festivals gezeigt werden, wie ein Pariser Gericht am Mittwoch
entschied. Die schlechte Nachricht: Gilliam erlitt unterdessen einen
leichten Schlaganfall. Er will aber nächste Woche nach Cannes reisen.
10 May 2018
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
Sergei Loznitsa
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Sergei Loznitsa
Holocaust
Kino
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