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# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Was ist real?
> Kafkaesk und komisch: „Se Rokh“, das neue Werk des iranischen Regisseurs
> Jafar Panahi, lässt die Grenzen der Realität verschwimmen.
Bild: Die Schauspielerin Behnaz Jafari hält bei einer Pressekonferenz das Name…
Der friedlich blaue Himmel über der Côte d’Azur mag zur Standardansicht von
Cannes gehören. Sobald sich das Wetter aber einmal für Regen entschieden
hat, rufen einem kräftige Regenschauer in Erinnerung, dass die Stadt nah am
Wasser gebaut ist. Aufgetürmtes Grau und Donnergrollen wie am Sonntag
können es dann locker mit der Dramatik im Kino aufnehmen.
Doch die Dramatik auf der Leinwand muss darüber nicht verlieren. In Jafar
Panahis Wettbewerbsbeitrag „Se Rokh“ (3 Faces) etwa sieht man den
iranischen Regisseur zusammen mit der Schauspielerin Behnaz Jafari auf
einer Fahrt in den Nordwesten des Iran. Beide spielen sich im Film selbst.
Sie suchen nach einer jungen Frau (Marziyeh Rezaei), die Jafari per
Videobotschaft mitgeteilt hat, dass sie gern Schauspielerin werden will,
ihre Eltern diesen Weg jedoch verbieten würden. Am Ende der Nachricht
bindet sich das Mädchen vor laufender Handykamera einen Strick um den Hals
und begeht anscheinend Selbstmord. Unklar bleibt, wer das Video geschickt
hat.
Die Frage, was an den Ereignissen „real“ sein soll, verschwimmt in dieser
Geschichte in jeder Szene. In dem von Kurden bewohnten Gebiet – Panahi
stammt selbst aus der Region, was dadurch angedeutet wird, dass er mit den
Menschen der Region Türkisch spricht – gelten völlig andere Regeln, wie
Panahi und Jafari als Gäste unter den Dorfbewohnern lernen. Und die meisten
Reaktionen der Ortsansässigen auf die Versuche der beiden, etwas über die
Absenderin herauszufinden, lassen die Handlung zunehmend kafkaesk
erscheinen. Was zu wunderbarer Situationskomik führt, ohne sich auf
Albernheiten zurückzuziehen.
Seine eigene Rolle als zensierter Filmemacher spiegelt Panahi dabei über
die zwei Protagonistinnen: Während die eine fürchten muss, von der Familie
verstoßen zu werden, wenn sie Schauspiel macht, bewundern die Dorfbewohner
den Star Jafari, deren Serien sie parallel zum Geschehen im Fernsehen
verfolgen. Und wie in „Taxi“ von 2015 spielt wieder ein Auto eine wichtige
Rolle als Drehort und Schutzraum. Mit wenigen Strichen und virtuoser
Verwirrung hat Panahi damit den bisher stärksten Film des Wettbewerbs
abgeliefert.
## Panahis Anwesenheit in Cannes bleibt unwahrscheinlich
Der Regisseur, der seit 2010 zu Hausarrest verurteilt und mit einem
Berufsverbot belegt ist, hat von verschiedener Seite Unterstützung
erhalten, um eventuell doch zum Festival anreisen zu dürfen. So wandte sich
der künstlerische Leiter Thierry Frémaux sogar an die französische
Regierung, damit diese darauf hinwirkt, dass Panahi in Cannes anwesend sein
darf. Und Panahis Kollege Farhadi hatte die Pressekonferenz zu seinem
Eröffnungsfilm „Everybody Knows“ genutzt, um – an die Adresse des Iran
gerichtet – die Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, dass Panahi kommen kann.
Bisher wurde diesem Wunsch nicht entsprochen. Es wäre eine Überraschung,
sollte sich dies wider Erwarten ändern.
14 May 2018
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
Jafar Panahi
Mohammad Rasoulof
Iranisches Kino
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Jean-Luc Godard
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