# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Liebe im Krieg und in der Unterwelt | |
> Es geht erfrischend weiter. Mit Filmen über gescheiterte Liebe aus Polen | |
> und China. Godard verstört das Publikum mit Bildern über den IS. | |
Bild: Protest auf dem roten Teppich: Jurypräsidentin Cate Blanchett (4.v.r.) m… | |
Interessant, wie unterschiedlich die Urteile zu ein und demselben Film doch | |
immer wieder ausfallen können. Zwar gibt es bei drei Kritikern nicht | |
zwangsläufig drei völlig abweichende Ansichten, doch die Leidenschaften | |
verteilen sich doch oft sehr individuell. Was das Streiten darum dann umso | |
reizvoller macht. | |
Die besseren [1][Filme im Wettbewerb] sind dabei bisher die stilleren und | |
eher östlicher Herkunft. Am Freitag konnte man das gleich zweimal erleben. | |
Der Pole Paweł Pawlikowski zunächst verdichtete in seinem Schwarz-Weiß-Film | |
„Cold War“ eine äußerlich unspektakuläre Geschichte über eine Liebe in | |
Zeiten des Kalten Kriegs, die durch die Flucht des Mannes, eines Musikers, | |
in den Westen zu einer Reflexion über Exil und exilierte Kunst gerät. | |
Wiktor (Tomasz Kot) arbeitet kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Lehrer in | |
einer polnischen Musikschule, die gegründet wurde, um die bäuerlichen | |
Folklore-Traditionen wie Lieder und Tänze zu bewahren. Er und die Schülerin | |
Zula (Joanna Kulig), begabt, von ungehemmtem Temperament und mit sehr | |
eigenen Ansichten, verlieben sich ineinander. | |
Als die Partei nach einiger Zeit findet, dass man das Repertoire der Schule | |
um Loblieder auf Stalin erweitern sollte, nutzt Wiktor die erste | |
Gelegenheit, um in den Westen zu fliehen. Zula, die er in seinen Plan | |
einweiht, bleibt in Polen. | |
## Kunst vor dem sozialistischen Realismus retten | |
Wie Pawlikowski in gemäldeartig eingefassten Einstellungen die nicht enden | |
könnende Geschichte des Paars, das nicht mehr zueinander findet, erzählt, | |
ist weniger ein Drama um unerfüllte Liebe als ein Schildern des Versuchs, | |
eine Kunstform zunächst vor dem sozialistischen Realismus zu retten und als | |
die eigene zu bewahren. In der Fremde jedoch kommt sie mehr und mehr | |
abhanden. | |
Der chinesische Regisseur Jia Zhangke hingegen nutzt seinen Gangsterfilm | |
„Ash Is Purest White“ für die überraschungsreich erzählte Liebesgeschich… | |
eines Paars in der Unterwelt, das ebenfalls nicht zusammen sein kann, aber | |
auch nicht voneinander loskommt. Jia Zhangke baut zunächst die für Stoffe | |
aus der Welt des Verbrechens übliche Spannung auf, lässt immer wieder eine | |
symbolische Pistole im Bild auftauchen, doch nachdem sie abgefeuert wurde, | |
wird alles ganz anders, als man gedacht hätte. | |
Man meint plötzlich in einem anderen Film zu sitzen, was irritiert, aber | |
ebenso belohnt wird. Genauso bemerkenswert der beiläufig vorgeführte Wandel | |
in China, dessen rasendes Tempo man am Ort der Handlung nachvollziehen | |
kann. Wo erst verfallene Altbauten stehen, ist der Boden wenig später mit | |
Glas-Stahl-Türmen versiegelt. | |
Jean-Luc Godards jüngste Arbeit, „Le livre d’image“, nimmt als Essayfilm… | |
Wettbewerb allemal eine Sonderstellung ein. Szenen quer durch die | |
Filmgeschichte wechseln sich mit Dokumentarbildern vor allem des IS und | |
abgefilmter Schrift ab. Dazu viel gesprochener Text, oft von mehreren | |
Stimmen auf einmal, Godards eigene inklusive. | |
## Cate Blanchett erinnert an Diskriminierung von Frauen | |
Der Filmemacher will es einem ums Verrecken nicht leicht machen mit dieser | |
Reflexion über das Bild und die Lage der conditio humana, die sehr | |
einladend mit dem Gedanken beginnt, dass Denken stets eine Sache der Hände | |
ist. Irgendwann, im Abschnitt „Fröhliches Arabien“, konzentriert sich der | |
rabiat montierte Bilderfluss mit mal verblichenen, mal überkräftigen Farben | |
auf das Unverständnis des „Westens“ gegenüber der arabischen Welt. Dazu | |
schichtet Godard gern eine Polyphonie von Stimmen auf, die manchmal | |
einnehmend, oft überfordernd, aber allemal anregend ist. | |
Und der Glamour? Am Samstagnachmittag demonstrierte die Jurypräsidentin | |
Cate Blanchett mit den in Cannes vertretenen Schauspielerinnen und | |
Filmemacherinnen mit einem Frauenmarsch auf dem roten Teppich, um daran zu | |
erinnern, dass seit Gründung der Filmfestspiele 1942 gerade einmal 82 | |
Regisseurinnen die Treppen des Palasts erklommen haben. | |
Die Zahl der männlichen Kollegen hingegen belief sich auf 1.866. | |
13 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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