# taz.de -- Regisseur Farhadi über Moral und Politik: "Zeige nur einen Teil de… | |
> Der iranischen Revolution ging es erst um die Gerechtigkeit, dann um die | |
> Freiheit, sagt Asghar Farhadi. Sein Film "Nader und Simin - Eine | |
> Trennung" ist ein großer Erfolg im Iran. | |
Bild: Nach der Trennung: Nader (Peyman Moadi) und, hinterm Riffelglas, Simin (L… | |
Beim Gespräch mit Asghar Farhadi in einem Berliner Hotel wird schnell klar, | |
dass dies ein "politisches" Interview ist. Und zwar gerade deswegen, weil | |
der Regisseur die politischen Lesarten seines Films vergleichsweise diskret | |
behandelt - er kann sich ganz auf die unabweisbare Stärke eines Werks | |
verlassen. | |
taz: Herr Farhadi, in der ersten Szene Ihres Films sitzen Nader und Simin - | |
die Eheleute, von deren Trennung Sie erzählen - vor einem Richter. Die Frau | |
möchte den Iran verlassen, aufgrund der "Umstände", sagt sie. Welche | |
"Umstände" sind da konkret gemeint? | |
Asghar Farhadi: Der Film ist im Grunde die Antwort auf diese Frage. Das ist | |
auch nicht leicht in Worte zu fassen, das muss man erfahren und spüren, da | |
muss man auf die Details achten. | |
Unwillkürlich denkt man bei den "Umständen" an 2009, an die Niederschlagung | |
der Demokratiebewegung, und fragt sich, ob auch das damit gemeint sein | |
könnte. | |
Wenn wir den Film nur auf eine machtpolitische Sichtweise bringen würden, | |
dann würden wir die Hauptproblematik zu sehr begrenzen. | |
Offensichtlich geht es um die konkrete Erfahrung von politischen Umständen. | |
Die Tochter von Nader und Simin liest in einem Schulbuch, dass die | |
Gesellschaft "unter den Sassaniden", also schon in der Frühzeit des Islam, | |
begann, ungerecht zu werden. | |
Das stimmt, wenn man das aus einer sozialkritischen Perspektive betrachtet. | |
Aber wie gesagt, es gibt viele Sichtweisen, die zur Geltung kommen. Jemand, | |
der zum Beispiel in Brasilien lebt, wird eher die moralischen Probleme | |
interessant finden. Aus philosophischer Sicht gibt es andere Probleme. | |
Woraus entwickelt sich ein Drehbuch wie dieses? | |
Ich gehe beim Schreiben so vor, dass ich zuerst einmal eine Geschichte | |
suche. Ich bin nicht jemand, der sich ein Thema stellt, sondern die | |
Geschichte muss das beinhalten, was mich daran thematisch interessiert - | |
ich streiche Dinge heraus, aber im Zentrum sollte ein komplexer Sachverhalt | |
stehen. Ich zeige auch immer nur einen Teil der Wirklichkeit, daraus | |
entstehen die Konflikte, weil es eben für niemand von uns den Überblick | |
gibt. | |
Nader, die männliche Hauptfigur, zeigt eine Menge von dieser Komplexität - | |
er beharrt auf Recht und Fairness. Auch dann noch, als es vielleicht besser | |
wäre, pragmatischer zu sein und in einem Streit einzulenken, ja vielleicht | |
sogar der schwächeren Partei ein Stück entgegenzukommen. | |
Das Wichtigste bei Nader war für mich, dass er eine moralische Person ist, | |
ein Mann mit Prinzipien. Er hat herausgefunden, welche Moral wichtig ist. | |
Und darauf beharrt er nun auch. Das ambivalente Verhalten liegt nicht an | |
seiner Person, er ist wahrscheinlich persönlich sehr sympathisch. Eher sind | |
es die Situationen, die ihn dazu bringen, aufgebracht zu sein. | |
In der deutschen Literatur gibt es mit der Figur des Michael Kohlhaas einen | |
Archetyp für ein Beharren auf Recht, das destruktiv werden kann. Gibt es | |
eine solche Figur auch in der iranischen Tradition? | |
Mir fällt dazu keine ein. Wir haben es in der Regel mit Helden zu tun, die | |
eine bestimmte Aufgabe erledigen müssen. | |
Gelegentlich wird Ihren Filmen zugeschrieben, das war schon bei "Elly" so, | |
dass Sie endlich die iranische Mittelklasse ins Bild bringen, während Jafar | |
Panahi, Abbas Kiarostami oder Mohsen Makhmalbaf eher einfache Leute und | |
öffentliche Orte filmen. Sie drehen in privaten Räumen. | |
Ich weiß nicht, ob ich einen anderen Ansatz habe als die genannten | |
Kollegen. Das Wichtigste ist, wie gesagt, die Geschichte. Vielleicht kommt | |
das daher, dass ich Theater studiert habe. Da habe ich gelernt, in das | |
Innere des Menschen hineinzusehen und das öffentlich zu machen, was die | |
Leute in Wahrheit beschäftigt. | |
Der Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Raum erweist sich auch | |
als gar nicht so entscheidend: In der Wohnung von Nader ist schließlich die | |
ganze iranische Gesellschaft versammelt. | |
Genau darum ging es: Um ein reflektiertes Bild meinerseits von der | |
iranischen Gesellschaft von heute. | |
Wichtige Szenen spielen vor Beamten des Justizapparats. Das betont noch | |
einmal, dass es ständig um die Spannung zwischen Recht und Gerechtigkeit | |
geht. | |
Es gab für diese Szenen zwei Gründe. Erstens hat die Geschichte dies | |
erfordert. Und zweitens bewegt nicht nur mich, sondern auch die Figuren die | |
Frage: Ist die Gerechtigkeit so verteilt, wie sie sein sollte? Ich frage | |
aber darüber hinaus nach den Allgemeinbegriffen. Was ist Recht, was ist | |
Unrecht? Welche Kriterien haben wir, um das darzulegen? Soziale, | |
politische, juristische Kriterien. | |
An einer Stelle kommt auch Blutgeld ins Spiel, ein Element der | |
Rechtsprechung, das im Westen als archaisch erscheinen mag, weil es ja | |
zwischen den Betroffenen ausgehandelt wird, also die öffentlichen | |
Institutionen umgeht oder zumindest ergänzt. | |
Das Blutgeld spielt immer noch eine sehr wichtige Rolle in der iranischen | |
Rechtsprechung. Die Gesetzgeber haben schon öfter versucht, es steuernd | |
einzusetzen. So muss zum Beispiel für die Hinrichtung eines Mörders von der | |
Familie des Mordopfers Blutgeld bezahlt werden. Man versprach sich davon | |
eine Reduzierung der Todesstrafen, dieser Effekt trat aber nicht ein. | |
Bei einem Film, der so intensiv von Gerechtigkeit handelt wie "Nader und | |
Simin", denkt man auch an die Revolution von 1979 im Iran, die ja | |
gerechtere Zustände schaffen sollte. Wie haben Sie dieses Ereignis erlebt? | |
Ich war damals ein kleines Kind, aber ich habe mir immer Gedanken gemacht, | |
wie und warum die Revolution zustandegekommen ist. Ich denke, es war | |
tatsächlich in erster Linie Gerechtigkeit und erst danach Freiheit, wofür | |
die Revolution gekämpft hat. Je mehr ich allerdings nachdenke, desto klarer | |
wird mir, dass die Grundvoraussetzung einer gerechten Gesellschaft nur die | |
Freiheit sein kann. | |
Die Revolution wurde ja sehr bald von einem klerikalen Flügel, der heute | |
noch wesentliche Teile des Machtapparats im Iran ausmacht, mehr oder | |
weniger gekapert. Haben wir es mit einer unvollendeten Revolution zu tun? | |
Es hat den Anschein, dass die eigentlichen Ziele der Revolution noch nicht | |
erreicht worden sind. | |
Zum Praktischen: "Nader und Simin" wurde offiziell gedreht, also nicht im | |
Untergrund. Wie war das möglich? | |
Man braucht im Iran immer eine Drehgenehmigung. Es gibt zwei Möglichkeiten, | |
eine solche zu bekommen: Man reicht ein ganzes Drehbuch ein oder nur ein | |
Abstract. Ich habe nur dieses letztere Dokument eingereicht. Es wurde ohne | |
Auflagen genehmigt, und auch der fertige Film wurde nicht beanstandet. Er | |
läuft inzwischen im Iran schon seit vielen Wochen im Kino und ist ein | |
enormer Erfolg. Iranische Zuschauer können sich offensichtlich mit dem, was | |
ich zeige, ganz eng identifizieren. | |
Das führt zu einer schwierigen Frage: Warum ist das Werk von Jafar Panahi, | |
über den ein Berufsverbot verhängt wurde, ein Problem für die Zensur, und | |
dieser Film hier nicht? Ich sehe beide auf einer sehr ähnlichen Ebene. | |
Das muss man die Leute fragen, die diese Unterschiede sehen. Leute, die im | |
Zensurbereich tätig sind, wechseln auch in ihren Zuständigkeiten. Und | |
manchmal kommt es darauf an, ob ein bestimmter Mensch gut geschlafen hat | |
oder nicht. Es sind banale Dinge. | |
Wie stehen Sie persönlich zu Panahi? | |
Wir sind sehr gut befreundet. Manchmal treffen wir uns im Theater, im Kino | |
oder auf der Straße. Er wartet im Moment ab, wie die nächsten | |
Entscheidungen in seiner Sache ausfallen. | |
14 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Bert Rebhandl | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
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