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# taz.de -- Zum Abschluss der Filmfestspiele in Cannes: Die Omnipräsenz von La…
> Zu Recht wurde Terrence Malicks Delirium der ersten und der letzten
> Dinge, "The Tree of Life", die Goldene Palme verliehen. Ein nicht immer
> überzeugender Wettbewerb.
Bild: Brad Pitt als 50er-Jahre-Vater in "The Tree of Life".
Terrence Malick scheut den öffentlichen Auftritt. Noch im Augenblick des
größten Triumphs hält sich der 67 Jahre alte Regisseur im Hintergrund. Als
sein Film "The Tree of Life" am Sonntagabend in Cannes mit der Goldenen
Palme ausgezeichnet wurde, kamen an seiner Statt die Produzenten Bill
Pohlad und Dede Gardner auf die Bühne des Grand Théâtre Lumière, wo ihnen
Jane Fonda den Preis überreichte.
Dass sich die Jury unter Vorsitz von Robert De Niro für Malicks "The Tree
of Life" entschied, lag umso näher, als dieser Film aus dem diesjährigen,
nicht immer überzeugenden Wettbewerbsprogramm weit herausragte. Der
Regisseur verknüpft darin die Geschichte einer weißen Durchschnittsfamilie
im Texas der 50er Jahre mit der Erschaffung der Welt; das Ergebnis ist eine
rahmensprengende Reverie, ein Delirium der ersten und der letzten Dinge und
zugleich ein Grundkurs in Sachen Psychoanalyse.
## Die Entstehung der Welt
Recht früh im Film lässt sich eine fast 20-minütige Sequenz bestaunen, die
die Entstehung der Welt nachempfindet. Es ist ein großes Pulsieren, Wabern,
Blubbern, Fließen und Strömen. All die stellaren Nebel, all die
explodierenden Gestirne, all die Magmamassen und Wasserstrudel haben dabei
einen doppelten Charakter. Denn ob sich die Kamera durch die Weiten des
Alls bewegt oder durch das Innere einer Gebärmutter, ist nicht in jeder
Einstellung mit Sicherheit zu sagen. Die kosmische Ursuppe und das
Fruchtwasser fließen zu einer Leinwandversion des ozeanischen Gefühls
zusammen. Das Embryonalstadium der Welt setzt Malick mit dem
Embryonalstadium des Protagonisten in eins, getreu der These, dass sich in
der Entstehung eines jeden individuellen Menschenlebens die Erschaffung der
Art noch einmal vollzieht.
Die spektakuläre Sequenz endet entsprechend mit der Geburt des
Protagonisten Jack OBrien, an dessen Perspektive sich der Film im Folgenden
anschmiegt. Licht- und glücksdurchflutet sind die Bilder des ersten Teils,
in dem die Liebe der von Jessica Chastain gespielten Mutter die Strenge des
von Brad Pitt gespielten Vaters überdeckt. Je mehr Raum diese Vaterfigur
einnimmt, desto weniger Licht und Glück pulsieren durch den Film. In seinen
theoretischen Prämissen hat "The Tree of Life" etwas entschieden Gestriges.
Trotz dieser Gegenwartsferne war es der Film, der im Laufe des Festivals
wuchs, wieder und wieder in die eigenen Gedanken und in die Gespräche mit
anderen zurückfloss und all die anderen Filme überstand, die auf ihn
folgten.
Das heißt nicht, dass es in diesem Jahr in Cannes an guten Filmen gemangelt
hätte. Aki Kaurismäkis "Le Havre" etwa war ein schönes Beispiel für den
lakonischen Humanismus des finnischen Regisseurs. Bernard Bonellos
"LApollonide - Souvernirs de la maison close" erzählte sehr bewegend vom
Niedergang eines Bordells im Fin-de-siècle-Paris, und Nicolas Winding Refns
Actionfilm "Drive" war ein tolles guilty pleasure. Zwei neue Filme aus
Iran, Mohammad Rasoulofs "Bé omid é didar" (Auf Wiedersehen) und "In film
nist" (Dies ist kein Film) von Jafar Panahi und Mojtaba Mirtahmasb,
überzeugten durch ihren Mut, ihre List und ihre Unbeugsamkeit.
## USB-Stick im Kuchen nach Frankreich geschmuggelt
"In film nist" wurde auf einem USB-Stick, der wiederum in einen Kuchen
eingelassen war, nach Frankreich geschmuggelt. Das erzählte Serge Toubiana,
der Direktor der Cinémathèque française, auf einer kurzfristig einberufenen
Pressekonferenz am Freitagnachmittag. Neben ihm saß Mojtaba Mirtahmasb, der
Koregisseur von "In film nist", Panahi hatte sich via Skype zugeschaltet,
sodass er zu Hause in Teheran sehen und hören konnte, was die Journalisten
an der Croisette wissen wollten.
Die Neuerungen der Kommunikationstechnologie helfen also, die Repressalien
des iranischen Regimes zu umgehen; und es nimmt nicht wunder, dass diese
neuen Technologien auch im Film eine große Rolle spielen. Laptop und iPhone
sind omnipräsent. Je kleiner die Apparate werden, mit denen man filmen
kann, desto absurder erscheint das über Panahi verhängte Verbot, zu filmen.
Zugleich wurde bei der Pressekonferenz anschaulich, wie viel Vorsicht
geboten ist. Serge Toubiana betonte mehrmals, dass das Festival mit der
Einladung der beiden Filme keine politischen Absichten verfolge. "Wir
wollen keine Revolution machen oder eine Regierung stürzen", sagte er, "wir
verteidigen die Freiheit des Kinos." Als eine Journalistin fragte, ob es
für Mirtahmasb nicht besser sei, in Frankreich zu bleiben, trommelten
Toubianas Finger ungeduldig auf dem Tisch. Ganz offensichtlich handelte es
sich um eine unvorsichtige Frage, aus der sich Mirahmasb mit großem
Geschick herauswinden musste, indem er betonte, wie verbunden er sich
seinem Land fühle.
## Die Willkür des Skandals
Wurde hier um jedes Wort gerungen, kannte ein anderer Regisseur kein
Halten: Lars von Trier redete sich bei der Pressekonferenz zu seinem
Wettbewerbsbeitrag "Melancholia" in den größten Unfug seiner an dummen
Sätzen reichen Laufbahn hinein. Seine Auslassungen über Hitler, Juden,
Israel und Albert Speer mündeten in den Satz: "Okay, ich bin ein Nazi." Das
Festival reagierte darauf zunächst angemessen kühl und entschieden, indem
es sich die Entgleisung verbat und den Regisseur dazu aufforderte, sich zu
entschuldigen, was von Trier auch tat. Einen Tag später erklärte es den
Dänen dann doch zur Persona non grata - ein Präzedenzfall, der dazu führte,
dass der Affäre jede Verhältnismäßigkeit verloren ging.
Und das umso mehr, als man sich am Tag nach der Verbannung von Triers einen
Wettbewerbsbeitrag anschauen musste, der die Trivialisierung des Holocaust
weit vorantrieb. In Paolo Sorrentinos "There Must Be a Place" sind, als
kleiner Schockeffekt für zwischendurch, Bilder von nackten, ausgezehrten
KZ-Insassen und von Leichenbergen zu sehen; am Ende wird ein uralter
KZ-Wärter dazu gezwungen, sich nackt auszuziehen und in eine verschneite
Landschaft hinauszutreten. Die Aufnahmen von dem frierenden alten Mann
erinnern fatal an die zuvor gezeigten Bilder. Sorrentinos filmische
Taktlosigkeiten wogen mindestens genauso schwer wie der Verbalausfall von
Lars von Trier; sie freilich blieben vollkommen unbeanstandet. Worüber sich
die Öffentlichkeit erregt, was Skandal macht, ist offensichtlich
willkürlich und reflexhaft.
Großen Grund zur Freude hat dagegen Andreas Dresen: Sein Film "Halt auf
freier Strecke" wurde in der Nebenreihe "Un certain regard" gezeigt und
gewann, gemeinsam mit "Arirang" von Kim Ki-duk, den Hauptpreis. Einprägsam
ist die Eröffnungssequenz: Ein Mann und eine Frau, beide Mitte 40, sitzen
in einem Sprechzimmer. Gefilmt sind sie in einer nahen Einstellung, hinter
ihnen steht ein Bücherregal mit medizinischen Nachschlagewerken, der
Gegenschuss auf den Arzt, der ihnen gegenübersitzt, bleibt lange Zeit aus,
das heißt: Man hört den Mediziner, ohne ihn zu sehen. Nüchtern
diagnostiziert er einen Gehirntumor in fortgeschrittenem Stadium. Frank
(Milan Peschel), der Patient, guckt versteinert, Simone (Steffi Kühnert)
stehen Tränen in den Augen. Das Telefon klingelt, der Arzt geht ran, redet
lange und lässt dabei das Paar allein mit sich. Als er schließlich zu
telefonieren aufhört, redet er weiter, immer noch aus dem Off, seine
Sachlichkeit steht in frappierendem Gegensatz zur Schwere der Diagnose: Der
Tumor ist nicht mehr operierbar, wenn Frank Glück hat, bleiben ihm drei
Monate.
Auch in "Halt auf freier Strecke" spielt das iPhone eine große Rolle, es
ist Frank ein Gegenüber in dunklen Momenten. Er filmt sich und seine
Umgebung, und er vertraut dem Gerät die Dinge an, die er seiner Frau und
seinen Kindern nicht zumuten möchte. In einer Szene nutzt er eine der
Applikationen, die aufnehmen, was man ins Mikro spricht, und es dann mit
lustig verzerrter Stimme wiedergeben. Frank sagt: "Ich habe einen
Gehirntumor." Das iPhone wiederholt den Satz quietschvergnügt.
23 May 2011
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Lars von Trier
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