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# taz.de -- Kolumne Cannes Cannes: Schlechte gute Skandale
> Das Ausreiseverbot für Mohammad Rasoulof wurde aufgehoben. Sein Film "Bé
> omid é didar" behandelt genau diesen konfliktreichen Wunsch: auszureisen.
Bild: Weiß zu provoziereren: Lars von Trier.
Lars von Trier, der bei seinen Auftritten in Cannes Frivolitäten von sich
gibt, ist nichts Neues. Bisher führte das zu einer Situation, von der viele
profitierten. Der Regisseur, weil er sich sich unabhängig von der Qualität
seiner Filme im Gespräch hielt; die Medien, weil sie etwas zu berichten
hatten, was nicht nur Cinephile interessierte; das Festival, weil es die
kleinen Skandale gut gebrauchen konnte, warfen sie doch eine Menge
Aufmerksamkeitskapital ab.
Doch diesmal ging das Kalkül nicht auf. Von Trier wagte sich auf ein Feld
des öffentlichen Diskurses vor, auf dem Geschmacklosigkeiten reflexhaft
abgewehrt werden. Er machte seine Witze nicht nur über die Genitalien
seiner Schauspielerinnen; er gerierte sich zudem als Plapper-Nazi. Und in
diesem Augenblick spielte keine Rolle mehr, dass nichts von dem, was er
sagte, ernst gemeint war.
In einer seltsam mittelalterlichen Maßnahme verhängte das Festival einen
Bann über von Trier - worüber der wiederum sich freut, denn nun bekommt er
die Aufmerksamkeit, nach der er sich sehnt. Mehr Gelassenheit wäre schön
gewesen. Sie hätte weder Verharmlosung noch Sympathie für den verwirrten
Mann aus Kopenhagen bedeutet, sondern verhindert, dass die Maßstäbe so
durcheinandergeraten, wie sie es jetzt sind.
Der hässliche Nebeneffekt der Affäre: Es geraten die Filme, die in Cannes
gezeigt werden, aus dem Blick. Gegen diesen Effekt sei an dieser Stelle die
Rede von zwei bemerkenswerten Arbeiten aus dem Iran: "In film nist", einem
Tagebuchfilm von Jafar Panahi und Mojtaba Mirtahmasb, sowie von Mohammad
Rasoulofs Spielfilm "Bé omid é didar". Sowohl Panahi als auch Rasoulof
wurden im Dezember zu 6 Jahren Haft und zu 20 Jahren Berufsverbot
verurteilt. Das Urteil freilich ist noch nicht bestätigt, beide sind auf
freiem Fuß, und eine gute Nachricht gibt es: Das Ausreiseverbot für
Rasoulof wurde vor wenigen Tagen aufgehoben.
## "Dies ist kein Film"
"In film nist" heißt übersetzt "Dies ist kein Film". Eine List, denn ein
Film, der keiner ist, kann vielleicht gar nicht verboten werden. Gedreht
wurde er mit Ausnahme der letzten Sequenz in Panahis Teheraner Wohnung. Man
sieht den Regisseur am Frühstückstisch, beim Fernsehen, auf dem Sofa, wo
das Haustier, ein Leguan, auf ihm herumklettert, man sieht ihn am Laptop
und beim Telefonieren mit dem iPhone, das sich jederzeit auch in eine
Kamera verwandeln kann. Eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung
erklärt, es bestehe die Chance, dass die Haftstrafe, das Berufs- und
Ausreiseverbot reduziert würden. Damit die Strafe ganz erlassen werde,
müsse freilich ein Wunder geschehen.
Später blättert Panahi in einem nicht genehmigten Drehbuch, er
rekonstruiert das Filmset auf seinem Wohnzimmerteppich, mit wenigen
Requisiten macht er den Film, der in seinem Kopf existiert, anschaulich.
"Regie führen ist mir verboten", sagt er und ergänzt, wiederum voller List:
"Schauspielen und Drehbücher vorlesen nicht." Trotzdem kommt die
Rekonstruktion des Filmprojekts auf dem Wohnzimmerteppich zu einem jähen
Ende. "Wenn wir einen Film erzählen können, warum sollen wir ihn dann
drehen?", fragt Panahi in die Kamera. In diesem Augenblick wird spürbar,
was es bedeutet, nicht arbeiten zu dürfen. "In film nist" ist voll
humorvoller, lichter Momente, doch die Tragik von Panahis Situation bricht
immer wieder hervor.
Rasoulofs "Bé omid é didar" ("Auf Wiedersehen") ist dunkler, eine präzise
Studie der Unterdrückung. Im Mittelpunkt steht eine junge Anwältin, die
sich mit der Absicht trägt, auszureisen. Rasoulof findet Bilder, die, ohne
ihre Subtilität zu verlieren, plastisch machen, wie weit sich die Macht des
Regimes in den Körper der Protagonistin hineinfrisst. Am Ende steht ein
Koffer voll zerwühlter Wäsche auf der Hotelzimmerkommode, das Geräusch
eines abhebenden Flugzeugs ist zu hören, ob die Heldin drinsitzt oder
nicht, sei hier nicht verraten. "Wenn man sich im eigenen Land als Fremder
fühlt", sagt sie in einer früheren Szene, "ist es besser, in die Fremde zu
gehen und sich dort als Fremder zu fühlen."
20 May 2011
## AUTOREN
Cristina Nord
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