| # taz.de -- Kommentar zu Lars von Trier: Der Zwang zum Obszönen | |
| > Mit Nazi-Vergleichen lassen sich mediale Aufmerksamkeitswogen in Gang | |
| > setzen. Noch im zwanghaften Tabuverstoß spiegelt sich verzerrt das | |
| > Monströse dieses Verbrechens wider. | |
| Es ist es naheliegend, auf das saloppe Bekenntnis des Regisseurs Lars von | |
| Trier - "Ja, okay, ich bin ein Nazi" - mit moralischer Empörung zu | |
| reagieren. Oder, wie das Festival in Cannes, mit Rauswurf. Das wirkt | |
| konsequent. Klug ist es nicht. Denn die Empörung ist ja Teil dieses Spiels. | |
| Nur mit Nazi-Vergleichen lassen sich noch mediale Aufmerksamkeitswogen in | |
| Gang setzen. Mit Sympathiebekundungen für Stalin oder Papst-Beschimpfungen | |
| ist das schwieriger. | |
| Bei von Trier, der Tabus zu verletzen zu seinem Beruf und ästhetischen | |
| Prinzip gemacht hat, erscheint die Nazi-Provokation nur halb gezielt zu | |
| sein. Von Trier ist auf der Pressekonferenz in Cannes eher in diesen Satz | |
| hineingestolpert. Obwohl er selbst bemerkte, in welchen Abgrund er geriet, | |
| schien er seine assoziativen, etwas konfusen Satzreihen einfach nicht | |
| stoppen zu können. | |
| Ähnliches mag jenen Berliner Philharmoniker angetrieben haben, der in Tel | |
| Aviv seine Hotelrechnung 1997 mit Adolf Hitler unterschrieb und sich so um | |
| Job und Ruf brachte. Um so etwas zu verstehen, hilft vielleicht ein Blick | |
| ins Wörterbuch der Psychiatrie. Es gibt Menschen, die ohne Anlass mitten in | |
| einem Gespräch obszöne Worte sagen. Wer unter diesem Symptom namens | |
| Koprolalie leidet, steht unter dem Zwang, Obszönitäten auszusprechen und | |
| Tabus zu verletzen. | |
| Nun ist Lars von Trier kein Fall für die Psychiatrie (auch wenn manche | |
| seiner Schauspielerinnen das anders sehen). Er ist kein willenloses Opfer, | |
| sondern verantwortlich für seine Worte. Jenseits des individuellen Falls | |
| zeigt diese Affäre aber, dass der Holocaust - als universell gültiges | |
| Zeichen für organisierten Massenmord und entfesselte Bösartigkeit - von | |
| einer Art Koprolalie-Syndrom begleitet wird. Es gibt offenbar einen fast | |
| unwiderstehlichen Reiz zu verbalen Obszönitäten. Noch im zwanghaften | |
| Tabuverstoß spiegelt sich verzerrt das Monströse dieses Verbrechens wider. | |
| 19 May 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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