# taz.de -- Iranischer Dokumentarfilm: Eine Ehe, die 30 Minuten dauert | |
> Sudabeh Mortezai untersucht die Zeitehe. Ihr Dokumentarfilm "Im Bazar der | |
> Geschlechter" zeigt die Doppelmoral der schiitischen Theokratie im Iran. | |
Bild: In der Dokumentation geht es um die Zeitehe im Iran - eine auch Lustehe g… | |
Wenn man diesen Film sieht, möchte man ununterbrochen den Kopf schütteln. | |
Über die schiitische Theokratie, ihre Auslegung des Koran, über ihre | |
Widersprüche, ihre Doppelmoral, ihre Scheinheiligkeit, ihren Umgang mit Sex | |
und Sexualität. Wer im Iran "unerlaubt" miteinander ins Bett geht, und das | |
mehrmals, kann dafür gesteinigt werden. | |
Vielleicht werde man die Strafe demnächst durch den Tod durch den Strang | |
mildern, weiß eine Frauenrechtlerin nicht ohne ironischen Unterton zu | |
berichten. Ihr gegenüber sitzen eine Rat suchende Witwe und eine | |
geschiedene Frau, beide um die vierzig Jahre alt. Dürfen sie noch Sex | |
haben, wann ist der Sex für sie "erlaubt"? | |
In ihrem Dokumentarfilm "Im Bazar der Geschlechter" reflektiert die | |
iranisch-österreichische Filmemacherin Sudabeh Mortezai die ambivalente | |
Rechtsfigur der sogenannten Zeitehe. In einem animierten Vorspann à la | |
"1001 Nacht" erzählt uns eine Off-Stimme von den Gefolgsleuten des | |
Propheten Mohammed, die ihre Ehefrauen zu Hause lassen mussten. | |
Damit sie während ihrer Pilgerfahrt nach Mekka nicht allzu sehr unter der | |
Abwesenheit ihrer Frauen zu leiden brauchten, dachte sich der weise Prophet | |
eine Ausnahmeregelung aus: Für die Zahlung eines angemessenen "Brautgeldes" | |
durften sich seine Männer dem unehelichen Vergnügen hingeben. | |
Anhand mehrerer Schicksale schaut sich Sudabeh Mortezai nun in der | |
Gegenwart ihres Geburtslandes um. Sie zeigt, wie die Zeitehe inzwischen von | |
den Geistlichen ausgelegt wird, welche rechtlichen Grenzen sie kennt und | |
wer ihre Nutznießer sind. Mortezais Film gelingt es dabei, dem Zuschauer | |
die Informationen kompakt und abwechslungsreich zu präsentieren. | |
## Die Ajatollahs haben die Gesetze revidiert | |
Zunächst heftet sich die Kamera an die Fersen eines jungen Mullahs, der | |
eine Videothek aufsucht. Angesichts der Cover fasst er kurz die Geschichten | |
rund um die Zeitehe zusammen. In den Filmen, so erzählt er, gehe es um | |
ältere Witwer, die ihren Lebensabend nicht mehr alleine verbringen müssten. | |
Um geschiedene Männer und Frauen, die ihre Einsamkeit wenigstens unter | |
einem Dach für eine gewisse Zeit miteinander teilen könnten. Die meisten | |
dieser Filme, so erfährt man, sind aus der Perspektive des Mannes gedreht. | |
Ohnehin scheinen vor allem die Männer Nutznießer dieser Sonderregelung zu | |
sein. | |
Von der Videothek nimmt uns der Mullah mit in die heilige Stadt Qom, zu | |
einem älteren Geistlichen, der einen kurzen geschichtlichen Abriss der | |
Zeitehe liefert: Unter dem Schah war sie genauso wie die Polygamie | |
verboten, die Prostitution jedoch erlaubt. | |
Nach ihrer Machtübernahme revidierten die Ajatollahs die Gesetze umgehend. | |
Sie untersagten die Prostitution und gestatteten die Zeitehe. Sie gaben | |
damit dem Tauschgeschäft von Geld und Sex letztlich nur einen anderen | |
Namen. Zugleich aber brachten sie diesen Handel unter staatliche Kontrolle. | |
Jede Zeitehe - ob sie nun 30 Minuten oder 99 Jahre dauert - muss bis heute | |
von den Behörden abgesegnet werden. So kontrolliert der iranische Staat mit | |
seinen repressiven Gesetzen auch das Intimleben seiner Bürger. | |
Natürlich wird die Zeitehe von manchen jungen Menschen als Schlupfloch | |
genutzt, um vor der Ehe zusammenzuleben. Aber vor allem sollen damit junge | |
Männer begünstigt werden, die noch keinen eigenständigen Haushalt | |
finanzieren können, sich in der Zeitehe aber schon einmal "ausprobieren" | |
dürfen. Der junge Mullah im Film erkundigt sich in der Moschee denn auch | |
nach den Rechten der jungen Mädchen. Welche Möglichkeit bleibt ihnen für | |
vorehelichen Sex? Wenn sie noch Jungfrauen seien, so der Geistliche, | |
benötigten sie die Unterschrift des Vaters. | |
Man lernt in Subadeh Mortezais Dokumentarfilm Frauen kennen, denen auch die | |
Zeitehe keine wirkliche Zweisamkeit beschert. Aufgrund ihrer sozialen | |
Situation werden manche von ihnen in diese Lebensform regelrecht | |
hineingetrieben. So sind geschiedene oder verwitwete Frauen etwa auf die | |
finanzielle Unterstützung durch den Zeitehemann angewiesen. In gewisser | |
Weise entledigt sich der Staat durch die Zeitehe auch seiner sozialen | |
Pflichten, weil er nicht weiter für seine Bürgerinnen aufkommen muss. | |
Der Film "Im Bazar der Geschlechter" handelt so von der himmelschreienden | |
Doppelmoral der iranischen Sexualpolitik. Und von einer Rechtsfigur, die | |
nur dazu da ist, den weiblichen Teil der Bevölkerung weiter zu entrechten | |
4 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
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