# taz.de -- Wolfgang Kubicki vor dem FDP-Parteitag: „Sie müssten Amerika bes… | |
> Kubicki weiß auch nicht, wie man von Deutschland aus Facebook | |
> beeinflussen soll. Frauen sind ihm in der Politik oft zu unengagiert. | |
> Aber die Grünen, die mag er wieder. | |
Bild: „Ich habe erlebt, dass Frauen im Zweifel stark genug sind, sich durchzu… | |
taz: Herr Kubicki, die FDP denkt ergebnisoffen über eine Frauenquote nach. | |
Angenommen, sie käme: Ist das dann noch Ihre Partei? | |
Wolfgang Kubicki: Für mich ist die Quote nicht so wichtig, dass ich dadurch | |
den Bezug zu meinen Freien Demokraten verlieren würde, denen ich seit bald | |
48 Jahren angehöre. Aber es wäre schon eine echte Herausforderung, nachdem | |
wir uns jahrzehntelang gegen eine Frauenquote gewehrt haben. Wenn sie denn | |
eingeführt würde. | |
Sie haben im Spiegel gesagt: „Wir würden die Frauen doch mit Handkuss | |
nehmen. Viele Frauen scheuen die Auseinandersetzung. Wenn Frauen in den | |
Wettbewerb gehen, passiert das häufig untereinander.“ | |
Das ist das Bedauerliche. | |
Sie schieben den Schwarzen Peter den Frauen zu. | |
Nein. Ich meine nur, dass sich in einem solchen Falle niemand darüber | |
beklagen sollte, dass Frauen unterdurchschnittlich vertreten sind. Denn das | |
könnten sie selbst ändern. Ich habe erlebt, dass Frauen im Zweifel stark | |
genug sind, sich durchzusetzen. Warum sie sich in Parteien und anderen | |
Organisationen vergleichsweise wenig engagieren, weiß ich nicht. | |
Warum sind in der FDP-Fraktion von Schleswig-Holstein von neun Abgeordneten | |
nur zwei Frauen? | |
Weil sich bei uns nicht mehr Frauen für die vorderen Plätze beworben haben. | |
Der Wunsch, auch in meiner eigenen Partei, mehr Frauen auf Listenplätzen | |
ordentlich zu positionieren, ist groß. Wir sind ja nicht die einzige | |
Partei, die darunter leidet, dass Frauen sich entsprechend ihres | |
Bevölkerungsanteils vergleichsweise wenig einbringen. Im Gegenteil: Es ist | |
bei allen so – sogar bei den Grünen. Es muss andere Gründe haben als die | |
Behauptung, Männer machen Bünde und verschwören sich gegen Frauen. | |
Wo wir gerade bei den Grünen sind: Deren Bundesgeschäftsführer Michael | |
Kellner hat kürzlich geschrieben, dass erst eine Entgiftung zwischen Ihren | |
beiden Parteien stattfinden müsste, ehe man erneut über eine | |
Jamaika-Koalition redet. | |
Das sehe ich auch so. Ich komme aus einer sehr gut funktionierenden | |
Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein. Eine der Grundlagen dafür war ein | |
Mindestmaß an Vertrauen zwischen den handelnden Akteuren. Das gab es auf | |
Bundesebene nicht. Wir werden daran arbeiten müssen, dass wir uns | |
wechselseitig nicht mehr als den Gottseibeiuns betrachten. | |
Wie weit sind die informellen Gespräche zwischen FDP und Grünen? | |
Robert Habeck und ich sehen uns ja ohnehin häufiger. Ich bin Bestandteil | |
der Koalitionsrunde in Kiel. In Berlin gibt es erste Treffen von Grünen und | |
Liberalen. Nicht als feste Institution, sondern wo einzelne Personen mit | |
anderen einzelnen Personen Essen gehen und sich austauschen. | |
Wie finden Sie Robert Habeck als Grünen-Chef? | |
Er ist eine Bereicherung für die Grünen, weil er ein sehr offener | |
Gesprächspartner ist und weil er reflektiert. An diesen Worten sehen Sie, | |
dass ich gerade einen Teil meiner Vorurteile wiederbelebe, weil darin die | |
Behauptung liegt, dass die Grünen sonst nicht reflektieren. Bei einigen war | |
das früher so. Mit Robert Habeck und auch Annalena Baerbock an der Spitze, | |
die ihren Job richtig gut macht, haben die Grünen die Möglichkeit, die SPD | |
weiter zu entkernen. | |
Dennoch haben Sie Robert Habeck auf Facebook neulich „Robert Tur Tur“ | |
genannt, nach dem Scheinriesen aus „Jim Knopf“, weil er die FDP als | |
„asozial“ bezeichnet hat. Gehört so etwas zum Geschäft? | |
Ja, aber das war liebevoll und nett. Vor allen Dingen: Er hat sich dafür | |
entschuldigt, dass er die FDP „asozial“ genannt hat. Das sei ihm im Eifer | |
des Gefechts einfach so rausgerutscht. | |
Für die Mitglieder von Grünen und FDP ist die jeweils andere Partei | |
vielleicht immer noch das jeweils größte Feindbild. Was müssen Sie tun, um | |
das zu ändern? | |
Wir haben in Schleswig-Holstein gelernt, dass sich wirtschaftliche | |
Leistungsfähigkeit, Prosperität und Umweltschutz nicht ausschließen. Wir | |
wollen ein Land der Elektromobilität werden. Das setzt den Bau von Straßen | |
voraus, denn auch Elektrofahrzeuge brauchen Straßen. In Kiel sehen wir: | |
Alles, was wir wollen, können wir gemeinsam erreichen, wenn wir nicht die | |
Klischees der Vergangenheit wiederbeleben. | |
Am Samstag beginnt Ihr Parteitag. Der Leitantrag „Für ein Deutschland der | |
Innovation“ umfasst 22 Seiten. Wäre es nicht ein Beitrag zur | |
Entbürokratisierung, den auf vier oder fünf Seiten zu verkürzen? | |
In meiner Partei herrscht nach wie vor die Überlegung, dass man sehr viel | |
erklären muss, bevor man zum Wesentlichen kommt. Das erklärt den Umfang. | |
Wir werden mal sehen. Ich glaube, auf dem Parteitag wird es eine Reihe von | |
Kürzungsvorschlägen geben. | |
Es geht in dem Antrag vor allem um die Digitalisierung – und da vor allem | |
um die Chancen. Nach einem Absatz zum Wettbewerbsrecht habe ich vergeblich | |
gesucht. Robert Habeck hat neulich gesagt, wir brauchen die Möglichkeit, | |
Firmen wie Facebook wieder zu entflechten und denen etwa Instagram und | |
WhatsApp wegzunehmen. Warum schreibt die FDP nichts dazu? | |
Ich fand den Ansatz von Robert Habeck interessant. Ich habe mir überlegt, | |
wie er das eigentlich machen will, aus Schleswig-Holstein oder Deutschland | |
heraus Facebook zu entflechten. Sie müssten Amerika besetzen, um das zu | |
erreichen. Im Internet helfen uns nationale Regelungen nicht mehr weiter. | |
Wir müssen internationale Vereinbarungen schließen, damit Unternehmen nicht | |
ihre monopolartige Stellung ausnutzen, um andere am Marktzutritt zu | |
hindern. | |
Steht auch nicht im Leitantrag. | |
Das liegt wahrscheinlich daran, dass man dann sofort gefragt wird: Wie | |
sehen die konkreten Schritte aus? Ich würde dafür plädieren, dass wir uns | |
zunächst auf europäischer Ebene auf gemeinsame Regeln verständigen, die man | |
vielleicht mit wirtschaftlicher Macht durchsetzen kann. | |
Sie haben gefordert, die Sanktionen gegen Russland zu lockern. Wollen Sie | |
sich auch die Koalitionsoption mit der Linkspartei offenhalten? | |
Ich mache meine Überlegungen nicht davon abhängig, wer sonst noch was | |
denkt. Im Übrigen wollen auch Christian Lindner und die deutliche Mehrheit | |
meiner Partei die Sanktionen lockern, indem man Russland anbietet, wieder | |
in die G8 zurückzukehren. Dazu brauchen wir aber die anderen sechs | |
Gipfelteilnehmer zur Zustimmung. Bei dem wirtschaftlichen Sanktionsregime | |
der EU ist es anders: Es braucht Einstimmigkeit, wenn es zur Verlängerung | |
ansteht. Das heißt: Deutschland kann sagen, wir wollen als ersten Schritt | |
nur noch vier Fünftel der Wirtschaftssanktionen. | |
Russland wird sich nicht von der Krim zurückziehen. Warum wollen Sie Putin | |
das durchgehen lassen? | |
Die Annexion der Krim ist auch aus meiner Sicht völkerrechtswidrig. Aber | |
mit der Feststellung kommen wir nicht weiter. Die Türken besetzen seit mehr | |
als 40 Jahren völkerrechtswidrig Teile Zyperns, trotzdem betreiben wir | |
Handel mit ihnen. Entscheidend muss für uns sein, dass wir eine | |
Gesprächsebene finden, auf der man über alles reden kann. Das ist besser, | |
als sich sprachlos gegenüberzustehen und aufzurüsten. | |
Reagiert Putin auf Druck oder auf größere Verhandlungsbereitschaft? | |
Manuela Schwesig hat zu Recht gesagt, wir haben seit vier Jahren | |
Wirtschaftssanktionen. Hat Putin darauf reagiert? Eher nein. Russland hat | |
ein Interesse an wirtschaftlicher Prosperität und daran, Spannungen ab- und | |
nicht aufzubauen. Irgendwann muss man damit anfangen. Wir können uns nicht | |
dauernd gegenüberstehen und sagen: Du musst den ersten Schritt machen. Dann | |
gibt es keinen ersten Schritt. | |
Auf dem Parteitag gibt es einen Antrag aus Thüringen für weitgehende | |
Aufhebung der Sanktionen, gleichzeitig soll die Verteidigungsbereitschaft | |
der Nato ausgebaut werden. Gehen Sie für den in die Bütt? | |
Nein, aber die Thüringer und ich laufen in die gleiche Richtung. Wir | |
brauchen selbstverständlich eine Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, die | |
momentan nicht gegeben ist. Wir machen uns ja lächerlich. Ich komme von der | |
Küste. Wir haben kein taugliches U-Boot, drei Viertel unserer Schiffe ist | |
nicht einsatzbereit. Aber man braucht auch die Bereitschaft, aufeinander | |
zuzugehen, um zu vermeiden, dass aus Missverständnissen Spannungen werden, | |
aus Spannungen kriegerische Auseinandersetzungen. | |
Finden Sie die Verlagerung von Nato-Truppen ins Baltikum richtig? | |
Die Frage stellt sich für mich momentan deshalb nicht mehr, weil sie | |
bereits vollzogen worden ist. Aber ich will darauf hinweisen, dass auch | |
Wolfgang Ischinger, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, | |
festgestellt hat: Wir haben beim Bau des gemeinsamen Hauses Europa schlicht | |
und ergreifend vergessen, den Russen ein Zimmer einzurichten. Und wir haben | |
keine Rücksicht darauf genommen, dass das dauernde weitere Heranrücken der | |
Nato an Russland aus russischer Sicht nicht als friedensstiftender Akt | |
betrachtet worden ist, sondern als Erhöhung des Risikos. Das hätte | |
vermieden werden können, wenn man die Russen vorher gefragt hätte oder sich | |
mit ihnen verständigt hätte, statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen. | |
Ist es Ihnen an der FDP-Spitze mit Christian Lindner zu harmonisch | |
geworden, dass Sie sich über die Russland-Politik streiten? | |
Christian Lindner und ich haben eine entspannte Freundschaft miteinander | |
und wir können auch unterschiedliche Auffassungen austragen. Es gibt keinen | |
Streit, sondern eine Meinungsverschiedenheit bei der Methode, wie wir | |
wieder zu einem besseren Verhältnis mit Russland kommen. Einer Partei der | |
Meinungsfreiheit steht es gut zu Gesicht, wenn unterschiedliche | |
Auffassungen artikuliert und auch diskutiert werden können, ohne dass es zu | |
persönlichen Verletzungen kommt oder zur Infragestellung von | |
Führungsverantwortung. | |
Die FDP kommt als kleinere Oppositionspartei nicht mehr so richtig durch | |
mit ihren Themen. Wie schaffen Sie es, das zu ändern? | |
Zunächst einmal sind wir nicht eine kleinere Oppositionspartei, sondern wir | |
sind deutlich stärker als die Grünen und die Linken, um es freundlich zu | |
formulieren … | |
… aber ohne einen Krawallkurs wie den der AfD bleibt das Medienecho | |
geringer. | |
Wir werden nicht daran gemessen, ob wir in der Zeitung stehen, sondern ob | |
wir etwas bewegen. Und das geht auch in der Opposition. Die spannenden | |
Fragen sind: Wie erhalten wir unseren wirtschaftlichen Wohlstand? Wie geht | |
es weiter mit der Digitalisierung? Beim Glasfaserausbau sind wir europaweit | |
eines der Schlusslichter. Momentan freuen wir uns alle über sprudelnde | |
Steuereinnahmen, die es erlauben, relativ viele Sozialleistungen zu | |
finanzieren. Aber das muss auch in der Zukunft erarbeitet werden. Die | |
Themen, die uns am Herzen liegen, also Digitalisierung, Rechtsstaatlichkeit | |
und auch Entspannungspolitik werden weiter die politische Agenda bestimmen. | |
Da bin ich mir sicher. | |
11 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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