# taz.de -- Kieler Regierungschef über ein halbes Jahr Jamaika: „Das beseelt… | |
> In Schleswig-Holstein regiert seit Juni erstmals eine Koalition aus CDU, | |
> Grünen und FDP. Eine Bestandsaufnahme mit Ministerpräsident Daniel | |
> Günther (CDU). | |
Bild: Weites Feld der Jamaika-Politik: Daniel Günther (re.) steht mit Bundespr… | |
taz: Herr Günther, seit einem halben Jahr arbeitet in Schleswig-Holstein | |
recht problemlos eine Koalition, die im Bund und in Niedersachsen nicht | |
möglich war: Jamaika. Was ist das Besondere am „echten Norden“? | |
Daniel Günther: Hier haben andere Persönlichkeiten verhandelt, die | |
Vertrauen zueinander entwickelt haben und respektieren, dass politische | |
Unterschiede nicht Schwächen sein müssen, sondern in diesen Unterschieden | |
Stärken liegen können. | |
Nun saßen bei den Verhandlungen in Berlin die drei wichtigsten Jamaikaner | |
aus Schleswig-Holstein am Tisch: Sie, Wolfgang Kubicki für die FDP und | |
Robert Habeck für die Grünen. Warum ging es dennoch schief? | |
Wolfgang Kubicki hat gesagt, wenn wir es zu dritt ausgehandelt hätten, | |
wären wir nach drei Wochen fertig gewesen. So weit würde ich jetzt nicht | |
zwingend gehen, denn natürlich stellen sich auf Bundesebene viele Probleme | |
anders und schärfer da. Nehmen wir die Energiepolitik, die im | |
Energiewendeland Schleswig-Holstein anders diskutiert wird als im Bund. | |
Sie meinen, weil Bundesländer wie Sachsen, Brandenburg und | |
Nordrhein-Westfalen weiter auf Kohle setzen? | |
Aber darum geht es nicht allein. Schleswig-Holstein kann sich bei | |
Konfliktthemen, zum Beispiel bei der Flüchtlingspolitik, im Bundesrat | |
enthalten, wenn die Regierungspartner keine einheitliche Position haben. In | |
der Bundespolitik ist das komplexer, eine Regierung muss dazu eine Position | |
haben und kann solche Themen nicht einfach ausklammern. | |
Und wer ist nun Schuld am Scheitern der Sondierungsgespräche? | |
Von Schuld will ich nicht reden. Die Verantwortung für das Scheitern tragen | |
alle gemeinsam, das hängt nicht an einer Partei. | |
Dennoch hatten die CDU und die Kanzlerin den Auftrag zur Regierungsbildung, | |
und sie haben es nicht hinbekommen. | |
Ich will die CDU auch nicht ganz ausnehmen, mag aber den Vorwurf nicht | |
akzeptieren, dass sich die Kanzlerin zu viel um die Grünen gekümmert hätte. | |
Daran hat es nicht gelegen. Wenn der Einigungswille bei allen Partien | |
gleich groß gewesen wäre, hätte es für ein Bündnis reichen können. Es war | |
eine Entscheidung, die die FDP für sich allein getroffen hat. Ich habe es | |
nicht verstanden, denn das, was wir ausgehandelt hatten, wäre aus meiner | |
Sicht auch für die FDP akzeptabel gewesen. | |
Und Kubicki konnte es auch nicht retten? | |
Ich hatte den Eindruck, dass er auch in Berlin dem Jamaika-Gedanken sehr | |
nahe stand und dass er das Scheitern bedauert hat. Aber es ist nicht | |
gelungen, in allen Parteien eine Vertrauensatmosphäre entstehen zu lassen. | |
Wir in Schleswig-Holstein haben uns in Sechser-Runden gegenseitig offen die | |
Grenzen genannt, und das stand nicht am nächsten Tag in der Zeitung. Das | |
hat in Berlin nie geklappt, und die Verantwortung dafür hatten alle vier | |
Parteien. | |
Kehren wir zurück nach Schleswig-Holstein. Wie ist nach einem halben Jahr | |
der Umgang in der Koalition, stimmt die Atmosphäre? | |
Wir sind weit gekommen im ersten halben Jahr, die Atmosphäre ist wirklich | |
vertrauensvoll. Wir gehen entspannt mit politischen Unterschieden um, auch | |
wenn sie öffentlich werden. CDU, FDP und Grüne haben als Parteien ja nicht | |
miteinander fusioniert. Wirkliche Konflikte erwachsen daraus aber nicht. | |
Man muss akzeptieren können, dass bei einem Thema sich eine Partei | |
weitgehend durchsetzen konnte gegen die beiden anderen Partner, bei einem | |
anderen Thema ist es dann andersherum. Man muss eben auch gönnen können. | |
Auch deshalb wird Jamaika in Schleswig-Holstein als ein Bündnis | |
wahrgenommen, das eine gemeinsame tragfähige Grundlage für viele Jahre hat. | |
Bei einigen Themen, zum Beispiel dem Einsatz von Glyphosat in der | |
Landwirtschaft oder der Abschiebung von Flüchtlingen im Winter, haben die | |
Grünen klar andere Positionen als CDU und FDP. Könnte das die Koalition auf | |
Dauer belasten oder gar zum Bruch bringen? | |
Wir lassen den Parteien die Freiheiten, unterschiedlicher Meinung zu sein. | |
Im Landtag gilt aber der Koalitionsvertrag. Die Grünen wollen einen | |
Abschiebestopp, FDP und CDU nicht und es steht auch nicht im | |
Koalitionsvertrag – also wird es keinen geben. Trotzdem dürfen die Grünen | |
nach außen dokumentieren, dass sie anderer Meinung sind, wenn sie so | |
abstimmen, wie es im Vertrag geregelt ist. | |
Also gegen ihre Überzeugung stimmen? | |
Genau. Das passiert umgekehrt auch. | |
Zum Beispiel? | |
Es gibt einige Themen, die in den Verhandlungen nicht zu unseren Gunsten | |
ausgegangen sind, Cannabis in Apotheken etwa … | |
Ein Thema, das das Land spaltet. | |
Naja, dann nehmen wir die Frage G8 oder G9. Da hätten wir in der CDU uns | |
eine komplette Umstellung auf das neunjährige Abitur gewünscht. Jetzt gibt | |
es einen Prozess, der auch Abstimmungen in den Schulen beinhaltet. Zur | |
Demokratie gehören eben Kompromisse, denn nur so lassen sich Mehrheiten | |
finden. | |
Alles in allem regiert Jamaika in Schleswig-Holstein geräuschlos und | |
reizarm vor sich hin. Passiert überhaupt was? | |
Es passiert wahnsinnig viel. Wir haben 400 zusätzliche Lehrerstellen auf | |
den Weg gebracht, wir haben das Schulgesetz für G8/G9 geändert, wir | |
arbeiten an einer komplett neuen Finanzierung der Kitas, der Zeitplan für | |
die Neuverteilung kommunaler Mittel steht, das ist ein Riesenprojekt in | |
einem Flächenland. | |
Aber das steht doch alles schon im Koalitionsvertrag. | |
Genau, der Koalitionsvertrag wird abgearbeitet. Die Umsetzung ist eine | |
richtig große Aufgabe. Nehmen wir allein die Windkraft. Wir haben uns auf | |
den Kurs geeinigt, größere Abstände zu Bebauungen zu lassen und die | |
Windkraft dort auszubauen, wo viel Wind weht und es akzeptiert ist; nicht | |
wo Gegenwind herrscht. Aber das rechtssicher umzusetzen, ist schon harte | |
politische Arbeit. | |
Was ist das gemeinsame Thema des Bündnisses, die Grundlage für alle drei | |
Parteien? In der Präambel des Koalitionsvertrages heißt es, „Politik ist | |
Bewegung“, also ist der Weg das Ziel? | |
Der Kernsatz für dieses Bündnis ist die Verbindung von Ökonomie und | |
Ökologie. Das kann man an allen Punkten durchdeklinieren. Wohlstand | |
erhalten und Schleswig-Holstein wirtschaftlich stärker machen, aber nicht | |
auf Kosten der Umwelt, das ist das große Verbindende. | |
Lässt sich dafür ein großes Projekt benennen? | |
Ein vernünftiger Haushalt ohne neue Schulden ist nachhaltig, aber trotzdem | |
haben wir eine hohe Investitionsquote, weil wir gemeinsam der Auffassung | |
sind, dass es Investitionen in Infrastruktur geben soll, nicht nur in | |
Straßen, sondern auch in Breitbandkabel, Krankenhäuser oder zukunftsfähige | |
Mobilität, speziell E-Mobilität. Das alles in Einklang zu bringen, das | |
beseelt uns. | |
Beseelt? | |
Das ist so, das macht uns richtig Freude. | |
Nachdem es so aussah, als ob Schleswig-Holstein für Niedersachsen und den | |
Bund ein Vorbild sein könnte, steht ihr gepriesenes Modell jetzt einsam im | |
Norden rum. | |
Umso stolzer bin ich, dass Schleswig-Holstein ein leuchtendes Vorbild ist. | |
Ich denke, dass viele uns beneiden, und ich mache keinen Hehl daraus, dass | |
ich im Bund Jamaika für ein besseres Zukunftsprojekt halte als eine Große | |
Koalition. | |
Sie haben aber in Schleswig-Holstein auch eine komfortable Lage – praktisch | |
ohne Opposition. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) ist klein, die | |
AfD ist die AfD, und die SPD ist so geschwächt, dass sie kaum noch | |
wahrnehmbar ist. Regiert es sich paradiesisch-locker unter Palmen, wenn | |
niemand widerspricht? | |
Ich respektiere die SPD und ihren Landesvorsitzenden Ralf Stegner sehr und | |
denke, dass sie ihre Rolle in der Opposition finden wird. In der Tat ist | |
die SPD in ganz Deutschland zurzeit geschwächt, und das ist nichts, was | |
mich freut. Zwei starke Volksparteien tun der Demokratie gut, da herrscht | |
jetzt ein gewisses Defizit, aber das muss die SPD für sich füllen, ich habe | |
da keine Ratschläge zu geben. | |
Wenn Sie ein paar Jahre als Ministerpräsident solide Arbeit geleistet | |
haben, kommen Sie dann für die Merkel-Nachfolge in Frage? Belastet es Sie, | |
dass Sie als einer der Kronprinzen gehandelt werden? | |
In den nächsten Jahren will ich mich darauf konzentrieren, meine Arbeit | |
solide zu machen. Man muss erst mal beweisen, dass man es auch fünf Jahre | |
lang erfolgreich kann als Person und in einem Regierungsbündnis. | |
Sie wollen 2022 wieder als Spitzenkandidat antreten? | |
Ja. | |
Stimmt es, dass Usain Bolt Ehrenbotschafter des Jamaika-Landes | |
Schleswig-Holstein werden soll? | |
Guter Typ, würde mich freuen. Allerdings könnte er in Schleswig-Holstein | |
nur Generalkonsul werden, das würde er wohl nicht machen. | |
28 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
Sven-Michael Veit | |
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