# taz.de -- EU untersagt Pestizide auf dem Acker: Super Tag für Biene Maja | |
> Aus Sorge um die Bestäuber von Blüten verbietet die EU drei Wirkstoffe | |
> von Pestiziden im Freiland. Die wichtigsten Fragen über Bienensterben und | |
> „Neonics“. | |
Bild: Süß und unverzichtbar für die Natur: Bienen | |
Es ist Frühling, aber ich habe das Gefühl, ich sehe viel weniger Bienen als | |
vor einigen Jahren. Wird sich das jetzt ändern? | |
Wahr ist: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben am Freitag | |
beschlossen, dass drei Wirkstoffe von Pestiziden ab Ende des Jahres | |
grundsätzlich überhaupt [1][nicht mehr im Freiland] benutzt werden dürfen. | |
Bislang waren diese synthetischen Gifte aus der Gruppe der Neonicotinoide | |
(Neonics) noch erlaubt, zum Beispiel bei Zuckerrüben. Die Mittel namens | |
Imidacloprid, Clothianidin und Thiamethoxam sollen jetzt nur noch in fest | |
installierten Gewächshäusern verwendet werden dürfen. Denn dort kommen | |
nicht so viele Bienen mit dem Gift in Kontakt. Die EU-Behörde für | |
Lebensmittelsicherheit hatte anhand [2][mehrerer Studien] festgestellt, | |
dass die in der Praxis vorkommenden Mengen der drei Pestizide die Insekten | |
vergiften können. Bayer, einer der Hersteller, argumentiert dagegen, dass | |
die Behörde „nur geringe Risiken“ ermittelt habe. | |
Sind diese Neonicotinoide also verantwortlich für das sogenannte | |
Bienensterben, von dem man immer in den Medien hört? | |
Der Behörde zufolge schädigen sie Bienen. Trotz dieser Belastung leben in | |
Deutschland aber seit ungefähr zehn Jahren immer mehr Honigbienen, weil es | |
mehr Imker gibt – sagt zumindest der Deutsche Imkerbund. Auch die | |
Winterverluste – also die Zahl der Bienen, die im Winter sterben – nehmen | |
im langjährigen Mittel nicht zu. Das hat das Fachzentrum Bienen und Imkerei | |
in Rheinland-Pfalz bei seinen bundesweiten Umfragen unter Imkern seit | |
1997/98 ermittelt. Sie sind die größte Datensammlung zum Thema, die | |
vorhanden ist. Es könnte sein, dass das große Bienensterben schon vor | |
Beginn der Erhebung stattgefunden hat. Aber damals waren laut Fachzentrum | |
noch viel giftigere Pestizide auf dem Markt. | |
Also gibt es gar kein Bienensterben? | |
Doch, es gibt ja auch rund 560 Wildbienenarten, zum Beispiel Hummeln, in | |
Deutschland. Laut Bundesamt für Naturschutz stehen [3][mehr als die Hälfte | |
auf der Roten Liste] der bedrohten Arten. Sie sind eben Insekten, deren | |
Zahl insgesamt tatsächlich zurückgeht. Nach einer umfangreichen Studie sank | |
die Gesamtmasse aller Fluginsekten in 63 Naturschutzgebieten [4][um 76 | |
Prozent]. | |
Woran liegt das? | |
Die Autoren der Insektenstudie vermuteten, dass die intensivierte | |
Landwirtschaft samt dem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln eine Rolle | |
spielte. 94 Prozent der Untersuchungsstandorte waren von Agrarflächen | |
umgeben. Zudem wird die Hälfte Deutschlands landwirtschaftlich genutzt. Der | |
Bauernverband erklärt es aber für unklar, wie groß die Verantwortung seiner | |
Klientel ist. Ziemlich sicher ist, dass auch die zunehmende | |
Lichtverschmutzung einen Anteil hat. Dauerlicht etwa zieht Insekten an, die | |
dann dort leichter gefressen werden können. | |
Warum ist das Insektensterben so schlimm? | |
Wenn es den Insekten schlecht geht, geht es der Natur allgemein schlecht. | |
Sie bestäuben 80 Prozent der Wildpflanzen. 60 Prozent der Vögel benötigen | |
sie als Futter. Zudem verwerten sie Nährstoffe aus Pflanzenresten und | |
Tierkadavern. Auch viele Kulturpflanzen wie Obstbäume sind auf den Besuch | |
durch Honig- oder Wildbienen, aber auch andere Insekten wie Fliegen, Käfer | |
und Schmetterlinge angewiesen. Oft sorgen die Bestäuber auch dafür, dass | |
die Ernte größer ausfällt. | |
Wird das Insektensterben jetzt aufhören, weil die EU die drei | |
Pestizidwirkstoffe auf dem Acker verbietet? | |
Nein. Denn zwei weitere Neonicotinoide und zahlreiche andere | |
Insektenvernichtungsmittel bleiben erlaubt. Und natürlich auch | |
Unkrautvernichter wie Glyphosat, die Nahrungspflanzen von Insekten töten. | |
Es wird auch weiter im Schnitt zu viel gedüngt, was Lebensräume von | |
Insekten schädigt. In der Agrarlandschaft gibt es zudem immer noch zu wenig | |
Rückzugsräume wie Hecken. Lichtverschmutzung bleibt ebenfalls ein Problem. | |
Werden die Bauern auf andere Pestizide ausweichen, um Schädlinge wie | |
Blattläuse oder Drahtwürmer zu töten? | |
Zumindest teilweise. Das lässt eine Studie im Auftrag der EU-Kommission | |
erwarten, mit der auch die Hersteller argumentieren. Sie untersuchte, wie | |
die Landwirte darauf reagierten, dass die EU 2013 verbot, die drei | |
Neonicotinoide bei Pflanzen einzusetzen, die von Bienen angeflogen werden. | |
Ergebnis: Viele der befragten Landwirte griffen zu anderen Pestiziden. | |
Andere griffen zu mechanischen Methoden. | |
Ist das Freilandverbot also überhaupt ein Gewinn für die Umwelt? | |
„Ja, denn diese drei Neonicotinoide gehören nachweislich zu den für Bienen | |
gefährlichsten Stoffen“, sagt Corinna Hölzel, Pestizidexpertin des Bunds | |
für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Die anderen Neonics seien zwar auch | |
giftig für die Insekten, aber nicht ganz so stark. Für Umweltschützer ist | |
das Verbot vom Freitag aber nur ein erster Schritt in die richtige | |
Richtung. Sie fordern, alle Neonics zu untersagen. Außerdem müsse die EU | |
ihre Agrarsubventionen künftig so verteilen, dass Landwirte, die weniger | |
oder gar keine Pestizide benutzen, mehr Geld bekommen. Der Staat könnte es | |
zum Beispiel stärker fördern, durch Wechsel von mehr Fruchtarten auf einem | |
Acker den Druck durch Schädlinge zu verringern. | |
Gefährdet das Verbot die Versorgung mit Nahrungsmitteln? | |
Es ist noch nicht einmal sicher, dass die Bauern weniger ernten werden. | |
Denn sie können die meisten Anwendungen der Pestizide durch andere Methoden | |
ersetzen. | |
Werden Lebensmittel teurer? | |
Das behauptet noch nicht einmal die Chemielobby. Zwar wird es für die | |
Landwirte teurer, Produkte zu erzeugen, für die sie bislang Neonics benutzt | |
haben. Aber die Kosten haben geringe Auswirkungen auf den Verbraucherpreis. | |
Die Bauern erhalten [5][nur 21 Prozent] von jedem Euro des Konsumenten. | |
Auch andere profitieren, etwa der Handel. | |
Sind Neonics eine Gefahr für die Gesundheit von Menschen? | |
Die Chemikalien sind auch für Menschen giftig. Der Wirkstoff Thiacloprid | |
etwa kann [6][laut EU-Chemikalienbehörde] die Fruchtbarkeit und ungeborene | |
Kinder schädigen. Er steht auch im Verdacht, Krebs zu verursachen. Spuren | |
der Mittel finden sich immer wieder beispielsweise in Honig und Obst. | |
Jedoch liegen sie meist unter den Grenzwerten, sodass sie den Behörden | |
zufolge ungefährlich sind. Allerdings wurden diese Limits in der | |
Vergangenheit immer wieder angehoben, was Umweltschützer misstrauisch | |
werden lässt. | |
Was sagt das Verbot über die Qualität des Zulassungsverfahrens von | |
Pestiziden? | |
Nichts Gutes. Denn diese Mittel wurden einmal zugelassen, weil es hieß, | |
dass sie keine Gefahr für Bienen darstellten. Nun stellt sich laut EU | |
heraus, dass das nicht stimmte. Dennoch waren sie jahrelang im Einsatz. | |
Umweltschützer fordern deshalb eine Reform des Zulassungsverfahrens. Die | |
Studien über die Risiken sollten nicht mehr von den Herstellern, sondern | |
von den Behörden in Auftrag gegeben werden. | |
28 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://europa.eu/rapid/press-release_MEX-18-3583_en.htm | |
[2] https://www.efsa.europa.eu/en/press/news/180228 | |
[3] https://www.bfn.de/presse/pressearchiv/2017/detailseite.html?tx_ttnews%5Btt… | |
[4] /Archiv-Suche/!5453844&s=insektenschwund/ | |
[5] http://www.bauernverband.de/13-nahrungsmittel-verbrauch-und-preise-803591 | |
[6] https://echa.europa.eu/de/substance-information/-/substanceinfo/100.129.728 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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