# taz.de -- Vattenfall vs. Deutschland: Es geht um Milliarden | |
> Hatte der schwedische Atomkonzern einen finanziellen Schaden durch den | |
> Atomausstieg? Und muss der deutsche Staat dafür zahlen? | |
Bild: Vattenfall hofft auf Entschädigungszahlungen für die Abschaltung des So… | |
Bekommt Vattenfall wegen des beschleunigten Atomausstiegs | |
Milliarden-Schadensersatz von Deutschland? Das wird noch im März ein | |
Schiedsgericht in Washington entscheiden. Die Entscheidung ist völlig | |
offen. | |
Schon 2001 wurde der Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen, nicht erst | |
nach Fukushima. Damals handelte die rot-grüne Bundesregierung mit den | |
Atomkonzernen „Reststrom-Mengen“ für die AKWs aus, die einer Laufzeit von | |
32 Jahren entsprachen. So sollten Entschädigungen vermieden und ein | |
angemessener Gewinn der Betreiber sichergestellt werden. Zwar verlängerte | |
die schwarz-gelbe Bundesregierung 2010 die Restlaufzeiten um | |
durchschnittlich 12 Jahre pro AKW. | |
Doch dann kam es in Fukushima zur Reaktorkatastrophe, gewaltige Mengen | |
Radioaktivität traten aus. Drei Monate später nahm der Bundestag die | |
verlängerten Laufzeiten zurück und orientierte sich wieder am | |
ursprünglichen Ausstiegsplan. Zudem wurden sieben ältere AKWs und der | |
Pannen-Reaktor Krümmel sofort stillgelegt. Für die anderen neun Meiler | |
wurden konkrete Stilllegungsdaten festgelegt. Die letzten AKWs sollen 2022 | |
vom Netz gehen. | |
[1][Vattenfall klagte gegen diesen beschleunigten Ausstieg vor dem | |
Bundesverfassungsgericht und auch vor dem Schiedsgericht der Weltbank Icsid | |
in Washington]. Icsid steht für International Center for Settlement of | |
Investment Disputes. Vattenfall gehört dem schwedischen Staat und sieht | |
sich in Deutschland als ausländischer Investor. | |
Es geht um drei deutsche AKWs | |
Der Konzern beruft sich mit seiner Klage auf die Energiecharta von 1994, | |
einen völkerrechtlichen Vertrag von 51 Nationen, der ausländische | |
Investoren im Energiebereich schützt. Damals sollten westliche Gelder in | |
den Energiesektor Osteuropas gelotst werden. Die Investoren wurden | |
vertraglich vor willkürlicher Enteignung geschützt und ihnen wurde eine | |
„faire und gerechte Behandlung“ zugesichert. Deutschland hat wohl kaum | |
damit gerechnet, einmal selbst auf dieser Grundlage verklagt zu werden. | |
Vattenfall ist an drei deutschen AKWs beteiligt: Krümmel, Brunsbüttel und | |
Brokdorf. Im Mittelpunkt des Washingtoner Prozesses steht Krümmel, weil | |
dieses AKW statt 32 nur 27,5 Jahre am Netz war. Die verbliebenen | |
Reststrommengen seien jetzt wertlos und könnten derzeit auch nicht an | |
andere Stromkonzerne verkauft werden, so die Vattenfall-Anwälte bei der | |
mündlichen Verhandlung im Oktober 2016. | |
Da die letzten deutschen AKWs nur noch kurze Restlaufzeiten haben, komme | |
nur Eon als Käufer in Frage. Eon habe bisher aber abgewinkt und könnte als | |
Monopolist auch einen Preis diktieren. Damit habe Deutschland garantierte | |
Reststrommengen faktisch enteignet. Man akzeptiere zwar das Recht des | |
Staates, die Atomkraft nach Fukushima neu zu bewerten und fixe | |
Ausstiegsdaten festzulegen. „Aber dann muss Deutschland an Vattenfall | |
Entschädigung zahlen“, so Anwalt Kaj Hobér. | |
Die Bundesregierung bestritt, dass Vattenfall einen finanziellen Schaden | |
hat. Am Ende werde Eon die Reststrommengen von Krümmel doch zu einem guten | |
Preis kaufen. Schließlich sei Eon zu 50 Prozent mit an dem AKW beteiligt. | |
Mit der Gewährung von Reststrommengen habe der Staat die Interessen der | |
Kraftwerksbetreiber ausreichend berücksichtigt. Es sei nicht die Schuld der | |
Bundesregierung, so Sabine Konrad, deren Anwältin, dass Vattenfall | |
Reststrommengen übrig habe. Schließlich habe Krümmel wegen der vielen | |
Pannen und Reparaturen vier Jahre stillgestanden. „Sie wollen jetzt | |
Entschädigung für diesen Stillstand“, kritisierte Konrad. | |
Verhandlung im Live-Stream | |
Die zehntägige Verhandlung in Washington [2][wurde via Internet gestreamt], | |
die Schlussplädoyers sind als Video im Netz dokumentiert. Die | |
Schlusssitzung war auch unter Gender-Aspekten bemerkenswert. Vattenfall | |
hatte sein vierstündiges Schlussstatement auf fünf Anwälte (alle Männer) | |
aufgeteilt, Dagegen sprach für Deutschland nur eine Frau: Sabine Konrad. | |
Sie redete sich in ihren vier Stunden richtig in Fahrt, während | |
Vattenfall-Anwalt Hobér am Ende immer traniger wurde. | |
Das Schiedsgericht besteht aus drei Personen. Der Amerikaner Charles N. | |
Brower wurde von Vattenfall vorgeschlagen, die Bundesregierung benannte den | |
Briten Vaughan Lowe. Gemeinsam einigte man sich auf den Holländer Albert | |
Jan van den Berg als Vorsitzenden. Der hatte den Schiedsspruch bis Juli | |
2017 angekündigt. Doch in der Zwischenzeit haben die Streitparteien weitere | |
Schriftsätze ausgetauscht. | |
Denn nach der Verhandlung im Oktober 2016 passierte noch einiges. So | |
verkündete im Dezember 2016 das Bundesverfassungsgericht sein Urteil, dass | |
der beschleunigte Atomausstieg rechtmäßig war. Vattenfall hat jedoch | |
Anspruch auf Kompensation für die ungenutzten Strommengen von Krümmel. | |
Karlsruhe zeigte drei Möglichkeiten auf: Entweder wird Vattenfall mit Geld | |
entschädigt oder durch neue Laufzeiten für Krümmel, oder Eon wird | |
verpflichtet, die Reststrommengen zu einem fairen Preis aufzukaufen. Bis | |
Juni 2018 muss der Bundestag dies im Atomgesetz regeln. | |
Im Juni 2017 kippte das Bundesverfassungsgericht zudem die | |
Brennelementesteuer, die Vattenfall in Washington ebenfalls gerügt hatte. | |
Der Bund habe keine Kompetenz für die Erfindung dieser Steuer gehabt, so | |
die Richter. Der Staat muss den Atomkonzernen deshalb 6,2 Milliarden Euro | |
zurückzahlen. | |
Geld oder neue Laufzeiten | |
Vattenfall hat seine Klage in Washington dennoch aufrechterhalten. Nach | |
eigener Lesart ist man verstimmt, dass die Bundesregierung sich immer noch | |
nicht festgelegt hat, wie sie das Karlsruher Urteil umsetzen will. Es | |
dürfte aber noch andere Gründe geben. So hofft Vattenfall beim | |
Icsid-Schiedsgericht auf vollen Schadensersatz, während nach deutschem | |
Recht nur eine „angemessene“ Entschädigung erforderlich ist, die durchaus | |
niedriger sein kann. | |
Vor allem aber klagt in Washington neben Vattenfall auch die | |
Betriebsgesellschaft des AKW Krümmel. Diese macht den gesamten Schaden für | |
Krümmel geltend, 3,6 Milliarden Euro, während Vattenfall in Karlsruhe nur | |
für seinen 50-prozentigen Anteil Entschädigung zugesprochen bekam. Faktisch | |
klagt Vattenfall damit im Interesse von Eon zusätzliche 1,8 Milliarden Euro | |
ein, obwohl Eon gerade kein ausländischer Investor ist und sich daher auch | |
nicht auf die Energiecharta berufen kann. | |
Der Schiedsspruch soll im ersten Quartal 2018, also bis Ende März, | |
verkündet werden. Der genaue Tag wird vorher nicht bekannt gegeben. Icsid | |
wird mit etwas Abstand zumindest eine Zusammenfassung der Entscheidung | |
publizieren. Ob der Schiedsspruch schon am Tag der Entscheidung | |
veröffentlicht wird, hängt von Vattenfall und der Bundesregierung ab. | |
Neue Diskussionen löste Anfang der Woche der Europäische Gerichtshof aus, | |
als er Schiedsgerichtsverfahren innerhalb der EU für unzulässig erklärte. | |
Der Leipziger Rechtsprofessor und Umweltaktivist Felix Ekardt twitterte | |
sofort: „Vattenfall-Atomausstiegsklage gegen Deutschland damit ebenfalls | |
europarechtswidrig“. So einfach ist es wohl nicht. Ob das EuGH-Urteil auf | |
einen Vertrag wie die Energiecharta übertragen werden kann, ist völlig | |
offen. Vermutlich würde die Bundesregierung gegen eine Washingtoner | |
Verurteilung aber auch nicht den Weg zum EuGH suchen. Schließlich versteht | |
sich Deutschland bisher als Befürworter von Investorenschutz per | |
Schiedsgerichten. | |
8 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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